Essay, Kultur, Sage & Schreibe Nr. 21

Die Unbedienung

Ich glaube, mein Unbehagen begann an einem Kiosk, das war vor vielleicht drei, vier oder auch schon mehr Jahren. Eine freundliche Person nahm nicht nur mein Geld entgegen, die Frau fragte mich zugleich, ob ich nicht einen ‹Glacé-Pass› wolle. Jedes siebente Vanille-Cornet gratis! – Und wenn ich mich recht erinnere, steckte ich damals das Kärtchen auch ein. Dass hinter diesem Angebot keine einmalige Aktion steckte, sondern ein neues Verkaufsbeförderungssystem eingeführt wurde, ahnte ich damals freilich noch nicht. Ich schenkte auch den Broschüren, die mir plötzlich und umso penetranter am Kiosk ungefragt mitgegeben wurden, keinerlei Beachtung. Werbung halt, man ist es sich ja gewohnt. Alsbald aber sah sich die freundliche Person mir gegenüber auch genötigt, eine Sonderaktion anzupreisen. Mal dies, mal das. Selbstredend hatte das jeweilige ‹Schnäppchen› selten etwas mit dem zu tun, was ich im Begriff zu kaufen war, doch die Kioskfrau konnte nicht anders. Sie musste jedem Kunden das aktuelle Sonderdings anbieten, muss es noch heute. Der entsprechende Dialog ist inzwischen Standard: ‹Döf’s susch no öppis si?› ‹Nei, danke, dasch alles.› ‹Mr hettit do no –.› ‹Nei, dasch ALLES!› Anders gesagt, ich brauchte ein wenig Zeit, musste mich an der neuen Situation erst ‹abarbeiten›; ich versuchte den Gehetzten zu mimen, den Unfreundlichen, den Zerstreuten, wahlweise das eine mit dem andern in Kombination, um der quasi doppelt aufgenötigten Frage zu entgehen. Und, offen gestanden, ich tue mich heute noch schwer, verkünde an weniger guten Tagen freimütig, und dies bevor die freundliche Person mir gegenüber zu Wort kommt, dass ich weder Kaffee-, Glacé- noch sonst einen Pass begehre, auch sonst nichts, nur lediglich das zu zahlen wünsche, was ich auch zu erwerben gedenke. Das war gestern. Heute sehe ich mich mit einer weit verzwickteren Lage konfrontiert. Nachdem mein Gegenüber, die freundliche Frau, der nette Herr, sich nach allen Regeln der Kunst verbeugte und verbog, um – den Vorgaben des Arbeitgebers entsprechend – meinen Konsumwillen zu beflügeln, werden die Genötigten nun systematisch abgeschafft. Ich rede von den automatisierten Zahlungsstellen, die ausgerechnet unsere beiden alteingesessenen Schweizer Grossisten derzeit mit Nachdruck einführen. Das Perfide an dieser Umstellung ist die jetzige Situation, also die Möglichkeit für Kundinnen und Kunden, entweder klassisch an der Kasse zu bezahlen oder dann den Tauschhandel vor der Apparatur solo abzuschliessen. Perfid deswegen, weil die ‹menschlichen Kassen› chronisch unterbesetzt sind, damit jeder sofort sieht, um wie viel schneller er wäre, würde er die Zahlung doch im Alleingang erledigen. Als besonders ‹clever› taxiere ich den Umstand, dass diejenigen Kassen, die noch bedient werden, so platziert sind, dass schon das Schlange stehen schwierig, sprich unangenehm ist. Der Platz dafür fehlt, die Wartenden stehen andern im Weg, insbesondere jenen, die schon auf die moderne Zahlungsvariante umgestellt haben. Abgesehen davon sind die Kassen mit Gesicht mittlerweile auch so eingerichtet, dass der Kunde noch während des Zahlens von der noch immer freundlichen, aber doch auch inzwischen bedauernswerten Person gebeten werden muss, doch bitte das Einkaufskörbchen wieder mitzunehmen, um es am dafür vorgesehenen Ort abzustellen – denn bei der Kasse gibt es dafür keinen vorgesehenen Ort mehr. Wie nun aber bei meinem letzten Einkauf – ich stand noch in der Schlange – eine andere freundliche Person mich dazu einlud, doch eine der unbemannten Stationen zu nutzen, dort könne ich sowohl mit Karte als auch mit Bargeld bezahlen, rang ich mit der Fassung, und in der grössten Anspannung gelang es mir grad noch, heftig mit dem Kopf zu schütteln. Doch ich wagte es nicht mehr, der Frau an der Kasse, als ich kurze Zeit später an der Reihe war, noch in die Augen zu schauen. Tatsächlich hatte ich mir für einen Moment überlegt, ob die bedauernswerte
Person nicht erfolgreich wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz klagen könnte. Vielleicht ist es ja nur Trotz meinerseits, der mich
dazu nötigt, von den jüngsten Entwicklungen der Unbedienung zu berichten. Oder dann die Angst, weil ich schon auch um die Gewöhnung von uns Menschen weiss. Noch bin ich nicht willens, mich nach unbemannten Zahlstellen zu richten. Diese neuerliche ‹Entfremdung›, so fürchte ich, macht uns lediglich noch einsamer. Und wollte man dieser Befürchtung weiter nachgehen, vielleicht käme man gar auf eine unheilvolle Nähe von Einsamkeit und Unmenschlichkeit. Womöglich aber klingt das alles bereits hoffnungslos veraltet, nostalgisch erklärt, um nicht zu sagen larmoyant, dargelegt von einem, der den Anschluss längst verpasst hat und noch immer einem Kundenkontakt das Wort redet, obwohl es nicht einmal mehr das Wort noch gibt. Ich will es ja auch nicht leugnen: Die jüngsten Praktiken des Tauschhandels überfordern mich. Und ich sage das auch für den Fall, dass demnächst einer dieser pseudofreundlichen Temporär-Engagierten gegen unbekannt klagt. Weil ihm nämlich jemand in der Bahnhofunterführung auf seine Frage hin ‹Döf ich der mini zyt schänke?› ohne Vorwarnung, doch mit voller Wucht die Fresse polierte. Dieser Jemand war ich oder dann – die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – ein mir im Geiste Verwandter. Wer es am Ende aber auch war: Die Antwort war adäquat, in exaktem Mass so unpersönlich gemeint wie die vorangegangene Frage.

Von Markus Bundi