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Frankenstein im Grossratssaal

Im Grossratssaal Aarau präsentierte das Kantitheater zusammen mit dem Chor der Alten Kanti einen bunten Mix von Szenen aus dem Irrsinn des Alltags. Auch wenn das Stück von Wolfgang Deichsel in den 1960er Jahren spielt: In «Frankenstein – Aus dem Leben der Angestellten» ist die Welt auch 2019 aus den Fugen.

Eine Minute nach acht, das Licht im Grossratssaal wird gedimmt, der Chor betritt den Raum. Alle sind ganz in schwarz gekleidet und haben ein Handy in der Hand, woraus das Lied «Warum syt dir so truurig?» von Mani Matter erklingt. Weil das Lied dutzendfach asynchron zu hören ist, wird der ganze Saal mit ineinander verschwimmenden Stimmen und Klängen erfüllt wird. Das einzige Licht, das die Gesichter der Sängerinnen und Sänger erhellt, ist das Leuchten der Handy-Bildschirme. Die ganze Szene hat etwas Düsteres, Unheilvolles Das passt. Denn es wird tatsächlich ein düsterer Abend.

Ein verwirrendes Erlebnis
Die Schauspieler betreten den Saal und ein bestimmtes Gefühl steigt in uns auf: Verwirrung. Ohne Vorwarnung oder Erklärung werden wir in die merkwürdige Welt der Angestellten geworfen. Eine komplett neue Welt. Erst mit der Zeit fügen sich die verschiedenen Szenen zu einem verschwommenen Ganzen zusammen. Es ist, als ob man das Stück durch eine beschlagene Glasscheibe schauen würde: Man erkennt die Grundzüge und kann erraten, worum es geht, jedoch versteht man nicht alle Details. Das ist natürlich genau das Konzept des von Andrea Santschi und Heinz Schmid (Regie) zusammen mit Michael Schraner (Chorleitung) einstudierten Abends. Halt geben einem die Wiederholungen: Dialoge, Szenen, und jedes Mal ist die Verzweiflung noch deutlicher spürbar.
Die Menschen, die Angestellten, werden immer verrückter, wissen nicht, ob sie zu den Guten oder zu den Bösen gehören, und werden schliesslich von der schieren Verzweiflung gepackt. Dass der Abend funktioniert, hat aber auch mit dem Chor zu tun, der die Szenen inhaltlich bereichert und (nicht nur mit dem Handy) spannende Akzente setzt. Die Tatsache schliesslich, dass das Stück im Grossratssaal aufgeführt wird, legt nahe, dass Kontrolle, Manipulation und Verwirrspiele nicht nur auf der Bühne stattfinden, sondern Teil des alltäglichen Irrsinns sind.


[Bild: Jeanne Leuthard]

Das Fazit
Das Stück endet genauso wie es angefangen hat. Abrupt und ohne Anzeichen für ein Ende, sodass man mit einem mulmigen Gefühl den Saal verlässt. Ziel erreicht. Gut so.
Die Schauspieler und Schauspielerinnen zeigten eine bemerkenswerte Leistung und wir freuen uns auf weitere Stücke von dieser Theatergruppe – vielleicht sogar wieder mit musikalischer Begleitung, die den Abend nachhaltig bereicherte

von Marigona Gervalla und Jeanne Leuthard, G1L