Die Maturitätslehrgänge, die an den schweizerischen Gymnasien und damit auch an der Alten Kantonsschule Aarau geführt werden, basieren auf eidgenössischen Vorgaben, die vor gut zwanzig Jahren von Bundesrat und EDK erlassen wurden. Wegen des kleinen „Jubiläums“ dieses Maturitätsanerkennungsreglements (MAR) hat die Rektorenkonferenz der aargauischen Kantonsschulen im vergangenen Herbst/Winter eine bildungspolitische Doppelveranstaltung organisiert. Es soll hier auch Anlass zu einem kurzen Überblick über wichtige Grundlagen unseres heutigen Gymnasiums sein.
Das Maturitätsanerkennungsreglement (MAR) legt fest, welche Bedingungen die Maturitätslehrgänge und die Maturprüfungen der einzelnen Kantone erfüllen müssen, damit die von diesen ausgestellten Maturitätszeugnisse an den universitären Hochschulen Anerkennung finden. Wichtiger Bestandteil des MAR sind die im Artikel 5 formulierten Ziel- und Zweckbestimmungen von Bildung und Ausbildung an den schweizerischen Gymnasien. Deren Hauptpfeiler sind die Hochschulreife bzw. Studierfähigkeit sowie die vertiefte Gesellschaftsreife der Maturandinnen und Maturanden. Diese beiden Ziele sollen durch eine breite und kohärente Allgemeinbildung erreicht werden und explizit nicht durch eine vorweggenommene Spezialisierung oder gar spezifische Ausrichtung auf einzelne Studiengänge und Berufe. Diese Breite auf hohem Niveau in wichtigen, repräsentativen Fachbereichen ist der beträchtliche Aufwand für einen wertvollen Ertrag, nämlich den uneingeschränkten, allgemeinen Hochschulzugang mit einem kantonalen Maturzeugnis gemäss eidgenössischem MAR.
Die Festlegung, dass die Maturzeugnisse nach MAR den allgemeinen Hochschulzugang öffnen und nicht nur eine bestimmte Fakultätsreife bescheinigen sollen, ist die Basis für die Ausgestaltung der gymnasialen Lehrgänge, für die das MAR einen Rahmen vorgibt, den die einzelnen Kantone zur Konzipierung und Realisierung recht unterschiedlicher Lösungen genutzt haben. Die eidgenössischen Rahmenvorgaben für die Maturlehrgänge streben eine Balance an zwischen zwei Aspekten:
Welche Bildungsinhalte, welche Fächer, welche Kompetenzen sind unverzichtbar und obligatorisch für alle Maturandinnen und Maturanden?
Welche individuellen Akzente und Schwerpunkte soll eine Gymnasiastin bzw. ein Gymnasiast für ihre bzw. seine gymnasiale Laufbahn setzen können im Hinblick auf einen möglichst motivierenden, interessengeleiteten und dadurch entsprechend wirksamen Bildungsprozess.
Die Antworten auf diese beiden Fragen spiegeln sich auf der einen Seite im Grundlagenfachkatalog des MAR mit seinen vier Bereichen: Sprachen / Mathematik und Naturwissenschaften / Geistes- und Sozialwissenschaften / Kunst und auf der anderen Seite im Wahlbereich mit den Hauptelementen: Schwerpunktfach / Ergänzungsfach / Maturaarbeit.
Im Kanton Aargau wurde das Projekt der MAR-Umsetzung vor zwanzig Jahren, nämlich zu Beginn des Jahres 1996, gestartet. Es fand mit den entsprechenden politischen Beschlussfassungen im Sommer 1998 seinen Abschluss, wodurch der Weg frei war für die Realisierung der neuen MAR-Maturitätslehrgänge an den aargauischen Gymnasien ab Schuljahr 1999/2000. Speziell an diesem aargauischen MAR-Umsetzungsprojekt ist nicht nur das Ergebnis, zu dem es geführt hat, sondern auch die Tatsache, dass es nicht von der Bildungsverwaltung, sondern von der damaligen gymnasialen Rektorenkonferenz konzipiert und geleitet wurde. Der Aargau war mit seiner Umsetzung im Vergleich zu andern Kantonen relativ spät dran. Das war kein Nachteil, sondern insofern ein Vorteil, als man sich an den Beispielen anderer Kantone orientieren konnte, und zwar sowohl an guten als auch an weniger guten. Manche kantonalen MAR-Umsetzungen haben nämlich wesentliche Reformgedanken und Neuausrichtungen des MAR zu wenig umgesetzt und sich zu wenig gelöst von der alten Typen-Matur. Der Kanton Aargau hat mit seiner damaligen Maturlehrgangsreform eine echte Neuerung geschaffen, die in durchaus sinnvoller Weise den Zielen des MAR gerecht geworden ist.
