2017, Essay, Im Fokus, Luft, Sage & Schreibe Nr. 26, Startbeitrag

Ein ganz besonderes Gemisch

Sie ist unsichtbar und nicht zu schmecken. Wir hören sie nicht, wir riechen sie nicht, wir spüren sie nicht. Ein merkwürdiges Phänomen, die Luft. Was ist das überhaupt? Und weshalb gibt es Luft? – Eine naturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit zwei grossen Fragen.

Luft ist nicht direkt sichtbar, das bedeutet aber nicht, dass Luft nichts ist. Im Gegenteil: Luft besteht aus Materie, wie alle anderen Stoffe auch. Dass dies so ist, zeigen uns etwa starke Winde und deren ungeheure Energie. So können bei einem Hurrikan Bäume gefällt oder Häuser zerstört werden. Unter weniger harschen Bedingungen kann der Wind ein Segelschiff oder ein Windrad (beispielsweise zur Stromerzeugung) antreiben. Und auch bei absoluter Windstille wird der Fallschirmspringer mit seinem Schirm dank der kleinsten Teilchen, der Moleküle, welche die Luft ausmachen, so stark abgebremst, dass eine mehr oder weniger sanfte Landung möglich ist.

Was ist Luft?
Luft ist genau genommen ein Gemisch aus vielen verschiedenen gasförmigen Reinstoffen, wobei ein Reinstoff aus nur einer Sorte kleinster Teilchen beziehungsweise einer Sorte Moleküle besteht. Die Moleküle von gasförmigen Substanzen fliegen im Raum umher und stossen – ähnlich wie Billardkugeln – ständig aneinander; die Moleküle sind also stets in Bewegung. Genau diese Teilchenbewegung nehmen wir als Temperatur und Luftdruck wahr.

Trockene Luft besteht hauptsächlich aus den gasförmigen Reinstoffen Stickstoff (N2, 78.08%), Sauerstoff (O2, 20.94%), Argon (0.93%) und Kohlendioxid (CO2, 0.04%); diese vier Hauptgase machen zusammen nicht weniger als 99.99% unserer Luft aus. Wasserdampf (H2O) ist ein weiterer Bestandteil der Hauptgase. Da der Gehalt von Wasserdampf in der Luft allerdings stark schwankt, nämlich zwischen 0 und 4%, wird die genaue Zusammensetzung für trockene Luft angegeben. Die restlichen Gase der Luft, die sogenannten Spurengase, machen insgesamt gerade mal 0.01% aus.

Da die einzelnen Moleküle der Luft homogen verteilt und für das sichtbare Licht transparent sind, ist die Luft für uns nicht sichtbar. Die Transparenz wird erst dann getrübt, wenn etwa Nebel oder Wolken auftreten. Nebel und Wolken bestehen aus kleinsten, flüssigen Wassertröpfchen, die sich in der Luft ansammeln. Dadurch wird die «Durchsicht» behindert.

Und weshalb gibt es Luft?
Als Luft wird das zuvor genannte Gasgemisch der Erdatmosphäre bezeichnet, deren Zusammensetzung sich seit der Entstehung der Erde stark verändert hat. Unser Planet entstand vor 4.6 Milliarden Jahren aus Gas und Staub. Die Masse des Planeten hielt die Uratmosphäre, die aus den leichten Gasen Wasserstoff (H2) und Helium bestand, durch Gravitation zusammen. Diese leichten Gase konnten aber dem Ansturm der Sonnenwinde aus dem All nicht standhalten und wurden weggeblasen, so dass die Erdatmosphäre zu jener Zeit praktisch keine Gase mehr enthielt.

Durch diverse Vorgänge im Erdinnern und die ständigen Meteoriteneinschläge wärmte sich die junge Erde vor ca. 4.4 Milliarden Jahren sehr stark auf; sie blieb daher in einem zähflüssigen Zustand. Das Entweichen von Gasen aus dem Erdinnern – vor allem durch Vulkanismus – führte dazu, dass sich eine neue Atmosphäre bildete, die hauptsächlich aus Kohlendioxid (CO2), Stickstoff (N2), Methan (CH4), Ammoniak (NH3), Schwefelwasserstoff (H2S) und Wasserdampf (H2O) bestand. Sauerstoff (O2) war damals noch kaum in der Atmosphäre vorhanden, da der reaktive Sauerstoff hauptsächlich in Verbindungen vorlag.

Zu jener Zeit regnete es ständig, da der Wasserdampf an den Aschestaubteilchen kondensierte und in flüssiger Form auf die Erdoberfläche fiel. Weil die Erde noch immer sehr heiss war, führte der Dauerregen dazu, dass das Wasser auf der Erdoberfläche umgehend verdampfte, was die Bildung von Gewässern (noch) verhinderte.

Erst vor ungefähr 3.5 Milliarden Jahren kühlte sich die Erde langsam ab, sodass das Wasser sich nun in flüssiger Form auf der Erdoberfläche ansammeln konnte. Ein Dauerregen über viele Millionen Jahre liess die Ozeane entstehen; dabei wurden zugleich das viele (und gut wasserlösliche) CO2 und die Schwefelverbindungen aus der damaligen Luft ausgewaschen. Übrig blieb im Wesentlichen der kaum wasserlösliche Stickstoff.

Aus Wasserdampf und CO2 entstanden unter Lichteinwirkung erste, noch geringe Mengen von Luftsauerstoff (O2). Dabei begann sich auch die Ozonschicht (O3) in der Stratosphäre auszubilden.

In grösseren Mengen wurde Sauerstoff aber erst vor ca. 2.5 Milliarden Jahren produziert, als erste primitive Lebewesen im Wasser Photosynthese zu betreiben begannen. Dabei entstand als «Abfallprodukt» Sauerstoff (O2), der sich im Wasser der Ozeane löste und sich dort vorerst anreicherte. Wegen der geringen Löslichkeit entwich der restliche Sauerstoff in die Erdatmosphäre. Erst zu jenem Zeitpunkt war die Entwicklung von Leben, welches viel Sauerstoff benötigt, an Land möglich. Zudem schützte die Ozonschicht das sich entwickelnde Leben auf der Erde vor schädlichen UV-Strahlen der Sonne.

Die Sauerstoffkonzentration in der Luft nahm durch die Photosynthese kontinuierlich zu, bis sie vor 200 Millionen Jahren einen Wert von ungefähr 20% erreichte. Bis heute hat sich die Zusammensetzung der Luft (inkl. der Ozonschicht) nur noch minim verändert.

Die Luft, wie wir sie heute kennen, gibt es also, weil sie über Milliarden von Jahren entstand. Die Luft steht denn auch am Anfang der Geschichte der Menschen: Wie die anderen Lebewesen auf unserem Planeten konnten auch wir uns wegen der Luftzusammensetzung und des Aufkommens von Luftsauerstoff erst entwickeln.

Anders gesagt: Luft gibt es nicht, weil sie für uns Menschen lebenswichtig ist; sondern wir existieren, weil wir mit der Luft «umgehen» können.

Von Christoph Wullschleger, Chemielehrer