Grässlich. Einfach grässlich. Endlich habe ich ein passendes Wort für die Kakofonie namens «Babywillstmeinneuesstückhören». Existiert eigentlich Ohrenkrebs? Ich fürchte, schon. Bestimmt gibt es Klänge, welche die Ohrenzellen mutieren lassen. Und am Ende werde ich eine Radio-Therapie in einem spezialisierten Krankenhaus irgendwo in Israel über mich ergehen lassen müssen. – Es regnet wieder. Zum wievielten Mal heute? – Vielleicht bin ich einfach zu altmodisch und checke das moderne Zeug nicht. Ich meine, wenn du mir von deinen musikalischen Reisen erzählst, die nur in deinem Kopf stattfinden, dann wird mir einfach nur übel. Moment – diese Passage kenne ich – die kommt auch in einem anderen Stück vor, nicht? Na ja. Mama hat immer gesagt, das Leben mit einem Musiker sei anstrengend. Sie hatte Recht. Mama hat immer Recht. Ich sollte sie vielleicht mal anrufen und fragen, wie es ihrem Pudel geht. Bono. Schon sein Vorgänger hiess so. Sie wählt immer denselben Namen. Keine Veränderungen – kein Stress. Gutes Motto, Mama.
Stille? – Ist das eine Pause? – Oder bist du –
«Und? Wie findest du’s?»
«Ich – interessant.»
«Toll, nicht? – Find ich eben auch. Das müssen wir feiern! Ich hol mal den Wein.»
«Gute Idee.»
Genau, was ich jetzt brauche. Nüchtern bin ich oft zu nett zu den Menschen, die es nicht verdient haben. Gleich wirst du mit der Fragerei anfangen. Wie war dies, wie war das… Und wieder werde ich dich belügen. Für meine Kritik bist du zu sensibel.
«Da bin ich wieder. So, hier ist dein Glas.»
«Danke.»
«Zum Wohl!»
«Zum Wohl.»
«Lecker, nicht? – Welcher Teil hat dir am besten gefallen?»
«Also – ich fand den Anfang nicht schlecht.»
«Nicht wahr? Und weisst du was? Den hab ich dir zu verdanken. Du warst meine Muse, Mäuschen.»
«Na ja.»
«Doch, doch! Schöne Dinge inspirieren mich.»
«Dinge?»
«Du weisst was ich meine.»
«Klar.»
«Ist was?»
«Warum meinst du?»
«Der Unterton.»
«Du täuschst dich.»
«Und weshalb lächelst du nicht?»
«Warum sollte ich?»
«Hey – das Stück habe ich für dich komponiert!»
«Hast du schon gesagt, ja.»
«Also?»
«Was also?»
«Also, was gefällt dir nicht?»
«Alles ist okay.»
«Nein, ich kenn dieses Gesicht. Diese Maske. Was ist los?»
«Fang jetzt mit diesen pompösen Ausdrücken an. Das nervt.»
«Ach, das nervt. Und was nervt dich sonst noch?»
«Nichts.»
«Vielleicht bin ich’s? Du nervst dich über mich?»
«Ich habe keine Antwort auf diese Frage.»
«Gut. Dann sage ich dir, was mich nervt!»
«Also, los.»
«Wenn du so tust.»
«Wie so?»
«So wie jetzt. Ich gebe mir Mühe, arbeite bis zur Erschöpfung, und das Einzige, was ich zurückbekomme, ist deine Grimasse und dein ‹Allesistokay›. – Nichts ist okay!»
«Hast du eben ‚arbeite‘ gesagt?»
«Was meinst du?»
«Ich meine, Amklavierhockenundwartenbisdeinemusenachhausekommt ist keine Arbeit. In diesem Haus bin ich diejenige, die arbeitet.»
«Ja, als Kassiererin in der Migros .»
«Immerhin ein Job.»
«Komponist ist auch ein Job.»
«Natürlich.»
«Dann labere nicht so einen Scheiss.»
«Du findest das eintönig, ich weiss. – Aber deine Kompositionen sind es auch. Sie sind alle gleich.»
«Wenn du sie nicht voneinander unterscheiden kannst, heisst das noch lange nicht, dass du Recht hast.»
«Immer dieselbe Melodie. Wenn man das so nennen kann.»
«Quatsch, man nennt das Variationen.»
«Das sind keine Variationen, das ist anstrengender Ideenmangel.»
«Was verstehst du schon davon. Vergiss nicht, was ich studiert und schon erreicht habe. Musik und Theater schrieb sogar – »
«Einen Artikel über dich. Ja, ich weiss.»
«Menschen, die sich auskennen, verstehen mich. Und meine Musik.»
«Der Artikel erschien vor vier Jahren. Dann haben sie dich vergessen.»
«Wie kommst du auf so was?»
«Warum musst du immer so stur sein?»
«Stimmt gar nicht.»
«Siehst du, jetzt bist du es wieder.»
«Nein.»
«Doch, natürlich. – He, hallo? – Läufst du jetzt einfach davon oder was? Wir müssen reden.
«Moment.»
Warum muss ich immer auf dich warten? Seit Jahren warte ich auf dich. Und wann hast du mir das letzte Mal zugehört? – Was ist mit uns passiert? Wie sind wir soweit gekommen? Ich bin so müde. Ich habe so genug von dir, von deiner Musik, von deiner Sturheit. Die Zeit ist reif. Ich muss es tun. Aber da bist du ja wieder.
«So, jetzt können wir reden.»
«Dein Ernst? Eine zweite Flasche?»
«Kann helfen.»
«Ist es so schlimm?»
«Keine Ahnung. Du willst ja reden.»
«Ja.»
«Na dann. Schiess los.»
«So geht es nicht.»
«Wie?»
«Seit Jahren dasselbe. Mit uns. Ich hab genug davon. Ich kann nicht mehr.»
«Was meinst du damit?»
«Ich. Kann. Nicht. Mehr.»
«Und was wirst du tun?»
«Ich wollte es dir schon lange sagen, aber –»
«Dann sag es jetzt.»
«Ich denke –»
«Ja?»
«Wir müssen etwas ändern.»
«Und das wäre?»
«Lass mich ausreden.»
«Entschuldige.»
«Wir –»
«Nun sag schon.»
«Ich denke, was wir brauchen, ist –»
«Nur zu!»
«Eine schöpferische Pause.»
Von Sofiya Schweizer, G2A