Von der Handelsabteilung zur Wirtschaftsmittelschule
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand die einzige Aargauer Kantonsschule aus zwei Abteilungen: Dem ursprünglich primär humanistisch ausgerichteten Gymnasium, stand die anfänglich auf industrielle und gewerbliche Berufe hinführende, bis zur Jahrhundertwende zunehmend mathematisch-naturwissenschaftlich orientierte Gewerbeschule zur Seite.
1896, im Jahr der Einweihung des neuen Kantonsschulgebäudes (heute Einstein-Haus), wurde dieser eine Handelsabteilung angegliedert. So etablierte sich erstmals ein wirtschaftlich ausgerichteter Zweig an der Kanti. Zu diesem Schultyp waren von Anfang an junge Frauen zugelassen – fünf Jahre später zog das Gymnasium diesbezüglich nach. Schliesslich wurde mit dieser Erweiterung auch der Einfluss des Bundes auf die Kantonsschule verstärkt, da die Handelsabteilung auf ein Diplom bzw. Fähigkeitszeugnis nach dessen Richtlinien hinführte. Insgesamt trug der neue Schultyp den Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft Rechnung und war von Anfang an so erfolgreich, dass er in den späten 1920er Jahren zeitweilig sogar die grösste Abteilung der Kantonsschule bildete.
Enge Verbindung von Handelsschule und Gymnasium
Nachdem in den 1920er Jahren die ehemalige Gewerbeschule in die „Oberrealschule“ mit Typus C-Matur sowie in die nun neu „Handelsschule“ genannte Diplomabteilung geteilt wurde, schlug man Erstere 1958 dem Gymnasium zu, während die Handelsschule eine dreijährige Ausbildung zum Handelsdiplom blieb. In ihrer Ausrichtung sollte sie neu aber auch auf wirtschaftswissenschaftliche Studien hinführen. Dass die längst geforderte, 1964 eingeführte Handelsmatur zuerst der Handelsschule, 1974 jedoch als Wirtschaftsabteilung dem Gymnasium zugeteilt wurde, belegt einerseits die zögerliche Akzeptanz der Wirtschaftsrichtung als Maturitätstypus, andererseits aber auch die enge Verbindung von Handelsschule und Gymnasium an der Alten Kanti, welche nach der Gründung der übrigen Aargauer Mittelschulen 1980 offiziell zur ‚Alten Kantonsschule Aarau’ wurde. Insbesondere in schulübergreifenden Projektwochen und weiteren Zusatzangeboten, vor allem aber durch ein eigentliches Kompetenzzentrum rund um die Wirtschaftsfächer profitierten die beiden Schultypen voneinander.
Im Zuge der Dezentralisierung der Kantonsschule wurde 1964 in Baden eine zweite Handelsdiplomschule eingeführt. Bedeutsam waren indes die raschen Veränderungen der kantonalen und eidgenössischen Rahmenbedingungen für den Schultyp in den letzten Jahrzehnten: So brachte der Ausbau der Fachhochschulen sowie der Zugang zur Berufsmaturität neue Orientierungslinien für die Schule sowie Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten für ihre Absolventinnen und Absolventen mit sich. Die Handelsdiplomschule (HDS) wurde zur Wirtschaftsdiplomschule (WDS) und schliesslich 2001 zur Wirtschaftsmittelschule (WMS) mit Berufsmaturität.
Kontinuität und Know-how für die Zukunft
Dieser Prozess war von tiefgreifenden Reformen geprägt, insbesondere die Erweiterung durch Praktika, Fremdsprachaufenthalte und berufspraktische Projekte sowie den Ersatz des Handelsdiploms durch ein kaufmännisches Fähigkeitszeugnis, inklusive der Möglichkeit zur Erlangung der Berufsmaturität im Rahmen eines einjährigen Berufspraktikums. Die Alte Kantonsschule Aarau hat diesen Prozess unter Führung des langjährigen WMS-Schulleiters Ulrich Salm gemäss Vorgaben von Kanton und Bund aktiv und erfolgreich mitgestaltet und würde diesen gerne auch in Zukunft begleiten.
Sebastian Grüninger, Geschichtslehrer