Glück ist für jeden etwas anderes und für viele undefinierbar. Dabei wird das Glück auch wissenschaftlich erforscht. Wie geht das? Und was ist das für ein Forschungsgebiet? – Wir haben den renommierten Glücksforscher Mathias Binswanger in der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten besucht – und nachgefragt.
Mathias Binswanger, sind Sie glücklich?
Ja, ich muss natürlich glücklich sein. Schliesslich habe ich ein Buch geschrieben zum Thema Glück. Das wäre, wie wenn man ein Buch schreibt mit dem Titel «Wie wird man Millionär» und selbst keiner ist. Das wirkt nicht glaubhaft. – Ich bin also dazu verpflichtet, glücklich zu sein.
Was sind denn die Zutaten des Glücks?
Glück ist ein sehr vielschichtiger Begriff. Es setzt sich aus zwei Hauptkomponenten zusammen: Zum einen gibt es das langfristige Glück, auf gut Deutsch die «Lebenszufriedenheit». Die andere Komponente wird als «emotionales Wohlempfinden» bezeichnet. Das ist kurzfristig. Wenn ich Hunger habe, esse ich etwas; dann bin ich glücklich. Kurz danach stecke ich im Stau, dann bin ich etwas weniger glücklich. Das geht immer hoch und runter im Tagesverlauf. Glücklich sein bedeutet, grundsätzlich zufrieden zu sein mit dem eigenen Leben, aber auch, möglichst viele einzelne Glücksmomente erleben zu dürfen.
Haben wir unser Glück selbst in der Hand?
Zu einem grossen Teil, ja. Natürlich liegt es auch in den Genen oder der Veranlagung. Es gibt Menschen, für die es einfacher ist, glücklich zu sein, als für andere. Die Glücksforschung sagt, ungefähr 50 Prozent des Glücklichseins sind durch die Gene bestimmt, und die andere Hälfte hat man selbst in der Hand. Nun ist die Frage, ob man das Glas halb voll oder halb leer sieht – nur 50 Prozent oder immerhin 50 Prozent.
Wie kann man das Beste aus diesen 50 Prozent herausholen?
Man muss sich überlegen, was einen im Leben glücklich macht, und das keinesfalls aufgeben. Grosse Glücksmomente sind selten, deshalb sollte man sich an kleinen Dingen erfreuen. Auf der anderen Seite muss man sich bewusst sein, was einen am Glücklichsein hindert, und versuchen, diese negativen Faktoren zu verändern oder zu eliminieren. Ich schaue beispielsweise seit 20 Jahren kein Fernsehen mehr. Auch das Pendeln zur Arbeit macht unglücklich. Deshalb wohne ich bewusst nahe beim Arbeitsplatz.
Denken Sie, es wird uns schwer gemacht, glücklich zu sein? Oder stehen wir uns selbst im Weg?
Beides. Zum Teil stehen wir uns selbst im Weg. Ganz speziell in Ländern wie der Schweiz, wo man unter optimalen Bedingungen lebt. Wir konzentrieren uns vor allem auf das Negative und betonen, was nicht perfekt ist. In einem gewissen Ausmass wird es uns heute auch schwer gemacht, glücklich zu sein. Wir werden ständig dazu angehalten, uns mit anderen zu vergleichen. Wir wollen immer die Besten sein, aber es kann nur einer oben stehen. Dieser ständige Machtkampf hält uns davon ab, uns auf die Dinge zu konzentrieren, die uns eigentlich glücklich machen.
Kann man sagen, dass die Menschen in reichen Ländern glücklicher sind?
Bis zu einem gewissen Grad schon. Solange Menschen die Grundbedürfnisse nicht decken können, macht Einkommen glücklich. Wenn das Wirtschaftswachstum in armen Ländern zunimmt, werden die Menschen dort durchschnittlich glücklicher. In der Schweiz, wo ein Wirtschaftswachstum weiterhin stattfindet, werden die Menschen allerdings nicht mehr glücklicher, da die Grundbedürfnisse schon abgedeckt sind.
Wie kann man Glück überhaupt erforschen?
Leider gibt es keine Messgeräte, die uns einen objektiven Glückswert anzeigen könnten. Im 19. Jahrhundert entstanden Ideen für so einen Apparat; doch diese konnten nie realisiert werden. Wenn man also herausfinden will, ob die Menschen glücklich sind, muss man sie befragen. Das birgt jedoch immer gewisse Tücken. Es gibt den sogenannten «social desirability bias»; der besagt, dass Menschen oft angeben, sie seien glücklicher, als sie wirklich sind. Resultate sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen. Übrigens: Laut Statistik gehören die Schweizer zu den glücklichsten Menschen weltweit. Wenn man sich allerdings umschaut, fallen wir nicht unbedingt durch viel Lachen und Glücklichsein auf.
Wie kann man sich die Arbeit eines Glücksforschers vorstellen, und wie lässt sich das mit Ökonomie kombinieren?
Ich bin eigentlich nicht Glücksforscher, ich bin Ökonom. Die Glücksökonomie ist ein Teil der Volkswirtschaftslehre. Es geht darum, was das Ziel der ganzen ökonomischen Tätigkeit ist. Wofür arbeiten wir überhaupt? Was wollen wir erreichen? Geldverdienen ist nur die erste Stufe. Natürlich braucht es ein gewisses Einkommen, um überhaupt überleben zu können und Dinge zu tun, die glücklich machen. Danach folgt die zweite Stufe, bei der es darum geht, das, was einen glücklich macht, auch umzusetzen. Dafür braucht es Zeit und Energie. So gibt es unzufriedene Menschen, weil sie zwar Zeit, aber kein Geld haben – und andere, die zwar Geld haben, aber keine Zeit. Man muss also einen optimalen Mix finden.
Würden Sie sagen, dass die sozialen Medien einen Einfluss auf unser Glücklichsein haben?
Ich würde nicht sagen, dass soziale Medien grundsätzlich unglücklich machen. Es ist immer die Frage, wie man sie nutzt und ob man in der Lage ist, diese Nutzung zu kontrollieren – wie beim Fernsehen. Das virtuelle Leben sollte uns helfen, unser reales Leben zu verbessern. Leider ist oft festzustellen, dass das reale Leben nur noch dazu dient, im virtuellen besser dazustehen. Richtig glücklich macht das wohl nicht.
Wir bedanken uns bei Mathias Binswanger für das Gespräch. Und schon macht er sich zu Fuss auf den Heimweg – ohne auch nur eine Minute durch Pendeln zu verlieren.
Zur Person
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Privatdozent an der Universität St.Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen. Binswanger ist Autor zahlreicher Bücher, zum Beispiel «Die Tretmühlen des Glücks» (2006) oder «Geld aus dem Nichts» (2015).
Von Dominique Tanner und Hannah Mücke, G1L