Essay, Gesundheit, Im Fokus, Sage & Schreibe Nr. 20

Fit wie ein Kantischüler

Fit wie ein Neandertaler? In der Steinzeit haben die Menschen täglich gegen 4000 Kilokalorien umgesetzt. Sie waren hauptsächlich Fleischfresser und mussten, weil ihre Nahrungsquellen weit verstreut waren, beim Essenbeschaffen einen hohen Energieaufwand leisten. Ziel für sie war es, ein ideales Verhältnis zu finden zwischen Aufwand und Ausbeute. Heute setzen wir nur noch zirka 2000 bis 2500 Kilokalorien um. Wie aber stellt sich das ideale Verhältnis von heute dar? Hungrige Schüler und Schülerinnen sind auf der Suche nach (geistigem) Futter – Aufwand und Energieverbrauch werden dabei oft so minimal wie möglich gehalten.

Was verstehen Kantischüler und -schülerinnen unter „fit sein“? Hier ein paar Beispiele:
„Wenn ich mich mental und körperlich in einem gut-trainierten Zustand befinde.“
„Für mich bedeutet „fit sein“ seelische und körperliche Gesundheit.“
„Fit sein ist für mich, ein positives Körpergefühl zu haben.“
„Wenn ich fit bin, fühle ich mich selbstbewusst, bin körperlich trainiert und geistig fokussiert.“

Im Allgemeinen wird Fitness oft als körperliches und auch als geistiges Wohlbefinden verstanden. Fit sein bedeutet, wir sind im Alltag produktiver und können Belastungen eher standhalten. Durch ein Fitnesstraining wird das Risiko für einen Herzinfarkt oder Fettleibigkeit gezielt verringert. Wir können uns besser konzentrieren und unsere Leistungsfähigkeit wird gesteigert. Menschen, die sich aktiv fit halten, gelten als gesünder und leben statistisch gesehen länger.

Eine „bewegte“ Stunde täglich

Das Bundesamt für Gesundheit und das Bundesamt für Sport sind sich einig: Jugendliche sollten sich zu ihren Alltagsaktivitäten mindestens eine Stunde pro Tag mit mittlerer bis hoher Intensität bewegen. Eine mittlere Intensität ist zum Beispiel mit dem Velo zur Schule fahren. Eine Aktivität, bei der man zumindest etwas ausser Atmen kommt. Eine hohe Intensität führt hingegen klar zu einem beschleunigten Atmen und verursacht Schwitzen (Joggen, Fussball spielen, Tanzen, Schwimmen usw.). Der Sportunterricht mit seinen gesetzlich verankerten drei obligatorischen Lektionen hilft mit, den Bewegungsempfehlungen des Bundes nachzukommen, sie genügen aber bei weitem nicht. Für Schüler und Schülerinnen sind also zusätzliche Aktivitäten in einem Verein oder mit einer Interessengruppe angezeigt.
Bewegung und angepasste sportliche Aktivität haben in vielerlei Hinsicht einen positiven Effekt auf den Fitnesszustand. So verbessert sportliches Tun einerseits die „physischen Ressourcen“ (unsere Kraft-, Ausdauer- und Dehnfähigkeit sowie die koordinativen Fähigkeiten), zudem werden die verschiedensten Organsysteme (insbesondere das für die Gesundheit wichtige Herz-Kreislauf- und das Immun-System) gestärkt und die Regenerationsfähigkeit verbessert. Durch die Bewegung lernen wir andererseits unseren Körper, dessen Organe und Funktionen bewusster kennen und nehmen ihn auf eine neue Art wahr. Unsere „psychischen Ressourcen“ wie das Selbstbewusstsein, das Selbstwertgefühl, das Selbstvertrauen sowie Gefühle und Stimmungen werden dadurch gestärkt. Auch die kognitiven Fähigkeiten werden dadurch verbessert.
Sportliches Handeln bietet zudem ideale Möglichkeiten, die Interaktion zu Mitmenschen unmittelbar erfahren zu können. Auf sozialer Ebene hilft Sport bei der Integration und auch bei der Erziehung zu einem aktiven und gesunden Lebensstil. Folglich bilden Zugehörigkeits- und Geborgenheitsgefühle die wesentlichen „sozialen Ressourcen“. Und schliesslich bringt uns Bewegung und Sport der Natur und Umwelt näher, die uns als Regenerationsraum dienen. Ihre anregende und zugleich beruhigende Kraft nutzen wir als „ökologische Ressourcen“.

