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Dichtestress am Hotspot 

Das Phänomen ist nicht neu, immer häufiger aber sind auch Orte in der Schweiz davon betroffen: Social-Media-Influencer posten Bilder von wunderbaren Naturlandschaften – worauf diese von Tourist/-innen-Strömen buchstäblich überflutet werden. Nicht selten bringen solche Hypes und der damit verbundene «Overtourism» für die Gemeinden mehr Probleme als Vorteile mit sich. Wir haben nachgefragt bei Gabriela Blatter, Gemeindeschreiberin von Iseltwald.

Von Luisa Dambach und Alessia Hostettler, G21K

Am Anfang war Netflix. In der koreanischen Netflix-Serie «Crash landing on you» spielt ein Offizier auf einem Holzsteg am Brienzersee für seine Liebste Piano. Innert Kürze hat sich nach Lancierung der Serie der Hype um diesen zugleich zauberhaften und unscheinbaren Ort in Iseltwald verselbständigt. Der Piano-Steg ist zu einem Selfie-Hotspot geworden. Für die kleine Berner Gemeinde eine Herausforderung.

Sage&schreibe: –Mit welchen Problemen sind Sie genau konfrontiert? Wie wirkt sich der zunehmende Tourismus ganz konkret auf das Alltagsleben der Gemeinde aus?
Gabriela Blatter: Die Auswirkungen sind beträchtlich. Die öffentlichen Busse sind überfüllt, private Einfahrten werden zugeparkt. Häufig wird auch die Privatsphäre von Anwohnerinnen und Anwohnern verletzt – etwa, wenn sich rücksichtslose Touristen in privaten Gärten aufhalten. Und dann kommen natürlich sehr viele Reisebusse mit Gruppenreisen nach Iseltwald.
Wegen des hohen Touristenaufkommens verkehrt nun fast jede halbe Stunde ein Bus Richtung Interlaken. Zudem hat der Dorfladen jetzt bessere Öffnungszeiten.

Bedroht der Tourismus auch die Natur?
Ja, denn mehr Verkehr – auch im Dorf – bedeutet einen höheren Schadstoffausstoss. Das ist für die Natur und damit fürs Klima natürlich ungünstig.

Sie haben die Notbremse gezogen und am Steg ein Drehkreuz montiert. Wer den Steg betreten will, entrichtet nun eine Gebühr. – Was versprechen Sie sich davon?
Die fünf Franken Eintritt, die wir am Steg verlangen, bedeuten eine gewisse Wertschöpfung. Viele Touristen besuchen ja nur kurz das Dorf, machen ein Foto auf dem Steg, lassen ihren Kehricht zurück, benutzen die Toilette und gehen dann wieder. Das heisst: Weder die Gastronomie noch die Hotellerie oder Läden profitieren von den vielen Hotspottouristinnen und -touristen.

Welche anderen Lösungsansätze wurden in der Gemeinde diskutiert?
Es wurde erwogen, den Steg abzubauen. Auch ein Fahrverbot für Reisebusse wurde diskutiert.

Wem kommen die zusätzlichen Einnahmen zugute?
Die Eintrittsgelder kommen vollumfänglich der Gemeinde Iseltwald zugute. So können wir verhindern, dass die Steuerzahlenden für die zusätzlichen Aufwendungen für Kehrichtbeseitigung und Reinigung der Toiletten aufkommen müssen.

Gibt es bestimmte Gruppen von Tourist(inn)en, die Sie ganz besonders anprechen wollen? – Und wer soll lieber nicht (mehr) nach Iseltwald fahren?
Wir hatten schon vor dem «Hype» um den Steg Touristen, und wir leben sicherlich auch davon. Viele von den «normalen» Gästen besuchen auch den Dorfladen, die Restaurants und bleiben einige Tage hier oder in der Region. Das passt. – Von den Selfie-Touristen hingegen hat das Dorf ausser Gratiswerbung nicht viel. Sie besuchen wie erwähnt nur den Steg – sie sehen sich nicht mal unsere schöne Halbinsel oder das Schnäggeinseli an.

Auch Iseltwald ist ja auf den Tourismus angewiesen. Aber er soll nachhaltig sein. Wie ist das zu realisieren?
Das ist natürlich sehr schwierig, und eine Gemeinde allein kann das nicht schaffen. Die ganze Region muss sich dieses Themas annehmen.

Bild: zVg

Bild: zVg

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