Hauptmerkmal der aargauischen Maturlehrgänge ist deren 2/2-Strukturierung dieser, das heisst die Abfolge einer zweijährigen Grundstufe mit Konzentration auf die gleichen Grundlagenfächer für alle und einer zweijährigen Vertiefungsstufe mit einem erfreulich hohen Anteil von Wahlmöglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler. Diese sollen ihrem Maturlehrgang jeweils zu einem Zeitpunkt ein individuelles Profil geben können, zu welchem sie ihre mögliche Studienrichtung bereits ins Auge gefasst haben, das heisst nicht schon vor dem Eintritt ins Gymnasium. Dieses Ziel soll erreicht werden durch eine relativ späte Wahl des Schwerpunktfachs und auch durch die Wahl des Ergänzungsfachs und der Maturaarbeit erst gegen Ende der Gymnasialzeit. Eine Stärke der auch heute noch attraktiven und erfolgreichen Aargauer MAR-Lösung ist auch die gezielte Vorbereitung auf die wichtige Maturaarbeit durch einen in der dritten Klasse angesetzten Projektunterricht. Ein weiteres nennenswertes Element sind die Akzentfächer, die den Schülerinnen und Schülern bereits für die ersten beiden Gymnasialjahre eine – zwar begrenzte – Wahlmöglichkeit bieten und in manchen Fällen eine Orientierungsfunktion im Hinblick auf die Schwerpunktfachwahl haben. Und keineswegs vergessen darf man hier die Freifächer, welche das Bildungsangebot im Gymnasium auf stufen- und adressatengerechte Weise ergänzen und deshalb unverzichtbar sind.
Bei einem Überblick über MAR muss auf die Lehrpläne hingewiesen werden. An den Aargauer Gymnasien wurde nämlich bis 1999 zum allergrössten Teil ohne Lehrpläne unterrichtet. Erst mit der Einführung von MAR und im Rahmen des MAR-Umsetzungsprojekts wurden solche geschaffen, die sich am eidgenössischen Rahmenlehrplan von 1994 orientierten. Diese Lehrpläne wurden erst kürzlich vollständig überarbeitet, und zwar nach einem Grundkonzept, das gerade im Rahmen der Auseinandersetzungen um den Lehrplan 21 interessant ist. In den neuen aargauischen Lehrplänen für alle Fächer stehen die für die Gymnasialstufe adäquaten, bildungsrelevanten Fachbereiche und Fachinhalte im Zentrum, denen je spezifische Kompetenzen oder auch schlicht Lernziele zugeordnet sind. Diese Lehrpläne sind in passender und moderater Weise kompetenzorientiert und stehen über der Polarität Wissen versus Kompetenzen der Lehrplan 21-Diskussion. In Orientierung an den Lehrplänen sind soeben auch möglichst schlanke, aber genügend aussagekräftige und verbindliche Rahmenvorgaben für die Maturprüfungen an den aargauischen Gymnasien erarbeitet worden. Dies im Sinne der Qualitätssicherung sowie der Anforderungs- und Leistungstransparenz im Hinblick auf die langfristige Sicherung des allgemeinen Hochschulzugangs mit dem Maturzeugnis. Bei den Konzepten sowohl für die Lehrpläne als auch für die Maturprüfungen ist es gelungen, den richtigen Mittelweg zwischen gesamtkantonalen Rahmenbestimmungen und schulspezifischen Gestaltungsmöglichkeiten zu finden. Diese wichtige Ausgewogenheit in einem heiklen Spannungsfeld wird unterstützt durch eine sehr adäquate Ressourcierungslösung für die Kantonsschulen durch Globalbudgets. Auch dies ist eine wichtige Errungenschaft der letzten Jahre.
Martin Burkard, Rektor