2021, Aktuelles, Im Fokus, Lifestyle, Sage & Schreibe Nr. 34, Wortwechsel

Ein Quöllfrisch – und ab nach La Spezia

Ende November trafen sich drei weisse verheiratete Männer, mittleren Alters im Zimmer15 und diskutierten zwei Stunden lang mehr oder weniger erfolgreich über den BegriffLifestyle. Getrunken haben sie dazu ein Appenzeller Quellfrösch, welche einer der dreiaus einer weissen 5-Rappen-Plastik-Tüte des nahen Grossverteiler gezaubert hatte.

Von Michael Bouvard, Simon Scholl und Michael Schraner

Michael B.: Eigentlich weiss ich gar nicht so recht, was das heisst Lifestyle.Michael Sch.: Übersetzt heisst es ja Lebensstil und be-schreibt eine Lebensweise. Man definiert sich über die Zu-gehörigkeit zu einer Peergruppe und über Materielles.

Simon: Im Sport definieren sich Fussballer über Frisuren und Tattoos, Snowboarder und Skifahrer über bestimmte Kleidermarken und Skater über ein bestimmtes Outfit und eine eigene Sprache.

Michael Sch.: Bei uns in der Kanti gab es die Buntfalten-hosenfraktion und diejenigen welche die Hosen tief trugen und Hip-Hop hörten. Zweimal dürft ihr raten, zu welchen ich gehört habe.

Michael B.: Also gehört alles dazu, was das Leben ausmacht, Musik, Kleider, Film, Vorbilder. Aber auch alles was man von sich weist, von was man sich abgrenzt und wasman nicht sein will.

Michael Sch.: Ja, genau. Auch Antimaterielles, Einstellung, Haltung und Werte gehören zu einem Lifestyle.

Michael B.: Dabei stellt sich aber immer auch die Frage: bin ich das wirklich, oder will ich das nur sein?

Simon: Du meinst, um dazu zugehören oder weil dieserLifestyle gerade cool und angesagt ist?

Michael B.: Ja, genau! Und eine gewisse Beharrlichkeit und Kontinuität gehört meiner Meinung nach zu einem echten Lifestyle. Man kann nicht nach zwei Monaten bereits kein Surfer mehr sein.

Michael Sch.: Aber die Rollenspieloptionen der sozialen Plattformen sind viel flexibler, als dies unsere analoge Jugend vor 30 Jahren war. Der Lifestyle unserer Kinder besteht doch gerade daraus, an verschieden virtuellen Orten in unterschiedliche Rollen zu schlüpfen.

Simon: Diese Rollen geben wohl auch Halt und helfen einem sich zu definieren, zu finden und auszuprobieren.

Michael B.: Durch vorgefertigte Rollen wird vieles einfacher und klarer. Viele Fragen stellen sich gar nicht.

Anschliessend wurde länger darüber debatiert, ob Lifestyle sich auf die Freizeit beschränkt, bzw. ob die Realität als Kantilehrer oder das Eltern sein auch Lifestyle sind und ob man als Einzelner verschiedene Lifestyles hat oder ob ein Lifestyle aus verschiedenen Welten bestehen kann. Dabei wurde auch ein Banker erwähnt, der in seiner Freizeit leidenschaftlich Origami faltet und über Leute gesprochen, deren äusseres Bild nicht zum Inneren passt(punkige Schale um einen konservativen Kern).

Simon: Jugendliche habe heute Mühe, sich von den Erwachsenen abzugrenzen und leben gesundheitsbewusster und ökologischer als unsere Generation.

Michael B: Man könnte darüber spekulieren, ob damit auch die Lifestylevielfalt abgenommen hat?

Michael Sch.: Vermutlich ja. Und die Jugendlichen sind perspektiveloser. Eine Art Biedermaier reloaded. Mit dem einzigen Ziel, einmal eine Familie zu gründen und sich ein Haus zu leisten.

Michael B.: So, wie wir drei ; – ).

Im Weiteren Verlauf wurde darüber gesprochen, ob Lifestyle ein Phänomen unserer Zeit ist oder ob es im Mittelalter auch schon einen Lifestyle gegeben hat. Einig wurde man sich darüber, dass Lifestyle ein gesellschaftlich-kulturelles Luxusproblem ist und ein Rollenswitch und der Fokus auf sportlich-kulturelle Äusserlichkeiten und Produkte immer extremere Formen annimmt(der Energy Drink vom Hip Hop Star). Eigenartigerweise wurde dabei auch der barocke Begriff des Gesamtkunstwerks ins Feld geführt.

Michael B.: Es stellt sich die Frage, ob es in der heutigen alghorithmisch gelenkten Welt noch die Möglichkeit gibt, einen echten, ehrlichen, intrinsich motivierten Lifestyle zu leben?

Simon: Man dreht sich beim Suchen im Internet im Kreis, es findet keine Entwicklung statt.

Michael Sch.: Die echte Wahl gab es doch nie. Als Skaterlebt man auch in einer Bubbel und wenn man auf dem Landaufgewachsen ist, hatte man auch keine echte Wahl.

Simon: Entscheidend ist doch, dass es sich für einen echt anfühlt. Egal ob früher oder heute ob KI determiniert oder real existierend.

Im Weiteren Verlauf des Gesprächs drehen sich die drei Herren mehrfach im Kreis, ohne weitere Aspekte herauszuschälen. Der Begriff der Authentizität wurde dabei mehrfach bemüht. Die Echtheit bestimmter Lebensphasen und Ideen wurden diskutiert und die Relevanz von Vorbildfiguren betont.

Michael B: Wie ernst war etwas? War ich damals ein Fake?

Simon: Im Moment war es ernst und damit ist es ok.

Michael Sch.: Wir tun immer so, wenn wir immer freie Wahl hätten. Doch das stimmt einfach nicht.

Michael B: Je älter man wird, umso breiter ist der Lebensfächer, früher konnte man noch viel fokusierterter agieren.

Michael Sch.: Der sentimentale Blick zurück gehört aufjeden Fall auch zu unserem Lifestyle.

Michael B.: Ein Lifestyle ist immer auch ein Filter für die Welt, die uns umgibt.

Je länger das Gespräch dauert – wir sind hier erst bei Minute 44 der Aufzeichnung – umso mehr wird es zu einem intensiven Gespräch unter guten Freunden. Dem Lifestyle der drei Familienväter tut es offenbar gut, einmal wieder einfach Zeit zu haben, bzw. sich Zeit zu nehmen. Die wichtigsten Themen werden anschliessend in der schulnahen Pizzeria besprochen. Das Aufnahmegerät blieb dabei ausgeschaltet.