2023, Aktuelles, Bericht, Sage & Schreibe Nr. 36

Auf und davon

Ein halbes oder ein ganzes Jahr fremde Familie, fremde Sprache und fremde Kultur satt – dies ist das Programm eines Austausch-Aufenthalts im Ausland. Jedes Jahr wagen zahlreiche Schülerinnen und Schüler der Alten Kanti das Abenteuer, sich auch im übertragenen Sinn auf unbekanntem Terrain zurechtzufinden. sage&schreibe hat vier Schülerinnen der Abteilung G21K gebeten, von ihren Erfahrungen zu berichten.

Ladner BC, Kanada. Der Countdown

Von Leonie Kihm, G21K

September 2021: Die Vorbereitungen haben angefangen! Ich habe unglaublich viele Formulare ausgefüllt und Dokumente eingereicht. Wöchentlich erhalte ich weitere Fragen und Infos. Der ganze Anmeldungsprozess ist sehr aufwendig und kostet viele (!) Nerven. So wirklich realisiert habe ich das Ganze noch nicht. Dafür ist es noch zu weit weg und nicht greifbar.
Mai 2022: Ich reise mit meiner Mama nach Berlin um meine Fingerabdrücke für das Visum abzugeben. Ausserdem habe ich endlich meine Gastfamilie bekommen und an einem Vorbereitungsseminar in Altdorf teilgenommen. So viele aufregende Neuigkeiten, trotzdem fühlt sich alles noch so surreal an.
Juni 2022: Ich beginne zu realisieren, was auf mich zukommt. Über meinen bevorstehenden Austausch rede ich praktisch jeden Tag, und ich merke, dass die ganze mentale Vorbereitung um einiges anstrengender ist als der Papierkram. Meine Gefühle fahren Achterbahn. Einerseits freue ich mich unglaublich auf das Abenteuer, andererseits überfordert mich allein der Gedanke daran komplett.
August 2022: Nun ist es soweit. Bin ich überhaupt bereit dafür? Habe ich alles eingepackt und nichts vergessen? Die letzte Woche vor meiner Abreise war stressig und schwierig. Meine Gefühle wechselten täglich. Die Verabschiedung von Freunden und Familie war schlimm, und es flossen viele Tränen. Auch jetzt, im Flieger, wechseln die Gefühle im Minutentakt – Vorfreude, Neugierde und Stolz, aber auch Trauer, Respekt und Verzweiflung. Jetzt gibts kein Zurück mehr. Ich zieh das durch!


[Bild:Leonie Kihm]

Victoria BC, Kanada. Nach 1 Monat

Von Hanna Siegel, G21K

Könnt ihr euch vorstellen, jeden Tag dieselben vier Fächer in derselben Reihenfolge zu haben? Genau so ist das hier in Victoria. Die Fächer kann man selbst aussuchen, und es gibt sogar Fächer wie Yoga, Meeresbiologie oder Kochen. Schule ist jeweils nur von 9.00 – 15.15 Uhr, aber es gibt viele zusätzliche Angebote vor und nach diesen Zeiten.
Ich gehe mit dem Bus zur Schule und brauche dafür etwa zwanzig Minuten. Die Busse hier sind wie die Züge in der Schweiz, einfach nicht ganz so pünktlich. Manchmal sind sie fünf Minuten zu früh oder fünf Minuten zu spät. Da ist viel Flexibilität gefragt. Auch wenn man mit anderen «internationalen» Leuten etwas unternimmt, denn Pünktlichkeit ist nicht in jedem Land so wichtig wie in der Schweiz. Die Quote von internationalen Leuten hier ist ziemlich hoch, was es leicht macht, einiges über andere Länder zu erfahren.
Was ich bis jetzt gelernt habe? Lebensmittelverpackungen in Kanada sind riesig. Vier Liter Milch, zwei Kilogramm Erdnussbutter oder fünf Kilogramm Haferflocken zuhause zu haben, ist hier völlig normal. Und leider: Gutes Brot gibt es praktisch nicht. Dafür massenweise und fast ausschliesslich pampiges Toastbrot aus der Tüte. Und wenn wir schon bei der Verpflegung sind: Kantinen sind in Victoria sehr unüblich; deswegen nehmen alle die eigene Lunchbox mit. Und nach der Schule trifft man sich bei Starbucks oder bei Tim Hortons, um einen Kaffee zu trinken. Nicht ganz unproblematisch, so viel Koffein auf den Abend, denn Kanadier gehen sehr früh schlafen.


