Von Caroline Ritter, G20F
Als ich die Türe öffne, schlägt mir die kalte Luft ins Gesicht. Hinter mir höre ich die laute Discomusik. Doch kaum schliesse ich die Tür, ist es ruhig. Ich blicke mich in der Gasse um, in die ich gerade getreten bin. Die Sonne ist schon untergegangen, und das kleine Licht, das an der einen Gebäudewand hängt, erfüllt kaum seinen Zweck. Mit zitternden Händen krame ich in meiner Tasche nach dem Handy. Als ich es endlich gefunden habe, tippe ich schnell die Nummer meines Vaters ein. Die dunkle Gasse ist mir ein wenig unheimlich, und ich möchte so bald wie möglich wieder zurück in die Wärme.
«Hallo Papa! Ich bin’s», sage ich, während ich von einem Bein auf das andere wippe.
«Ja, Daria. Ist alles okay? Ich dachte, du wärst mit Maya zusammen im Club», antwortet er gewohnt freundlich.
«Ja, bin ich auch. Ich wollte dich nur fragen, ob du uns abholen könntest? Meine Füsse tun unglaublich weh, und der Club ist komplett überfüllt. Ausserdem sind wir beide langsam müde, und wir wollen nur noch nach Hause.»
«Kein Problem. Wo soll ich euch abholen?»
«Vielleicht beim Parkplatz vor dem grosse Einkaufszentrum?»
«Okay, das ist machbar. Ich bin in 45 Minuten bei euch. Bis bald.»
«Okay, bye.»
Ich lege auf und verstaue das Handy in meiner Tasche. Als ich mich noch einmal in der Gasse umsehe, erschrecke ich. Nur wenige Meter von mir entfernt lehnt eine grosse männliche Gestalt an einer Mauer und pfeift mir zu.
Schnell drehe ich mich um und laufe zurück in den Club. Was für ein Creep! Ich muss so schnell wie möglich Maya finden, damit wir endlich von hier wegkommen. Wer weiss, was sonst noch für Typen auftauchen. Mit schnellen Schritten laufe ich in die Richtung, von wo die laute Musik dröhnt, zwänge mich an mehreren Menschen vorbei, die mitten im Gang herumstehen, biege um die Ecke und gelange in einen grossen, fensterlosen Raum, der voller tanzender Menschen ist. Die Musik scherbelt unerträglich laut, und die Luft ist durch den künstlichen Nebel stickig und kaum auszuhalten.
Schnell suche ich den Raum nach Maya ab und erblicke sie schliesslich, wie sie an der Bar sitzt. Als ich auf sie zulaufe, bemerke ich, dass noch jemand bei ihr ist. Er flüstert ihr etwas ins Ohr. Maya scheint zu versuchen, ihn wegzustossen. Es ist ihr sichtlich unwohl wie nahe der Typ an ihr klebt. Ihm scheint es jedoch egal zu sein, denn er belästigt sie weiterhin. Wut kocht in mir auf, und ich merke, wie mein Gesicht rot anläuft. Mithilfe meiner Ellbogen bahne ich mir einen Weg durch die tanzende Menschenmenge. Der Fakt, dass keiner dieser Menschen auch nur auf die Idee kommt, ihr zu helfen, macht mich noch wütender. Als ich endlich an der Bar ankomme, greife ich nach der Schulter dieses widerlichen Typen und reisse ihn von meiner Freundin weg. Als ich ihm klarmache, dass ich die Polizei informiere, wenn er nicht sofort verschwindet, macht er sich aus dem Staub. Dann wende ich mich wieder meiner Freundin zu.
«Alles okay?», frage ich schreiend, damit sie mich trotz der lauten Musik hören kann.
Sie nickt. Ich blicke auf mein Handy, um sicherzustellen, dass wir noch genügend Zeit haben.
«Ich habe meinen Dad angerufen. Er holt uns in 35 Minuten vor dem Einkaufszentrum ab», sage ich, aber sie scheint es nicht wirklich zu realisieren.
«Daria. Mir ist ganz schwindlig. Und…und schlecht. Als ob ich in Watte gepackt wäre», sagt sie mit weinerlicher, leiser Stimme, sodass ich mich zu ihr vorlehnen muss, um sie besser verstehen zu können.