Motivation und Herausforderung

Eine wichtige Frage betreffend der individuellen Fitness ist wahrscheinlich: „Was bewegt dich?“ Persönliche Faktoren wie Einstellung, Wille, Motivation oder positive Erwartungen sind die wichtige Grundlage für einen fitten Menschen im Alltag. Unsere Schüler und Schülerinnen haben eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich an unserer Schule zu bewegen und zu entfalten. Und die heutige Generation Y möchte ja bekanntlich alle Möglichkeiten gleichzeitig ausschöpfen. Wie viel Herzblut in eine Sache investiert wird, hängt sicher nach wie vor von einem positiven Erlebnis ab. Dazu gehören spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Wer sich beispielsweise im Wasser unsicher fühlt, wird auch weniger oder gar nicht schwimmen gehen. Alle Pädagogen sind grundsätzlich gefordert, den Schüler und Schülerinnen diese positiven Eindrücke im Unterricht zu vermitteln. Nur solche Aha-Erlebnisse führen dazu, dass sich Interesse bildet und festigt. Fitness hängt immer auch mit Können und dem Verständnis für eine Sache zusammen.
Kantischüler und – schülerinnen früherer Generationen haben deutlich mehr körperliche Arbeit geleistet als heute. Technische Errungenschaften haben das gesellschaftliche Verhalten verändert und uns in unserem Alltag bewegungsarm werden lassen. Heute geht vieles sehr einfach. Das Kommunizieren per Chat, die Recherche im Internet, das Berechnen mit dem Taschenrechner…
Für die Gesundheit und die Fitness ist dies ungünstig, denn, um auf den Neandertaler zurückzukommen, der menschliche Organismus ist darauf ausgerichtet, sich auf der Suche nach Nahrung fortzubewegen. Unser Körper braucht deshalb auch heute noch ein gesundes Mass an körperlicher und geistiger Beanspruchung, um optimal zu funktionieren und fit zu bleiben.
Noch allzu oft wird heutzutage Gesundheit mit Abwesenheit von Krankheit oder mit dem Versuch, Risikofaktoren zu meiden, in Verbindung gebracht. Diese einseitige Theorie war für den Medizinsoziologen Aaron Antonovsky ein ungenügender Erklärungsansatz. Seine Untersuchungen bei ehemaligen KZ-Insassen haben gezeigt, dass diese sich trotz Misshandlungen in einem relativ guten gesundheitlichen Zustand befanden. Die interessante Frage für ihn war, weshalb Menschen auch unter widrigen Umständen nicht erkranken, sondern gesund bleiben. Antonovsky entwickelte daraus die Überlegungen zur Salutogenese. Er kam zum Schluss, dass Krankheit und Gesundheit nicht als gegensätzliche Grössen beschrieben, sondern als dynamische Wechselbeziehung von Anforderungen und Ressourcen angesehen werden müssen. Unsere Schüler und Schülerinnen sind also laut diesem Modell mehr oder weniger krank oder mehr oder weniger gesund. Im Mittelpunkt der Salutogenese steht als Basis für Handlungsfähigkeit die Kompetenz, innere und äussere Belastungen als Herausforderung zu verstehen und sie so besser bewältigen zu können. Antonovsky geht davon aus, dass es jedes Individuum zu einem grossen Teil selbst in der Hand hat, seine Gesundheit positiv zu beeinflussen und zu verändern.

