Ein Künstler-Atelier, ausgestattet mit verschiedensten Werkzeugen. An den Wänden hängen nebst Tiergeweihen Fotos von Landschaften und unendlichen Weiten – aus Grönland oder Patagonien. Eines ist darauf immer zu erkennen: ein Mann, der sich ein Ziel gesetzt hat. Sei es als Expeditionsführer in der Arktis oder als Gleitschirmpilot mit einer Gämse als Passagier im Arm – seine Lebensart bedeutet Risiko. – Wir befinden uns im Büro von Thomas Ulrich. Und was für uns auf den ersten Blick nach Risiko aussieht, ist in Wahrheit detaillierte Planung.
Von Tatjana Gligorevic, Nick Häusler und Anna Piani, G19A
[Bild: zVg]
Es sind Selbständigkeit und Freiraum, die seinen Beruf ausmachen. Wie er sein Leben zu leben hat – das ist allein seine Sache. Ein ewiger Einzelgänger, der dafür sowohl Zuspruch als auch Kritik erntet. Thomas Ulrich tippt auf seine Uhr: «Ich wollte etwas finden, bei dem ich nicht ständig nachsehen muss, wann denn endlich Feierabend ist.»
Der Vierundfünfzigjährige schloss eine Lehre als Zimmermann ab, die ihn aber nicht erfüllte. Er entdeckte seine Leidenschaft für die Fotografie und schlug damit den Weg zum weltweit anerkannten Abenteuerfotograf ein. Erstmals finanziell abgesichert, machte er dann weitere Ausbildungen, etwa als Bergführer oder Gleitschirmpilot. So gesehen folgte sein Weg zur Berufung einem aufbauenden Prozess.
In grossen Figuren wie Sir Ernest Shackleton findet er Ideen für seine Projekte. So hat der legendäre Polarforscher die kommende Expedition, die für November dieses Jahres ansteht, inspiriert: «Quer durch Südgeorgien».
Die Angst, der Freund und Helfer
Thomas Ulrich – ein Abenteurer, der sich selbst als «ängstlich» bezeichnet und seine Expeditionen immer akribisch vorausplant. Es ist die Angst, die ihn am Leben hält; Als dreifacher Familienvater darf er es sich nicht leisten, fahrlässig zu handeln. Daher hält er sich von Extremsportarten wie Base-Jumping fern, diese seien zu wenig greif- und kalkulierbar.
Denn nicht alle Abenteuer enden gut. Tragische Geschichten von Freunden aber waren bisher kein Beweggrund, dem Abenteuer fernzubleiben. «Anders wäre es, wenn ich meine Kinder in Gefahr brächte. Deshalb bin ich sehr froh, dass sie nicht in meine Fussstapfen getreten sind!», fügt er schmunzelnd hinzu. Denn erst als er selbst Vater wurde, merkte er, welcher Sorge er seine eigenen Eltern aussetzte. Trotz allem hinderten die elterlichen Bedenken und Ängste ihn nicht daran, seine Träume und Ziele zu verwirklichen.
Ein Traum, der zum Albtraum wurde
2006 setzte sich der Abenteurer das Ziel, den arktischen Ozean von Sibirien nach Kanada zu durchqueren – allein. Doch das Scheitern gehört selbst bei genauster Planung dazu. Seine Reise endete damit, dass er vier Tage lang auf einer Eisscholle festsass. Nach seiner international vielbeachteten Rettung fand er sich in einem tiefen Loch wieder, aus dem er es lange Zeit nicht herausschaffte. Die Vorwürfe gingen tief, am meisten aber setzten ihm die Selbstvorwürfe zu. «Da habe ich schon auch am Sinn gezweifelt von dem, was ich tue.» Letztlich aber waren es diese intensiven Momente, die ihn Ruhe und Gelassenheit lehrten.
In der Natur sind wir alle gleich
Auf Gruppentouren sind es oft wohlhabende Leute in Führungspositionen, die bis zu 65’000 Franken zahlen, um ihn zu begleiten. Die Arktis aber, sagt Ulrich, lasse die Wichtigkeit von Positionen oder von Geld verblassen. Denn dort fänden sich alle auf derselben Ebene wieder. «Auf dem Eis kommt man sich näher. Solche existenziellen Erfahrungen prägen die Menschen auf eine einzigartige Weise. Das Leben ist kurz, deshalb darf es auch intensiv sein. – Ein bequemes Leben ist nichts für mich!»
Monatelang zu zweit unterwegs
Die Belastung bei Reisen, die Thomas Ulrich nicht als Leiter einer Gruppe antritt, sei deutlich geringer. Abenteuer mit Freunden kann er gelassener angehen und dabei lediglich die Verantwortung für sein eigenes Handeln und das der Begleitperson tragen. Selbstverständlich könne es schwierig sein, monatelang mit derselben Person und der Einsamkeit konfrontiert zu sein, sagt er, doch man sei zu beschäftigt mit den wirklich grossen Problemen, um sich darüber auch nur Gedanken zu machen.
Kein Vegetarier, dafür Jäger
Während einer weiteren Expedition nagte der Hunger an Ulrich und seinem Freund; die Nahrung war ihnen ausgegangen, der einzige Ausweg war das Erlegen eines Seehundes.
Aus dieser Begegnung, die letztlich sein Überleben gesichert hatte, entwickelte sich eine Leidenschaft: Heute ist Ulrich passionierter Jäger. Davon zeugen auch Hirschgeweihe und unterschiedliche Fotos in seinem Büro. Seinen Aussagen zufolge ist die Jagd für ihn so etwas wie das Gegenstück zur Massentierhaltung – eine gerechte Art des Fleischkonsums: «Wäre ich kein Jäger, so wäre ich wohl Vegetarier!» Auf der Jagd werde der Mensch auf seine natürlichen Eigenschaften reduziert. Insbesondere die Konfrontation mit sich selbst, der eigenen Persönlichkeit, ist auf der Jagd allgegenwärtig. In solchen Augenblicken, führt Ulrich aus, scheine die Zivilisation um einen herum zu verschwinden. Die Natur und die eigenen Sinne nutzen zu müssen, das sei etwas, was heutzutage nur sehr selten von uns verlangt werde.
«Haltet an euren Träumen fest!»
Thomas Ulrich lebt nun schon länger nach dem Prinzip, dass es jene Momente sind, von denen man nicht weiss, wohin sie führen, die das Leben spannend machen und einem Kraft geben. Deshalb wird er nicht aufhören, diese Momente immer aufs Neue zu suchen. – Und dann schliesst er energisch: «Eine erste Schwierigkeit ist kein Grund, sich geschlagen zu geben, denn es gibt nicht nur einen Weg, das Leben zu bestreiten. Haltet an euren Träumen fest! Die Welt steht einem offen, wenn man es zulässt!»
[Bild: zVg]