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Die Zürcher Tropen 

Vogelgezwitscher, tropische Hitze und der Geruch von Regenwald. So stellt man sich Urlaub auf Madagaskar vor. Aber der Schweissfilm auf der Haut ist echt, und wir sind im Masoala Regenwald im Zoo Zürich. 11’000 Quadratmeter Dschungel mitten in der Stadt. Dominik Ryser, Leiter Kommunikation des Zoo Zürich, begleitet uns auf dem Gang durch eine bizarre Parallelwelt.

Von Jessica Berger, Denys Chernov, Jakob Hechler

Es ist Montagnachmittag, der Zoo ist gut besucht von jungen Familien und Senior/-innen, die durch die Anlage schlendern. Beim Eingang zum Masoala Regenwald kommt Dominik Ryser mit einem sympathischen Lächeln auf uns zu und führt uns direkt in die Zürcher Tropen. Masoala? Wieso eigentlich? Ryser erklärt, dass die Idee des Masoala Regenwalds, der 2003 eröffnet wurde und rund 40 Wirbeltierarten beherbergt, die Verknüpfung zum Naturschutzgebiet «Masoala» auf der Insel Madagaskar ist. So soll aufgezeigt werden, was man an Flora und Fauna auf Madagaskar finden kann, aber vor allem auch, was es zu schützen gilt, weil immer mehr Lebensraum der Tiere zerstört wird. «Unser Ziel ist es, Besucherinnen und Besucher so zu bilden und zu informieren», sagt Dominik Ryser, «dass sie selbst etwas tun und Naturschutzprogramme unterstützen können, damit die Tiere gar nicht erst aussterben.» Die Tiere im Zoo kommen allerdings nicht aus der Wildnis. Es sind Zuchttiere aus anderen Zoos, die im Rahmen von Zuchtprogrammen untereinander ausgetauscht werden.

Während sich über uns ein Roter Vari zwischen den Ästen des Baumes entlanghangelt, fragen wir Dominik Ryser nach dem Temperaturmanagement in der Halle. «Wir schauen darauf,» sagt er, «dass die Temperaturen in der Halle relativ konstant zwischen 22 und 24°C liegen.» Allerdings räumt er ein, dass es im Sommer, wenn die Sonne auf das Gebäude brennt, unter dem Dach bis zu 46°C heiss werden kann. Die Wärme, ergänzt er, werde mithilfe von 40 Erdsonden erzeugt. Auch wenn im Winter die Aussentemperatur sinke, dürfe die Anzeige in der Halle nicht unter 18°C fallen. So sind auf dem Dach des Vorbaus zur Halle sechs Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung installiert. Fünf weitere sind aktuell im Bau. Zusätzlich bezieht der Zoo Ökostrom. Sollte es zu Problemen kommen, der Strom über längere Zeit ausfallen, gibt es Notstromaggregate. Insgesamt werden für den Betrieb des Masoala Regenwalds nicht weniger als zwei Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr gebraucht.

Künstliche Wärme und Klima
Gewiss, Erdsonden sind grundsätzlich emissionsfrei und tragen daher nicht zum Klimawandel bei. Dennoch wollen wir wissen, wie sich das künstliche Erwärmen eines riesigen Gebäudes mit der Klimakrise vereinbaren lässt. «Die Klimakrise und der damit verbundene Biodiversitätsverlust sind menschengemacht», sagt Ryser. «Unser Auftrag besteht darin, die Menschen hierhin zu bringen und ihnen dieses eindrückliche Erlebnis zu ermöglichen, ohne dass sie in ein Flugzeug steigen müssen. Ausserdem sorgen wir durch optimale Lebensbedingungen dafür, dass sich die Tierarten, die hier leben, fortpflanzen. Wir halten sogenannte Reservepopulationen und leisten damit indirekt einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz.» Würde also beispielsweise eine Tierart auf Madagaskar aussterben, wäre es möglich, ein Auswilderungsprogramm zu starten und so die Art zu erhalten.

Während Dominik Ryser zum nächsten Termin eilt, beschliessen wir, uns einer besonderen Challenge zu stellen.

Kreislauftest
Wir wollen uns eine Übersicht über den Indoor-Dschungel verschaffen und besteigen die Aussichtsplattform. Insbesondere an heissen Tagen soll man dies wegen Hitzschlag-Gefahr nicht tun, wird gewarnt, doch selbst bei Aprilwetter ist der Aufstieg eine Herausforderung für den Kreislauf, denn mit jedem Schritt wird es heisser. Oben angekommen, sind wir uns allerdings einig: Die Anstrengung hat sich gelohnt. Uns präsentiert sich eine komplett neue Perspektive auf das dichte Grün, und die exotischsten Vögel fliegen unerschrocken auf Augenhöhe an uns vorbei. Wir sind überwältigt, mitten in der Stadt Zürich – doch genau so muss es im Regenwald sein.

Bild: Maurice Zimmermann