Empowerment

Heute braucht es eine neue Bewegungskultur. Jeder Schüler und jede Schülerin sollte sich fragen, was kann ich für meine Fitness tun. Prophylaktisch gegen Krankheit und Unwohlsein vorgehen, macht mehr Sinn, als auf Beschwerden wie Rückenschmerzen, schlechten Schlaf, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen reagieren zu müssen. Entscheidend für eine gute Fitness ist nicht, dass einfach auf alles Ungesunde verzichtet wird. Vielmehr sollten Handlungen begünstigt und Verhaltensweisen eingeübt werden, die gesundheitsfördernde Effekte haben. In unserer sitzlastigen und konsumfreudigen Gesellschaft braucht es eine neue individuelle Bewegungskultur. Treppen steigen anstatt den Lift zu benützen, mit dem Velo oder zu Fuss den Alltag bestreiten.
Ein Schlagwort aus dem englischen passt gut in die heutige Fitnesskultur der Alten Kanti Aarau: Empowerment. Das bedeutet so viel wie, dass unsere Schüler und Schülerinnen lernen sollen eigenverantwortlich und selbständig ihre Gesundheit zu fördern.
An der Alten Kanti sollen die Schüler und Schülerinnen Bewegung verstehen lernen, Bewegung erleben und geniessen. Der Sportunterricht ermöglicht den Schüler und Schülerinnen, ihre Freude am Sport zu entdecken und auszuleben. Sie erwerben bewegungstechnische Grundlagen und sammeln Erfahrungen in verschiedensten Sportarten. Sobald die koordinativen Fähigkeiten (Gleichgewicht, Rhythmus, Orientierung, Reaktion und Differenzierung) im Bewegungslernen ins Spiel kommen, werden auch die kognitiven Prozesse gefördert.
In aufwändigen Untersuchungen hatten Kinder und Jugendliche täglich eine Stunde Sportunterricht anstelle von anderen Fächern. Die schulischen Leistungen derjenigen Schüler und Schülerinnen, die weniger theoretische Fächer und dafür mehr Sportunterricht hatten, waren besser oder zumindest gleich gut wie die derjenigen, die den normalen Unterricht besuchten. Zusätzlich waren die Jugendlichen aus der Gruppe mit dem täglichen Sport fitter, weniger aggressiv, lernbereiter, konzentrierter und sie gingen lieber zur Schule.
Es gibt viele Hinweise und Belege dafür, dass Bewegung und kognitive Tätigkeiten sich gegenseitig beeinflussen. Schüler und Schülerinnen mit besserem Fitnesszustand erbringen im Durchschnitt auch bessere schulische Leistungen. Gründe dafür sind, dass Bewegung die Motivation und die Aufmerksamkeit fördert und das Selbstvertrauen steigert. Fazit ist, dass durch Bewegung und Sport nicht nur die körperliche Fitness, sondern auch die kognitiven Leistungen gefördert werden. Bedingung ist allerdings, dass die körperliche Aktivität über einen längeren Zeitraum regelmässig ausgeübt wird.

Fit for life

Fitness in körperlicher wie auch in geistiger Hinsicht kann durch Bewegung gefördert werden. Auf Schulebene beginnt dies bei einer bewegten Pause zwischen oder während den Lektionen. Noch besser ist ein bewegter Unterricht, bei dem die Schüler und Schülerinnen Bewegung als Bestandteil der Lernmethode erfahren. Zum Beispiel anhand eines Stationenbetriebs und auch dank körperlicher Bewegung während des Lernprozesses. Etwas mit allen Sinnen zu erleben, zu verstehen und zu erfahren, führt dazu, dass sich das Gelernte nachhaltig im Gedächtnis einprägt.
Die Alte Kanti Aarau zeigt ein interessantes und ambitioniertes Leitbild. Sie hat das Ziel, nachhaltig, professionell, menschlich und vielfältig zu sein. Darin steckt viel Bewegung und Vitalität. Ein fitter Eindruck können wir sagen, eine bewegte Schule. Mit den vielen Angeboten über den Normalunterricht hinaus unterstützt die Schulstruktur ideal die Möglichkeiten zum Lehren und Lernen. Viele verschiedene Abteilungs- und Projektwochen tragen zusätzlich dazu bei, dass unsere Schüler und Schülerinnen ganzheitlich fit werden und sich fit halten können.
Bleibt zu wünschen, dass sich am Ende der Schulzeit durch diese Vielfalt an Erlebnissen und Erfahrungen ein gesunder, fitter Spirit auf die Persönlichkeiten der Schüler und Schülerinnen niedergelassen hat und sie sich dieser herausfordernden Lebensweise auch nach der Zeit an der Alten Kanti stellen. Mit der Einstellung „Fit for life“ hin zu regelmässiger körperlicher und geistiger Förderung und Forderung an sich selbst, das Leben zu geniessen und zu meistern.

Von Ramón Wieser, Sportlehrer