Alltagsstress verbinden wir oftmals mit Faktoren, die sich ausserhalb unseres Familienlebens abspielen. Das fällt uns leicht, und es rechtfertigt unser tägliches Gestresstsein. Was wir gern verschweigen, weil es ein gesellschaftliches Tabu ist: Stress kann sehr wohl unmittelbar aus der familiären Situation erwachsen. Und noch immer sind die Leidtragenden zu oft die Mütter.
von Ella Karg und Leonie Kihm, G21K
Sie ist Rechtsanwältin, liebt es, in die Welt der Bücher abzutauchen, und ist seit drei Jahren alleinerziehend. Zusammen mit ihrer zehnjährigen Tochter, Hannah, wohnt sie in München. Stefanie Günzel steht stellvertretend für all jene Menschen, die ihre Kinder auf eigene Faust grossziehen – und denen es auch gelingt. Noch immer sind das vor allem die Mütter. Was speziell ist an Günzels Familiengeschichte: Sie konnte nicht nur Frieden schliessen mit der Situation und sich selbst – es haben sich durch den familiären Konflikt sogar neue Freiheiten offenbart.
Der Alltag
Am Morgen trennen sich die Wege der beiden: Stefanie Günzel betritt die Kanzlei oder den Gerichtssaal, und Hannah geht in die Schule – zurzeit in die 6. Klasse. Die Nachmittage der beiden sehen immer wieder anders aus. Manchmal gehen sie in die Stadt, manchmal auch zu Freunden. Die Zweisamkeit ist es, die zählt. Die Verbundenheit der beiden wird auch bei der Beschreibung eines normalen Abends klar. «Gegen acht geht Hannah ins Bett, dort reden wir über das, was den Tag über so geschehen ist, oder über das, was uns grad so beschäftigt.»
Die Herausforderungen
Den Fakt, dass Stefanie Günzel alleinerziehend ist, empfindet sie nicht als Belastung, vielmehr als eine Verbesserung im Vergleich zur vorherigen Familiensituation. Es geht um Nähe, um psychische Gesundheit, ums Sich-Ausdrücken. Durch die Trennung von ihrem Mann haben nicht nur die Streitereien aufgehört, sondern es haben auch Entwicklungen stattgefunden. Insbesondere in Bezug auf die Offenheit im Umgang mit Gefühlen und Gedanken, welche sie und ihre Tochter stets offen miteinander teilen. Und dennoch gibt es Herausforderungen und Hürden, die sie nicht allein meistern kann – so stark und mutig sie auch ist. So wendet sie sich in schwierigen Momenten an ihre beste Freundin. Reden, statt sich vom Kummer zerfressen lassen. Zum Beispiel, ganz praktisch, über die finanzielle Absicherung. «Neben den emotionalen Herausforderungen gibt es natürlich auch noch die materiellen Herausforderungen», sagt Stefanie Günzel. «Die bereiten mir immer mal wieder Kopfschmerzen, da ich nicht Vollzeit arbeiten kann und als Alleinerziehende alle Termine in der Schule wahrnehmen und auch bei Krankheiten von Hannah für sie da sein muss.»
Das Persönliche
Müsste man Stefanie Günzel mit drei Adjektiven beschreiben, dann wären es die folgenden: lebensfroh, begeisterungsfähig, frei. Sie lässt sich von den vielen Verpflichtungen nicht dauerhaft stressen oder gar beeinträchtigen. Nicht von Beruflichem, nicht von Erwartungen und Ansprüchen. Im Gegenteil: Sie hat gelernt ihre neue Situation als Bereicherung zu empfinden. Wenn Hannah bei ihrem Papa ist oder mit Freundinnen eine Übernachtungsparty feiert, dann nutzt Stefanie die Zeit stets, um sich selbst etwas Gutes zu tun: lesen, mit ihrer besten Freundin, die hier in der Schweiz wohnt, telefonieren oder verreisen. Nach Paris, zum Beispiel. Für ein Wochenende. Dann ist der Himmel wieder blau und ihre Gedankenwelt leichter.
Die Wünsche
Auf die Frage, was Stefanie Günzel besonders wichtig ist in ihrer Erziehung, antwortet sie ohne zu zögern: «Ich hoffe, ich kann dazu beitragen, dass Hannah sich selbst mag und stets authentisch bleiben kann.» Und, gross gedacht, ihre Wünsche für die Zukunft der Welt? «Leider muss ich mir auch wünschen, dass unseren Kindern ein Krieg erspart bleibt, dass sie weiterhin in einer Demokratie leben können, dass sie keine Angst haben müssen um ihre ausländischen Freunde und dass der Klimakollaps noch irgendwie abgewendet werden kann…» Auch über solche Themen redet sie mit Hannah. Jetzt müssen sie aber los. Hannah möchte noch die neue Ausstellung im Haus der Kunst besuchen.
Bild: zVg