dies&das, Kolumne, Pausengeflüster, Sage & Schreibe Nr. 26

Der kubische Retter

Endlich ertönt das befreiende Klingeln der Schulglocke. In Windeseile packe ich meine Sachen in den Rucksack und stürme aus dem Zimmer. Schon die ganze Stunde habe ich darauf gewartet, mit dem kühlen Nass meine ausgetrocknete Kehle zu benetzen. Die Treppe hinunterstolpernd, bahne ich mir einen Weg durch den dichten Strom von Schülerinnen und Schülern. Der kubische Retter steht erhaben in der Ecke, als warte er nur darauf, eine verzweifelte Schülerin aus ihrer Not zu befreien. Zittrig werfe ich mit viel Mühe meine silbrigen Taler ein. Das Klimpern der Münzen ist Musik in meinen Ohren, ungeduldig wähle ich den rettenden Code. Die Spirale dreht sich um die eigene Achse, schiebt nach vorne, wonach ich mich so sehr sehne – die Erlösung ist zum Greifen nah. Doch der Sturz, der die Flasche freigeben würde, bleibt aus. Die Spirale hat meine Flasche nicht bis zum Abgrund gestossen. Entnervt hämmere ich mit der Faust gegen die Scheibe. Eine Welle der Erleichterung durchflutet mich, als der Impuls meines Schlags die Flasche tatsächlich nach unten befördert. Mein Glück hält allerdings nicht lange an, denn der Weg nach aussen ist blockiert, die Klappe hat sich bereits wieder geschlossen. Das Verlangen nach dem prickelnden Elixier ist mittlerweile unerträglich. Ächzend nach Erlösung zücke ich meinen Notgroschen und tippe willkürlich ein paar Tasten. Mit einem sanften Brummen schiebt sich das letzte Hindernis aus dem Weg. Ich berste schier vor Vorfreude, als ich mit geübtem Handgriff den Deckel entferne und die Flasche ansetze. Dann trinke ich. Was für ein Gefühl. Ich trinke. Tatsächlich. Ich trinke. – Unsanft holt mich das schrille Läuten der Schulglocke aus meinem rauschähnlichen Zustand. Tschüss Absenzpunkt.

Von Flavia Neuhaus und Tanja Notter, G3L