Ich runzle die Stirn. «Was? So viel Alkohol hast du doch gar nicht getrunken. Bestimmt ist es nur die schlechte Luft. Wir können ja nach draussen gehen und…», schlage ich vor und stocke plötzlich, als ich den Drink in ihrer Hand bemerke. Einen Drink, den sie noch nicht hatte, als ich nach draussen zum Telefonieren ging.
«Maya, wo hast du dieses Glas her?», frage ich sie schon fast panisch.
«Von Mark», stottert sie, während sie auf den Boden starrt.
Mark? Ich kenne gar keinen Mark. Plötzlich schwirren mir all die Geschichten durch den Kopf. Geschichten von Frauen, die in einer Bar von einem Fremden ein Getränk mit K.O.- Tropfen verabreicht bekommen und dann verschleppt werden. Reflexartig drehe ich mich um und suche den Raum nach dem ekelhaften Typen von vorhin ab, sehe ihn jedoch nirgends. Dann wende ich mich dem Barmann zu.
«He! Hast du ihr den Drink gegeben?», frage ich ihn.
Er schüttelt den Kopf.
Mir wird schlecht. OH Gott! Was wenn der Typ von vorhin ihr wirklich K.O Tropfen verabreicht hat? Ich war doch keine 10 Minuten weg. Wie konnte das nur passieren? Was mach ich jetzt? Dem Barmann Bescheid sagen? Der Polizei telefonieren? Oder doch lieber der Sanität? Woher soll ich überhaupt wissen, dass er Maya wirklich Drogen gegeben hat?
Als ich bemerke, dass Maya einen weiteren Schluck aus dem Glas nehmen möchte, reisse ich es ihr aus der Hand und stelle es auf der Theke ab. Bei solchen Dingen kann man nie vorsichtig genug sein.
«Komm Maya, wir gehen nach draussen an die frische Luft», insistiere ich und greife sie am Arm, um sie durch die Menschenmenge nach draussen zu führen.
Draussen angekommen, blicke ich kurz auf mein Handy. Wir haben noch 23 Minuten, bevor Dad kommt.
«Ist dir immer noch schwindlig?», frage ich sie mit besorgter Stimme.
Sie nickt.
«Lass uns schon mal zum Einkaufszentrum gehen. Mein Dad wird bald dort sein», sage ich und greife ihr unter den Arm, damit sie sich beim Torkeln abstützen kann.
Der Weg vom Club zum Einkaufzentrum dauert zu Fuss eigentlich keine 8 Minuten. Jedoch muss ich Maya praktisch dorthin tragen, da sie es kaum schafft, sich auf den Beinen zu halten. Dazu kommt noch, dass ich diese bescheuerten Schuhe mit diesen mörderisch hohen Absätzen anhabe, welche die ganze Sache nicht gerade vereinfachen. Als wir dann endlich ankommen, sind ganze 15 Minuten vergangen. Maya scheint es noch schlechter zu gehen.
Der Parkplatz vor dem Einkaufszentrum ist menschenleer. Niemand ist zu sehen, nicht einmal ein Auto. Durch das gelbe Licht der Strassenampeln wirkt die Situation beinahe gespenstisch.
Ich setze Maya auf die Bank neben dem Gehweg und krame mein Handy aus der Tasche, um meinen Vater anzurufen. Doch kaum habe ich seine Nummer eingegeben, stürzt mein Handy ab. Mist, kein Akku mehr! Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu warten, denn Mayas Handy scheint irgendwo im Club liegen geblieben zu sein.
Nach einer gefühlten Ewigkeit höre ich, wie ein Auto auf den Parkplatz fährt. Ich blicke auf und stelle erleichtert fest, dass es das Auto meines Vaters ist. Schnell helfe ich Maya auf und schwanke mit ihr auf ihn zu.
«Wo warst du? Wir haben eine gefühlte Ewigkeit auf dich gewartet. Du hast versprochen, du wärst in einer Dreiviertelstunde hier», werfe ich ihm vor.
«45 und 46 Minuten sind ja fast dasselbe. Es hat euch ja kaum geschadet, eine Minute länger zu warten», witzelt er. Doch sein Grinsen verschwindet blitzartig, als er Maya erblickt.
« Was ist passiert?»
«Erzähl ich dir später. Wir müssen Maya so schnell wie möglich in ein Krankenhaus bringen.»
Schreibwettbewerb 2022
2. Platz in der Kategorie 1./2. Klassen