Das Chagall-Förderprogramm ist diesen Sommer im Raum Aarau ins zweite Jahr gestartet. Es unterstützt Jugendliche mit Migrationshintergrund oder aus finanziell bescheidenen Verhältnissen bei einem Übertritt in eine anspruchsvolle weiterführende Schul- oder Berufslaufbahn nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit.
Von Marianne Deppeler, Prorektorin und Co-Projektleiterin Chagall
Es ist Mittwochnachmittag, kurz nach 16.30 Uhr. Neun Jugendliche sitzen in einem Unterrichtszimmer der Neuen Kanti und lauschen aufmerksam den Ausführungen von Janine Richner, Lehrerin an der Neuen Kanti Aarau und Chagall-Coach. Sie übernimmt an diesem Tag den gemeinsamen Input-Block zur Auftrittskompetenz, bevor die Chagallerinnen und Chagaller an die praktische Umsetzung gehen. Sie werden dabei von zwei weiteren Coaches unterstützt, Bärbel Hess Bodenmüller, Lehrerin an der Alten Kanti, sowie Martin Meyer, Lehrer und Schulleiter an der Bezirksschule Suhr. Es herrscht eine gute Stimmung. Die Coaches haben viel Erfahrung und wissen, wie sie die Jugendlichen in einer ruhigen und motivierenden Lernatmosphäre ohne Ablenkung abholen können.
Die Jugendlichen schätzen das Zusatzangebot und die abwechslungsreiche Arbeit mit den drei Coaches, auch wenn sie mit ihrem Engagement am Mittwochnachmittag einen Teil ihrer Freizeit opfern müssen. «Ich lerne während Chagall konzentriert und habe die Hilfe, die ich brauche», sagt eine Schülerin. Der Junge neben ihr ergänzt, dass Chagall ihm helfe dranzubleiben, um seine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. In so einem Setting stellen sich rasch spürbare Erfolge und Fortschritte ein: «Mein Auftreten und meine Präsentationstechnik haben sich verbessert», sagt eine Schülerin. Ein Schüler hat gelernt, sich zu öffnen, und bemerkt eine Steigerung seines Selbstbewusstseins. Ein weiterer Schüler stellt fest, dass er viel fokussierter arbeiten kann. Die Jugendlichen unterstützen sich auch gegenseitig: «Wir sind alle in der gleichen Situation, niemand lacht über einen.» In der gleichen Situation: Das heisst bei vielen, dass sie daheim keinen ruhigen Arbeitsplatz haben, an dem sie ihre schulischen Aufgaben erledigen können oder dass die Eltern oder älteren Geschwister ihnen bei unterrichtsbezogenen Fragen nicht helfen können. Und vereinzelt kann es auch heissen, dass eine Schullaufbahn an einer Mittelschule oder die Perspektive einer anspruchsvollen Lehre nicht im Fokus der Familien stehen.
Potenziale nutzen
Das Potenzial dieser Jugendlichen zu nutzen, sie zu fördern und sie an eine höhere Schule oder Lehre hinzuführen, haben sich die verschiedenen Chagall-Programme in der Schweiz auf die Fahne geschrieben. (Über die Zielsetzungen und die Lancierung des Projekts wurde in sage&schreibe 37/2023 berichtet.) Die Projektträger werden dabei unterstützt vom Verein Allianz Chance+, der auch Vernetzungs- oder Weiterbildungsangebote für die Projektleitenden oder Coaches organisiert.
Für die drei Chagall-Coaches in Aarau ist es eine gewinnbringende Erfahrung, mit den Jugendlichen zu arbeiten. Dass die jungen Menschen so zielstrebig und konzentriert an ihren Zielen arbeiten, imponiert ihnen. Im engen Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern erfahren die Coaches viel darüber, «was die Einzelnen bewegt – sei es familiär, politisch oder schulisch», meint Martin Meyer. Für einige der Jugendlichen waren die letzten Jahre nicht einfach. Sie mussten sich gemeinsam mit Familienangehörigen gesellschaftlich und schulisch neu orientieren, mussten eine neue Sprache lernen und Erlebtes verdauen. «Mir gefällt, dass ich mit motivierten Schülerinnen und Schülern arbeiten darf, die aus ihrer teils schwierigen Situation das Beste machen wollen», fasst Bärbel Hess Bodenmüller ihre Motivation für Chagall zusammen.
Gewinn für den Raum Aarau
Mir geht es wie meinem Co-Projektleiter Thomas Müller von der Neuen Kanti Aarau: Wir sind beide überzeugt, dass das Chagall-Förderprogramm ein grosser Gewinn für den Raum Aarau ist. Das Echo der beteiligten Sekundar- und Bezirksschulen rund um Aarau-Lenzburg ist positiv. Das Angebot wird als wesentliche Bereicherung und Ergänzung der direkt an den Schulen etablierten Förderangebote wahrgenommen.