[Bild:Hanna Siegel]

Washington, NJ, USA. Nach 3 Monaten

Von Jessica Berger, G21K

Nach drei Monaten und ein paar hundert «Nein, ich bin nicht aus Schweden» habe ich mich mittlerweile sehr gut hier in New Jersey eingelebt. In dieser intensiven Zeit habe ich mein erstes Football Spiel erlebt (genau: das Spiel, bei dem man den Ball in die Hände nehmen darf!), meinen ersten Homecoming Ball, und mein erstes Thanksgiving steht vor der Tür. Neben den typisch amerikanischen Festtagen gibt es aber noch ganz viele andere Dinge, an die ich mich gewöhnen musste. Darunter sind auch die Security Leute und die grossen Sicherheitsvorkehrungen an der High School, selbst wenn man nur auf die Toilette gehen will. Alle paar Wochen gibt es einen Probealarm, bei dem wir das ganze Gebäude evakuieren müssen. Dieser Kulturschock hat mich daran erinnert, wie viele Freiheiten wir an unseren Schweizer Schulen haben. Ich bereue es aber gar nicht, hier zu sein. Es hilft mir sehr, meinen Horizont zu erweitern und beispielsweise zu sehen, wie andere Schulsysteme funktionieren. Sport etwa ist ein wichtiger Teil der Schule. Der Unterricht endet schon früh am Nachmittag, damit die Schülerinnen und Schüler bei Sportteams oder Schulclubs mitmachen können. Ich selbst war Teil des Volleyball Teams im Herbst. Trotz des intensiven Trainingsplans und den vielen Spielen war es eine der besten Erfahrungen, die ich hier gemacht habe. Ich freue mich schon riesig zu sehen, wohin mich dieses Abenteuer als Nächstes bringen wird!


[Bild:Jessica Berger]

Edinburgh, Schottland. Vor Weihnachten

Von Mila Schwyter, G21K

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass schon Dezember ist. – Wir wissen alle, wenn wir gehen: Vieles wird im Austauschjahr anders sein als gewohnt. Niemand sieht alles kommen, aber allen wird bewusst, wie viel man als gegeben sieht – und wie wenig wirklich gegeben ist.
Ich habe vieles über Schottland gelesen, bevor ich hierherkam. Ich wusste, wie sich die Schulsysteme unterscheiden, dass Armut leider viel verbreiteter ist als zuhause, dass die Mehrheit der Schotten sich gerne von England lossagen würden und so vieles mehr. All das kann man sich anlesen; aber die wirkliche Erfahrung, tagtäglich damit konfrontiert zu sein, ist noch mal so viel eindrücklicher.
Wäre ich zuhause, wüsste ich längst, dass der Dezember angefangen hat, weil es überall gelbes Licht hat und weil es warm ist, wenn man in ein Gebäude kommt. So warm, das einem wohl wird. Hier ist es anders. So, wie zuhause im November. Alles Grau in Grau und kalt. Künstliches Licht gibt es zu viel, Weihnachtslichter. Sie hängen seit Mitte November, sie leuchten nicht gelb, sondern weiss oder farbig, und sie blinken unangenehm. Die Heimeligkeit, die ich mir in dieser Zeit gewohnt bin, bleibt dieses Jahr aus.
Aber auch in enttäuschenden Erfahrungen wie dieser liegt etwas Gutes; man kann sich denken: wieder etwas Neues gelernt. – Deshalb bin ich hier.


[Bild:Mila Schwyter]