2018, Im Fokus, Reportage, Sage & Schreibe Nr. 27, Sinn

Fünf Sinne, ein Erlebnis

Der Mensch hat fünf Sinne. Was auch immer wir tun: Erst das Zusammenspiel aller Sinne ermöglicht die ganzheitliche Wahrnehmung eines Erlebnisses. – Wie aber ist es, wenn wir uns bei einem Erlebnis ausschliesslich auf einen Sinn konzentrieren? Wir haben uns aufgemacht in ein Burger-Restaurant und uns beim gemeinsamen Essen jeweils ganz auf einen einzigen Sinn konzentriert. Ein sinnliches Experiment.

Hören

Wusch, wuuusch, wusch. Autos auf nassem Asphalt. Kaum treten wir durch die Tür, werden die Geräusche von aussen durch leise, beruhigende Musik abgelöst.
«Was nehmen wir als Vorspeise?», fragt Marion. «Schaffen wir überhaupt eine?» Ich schaue in die Runde, fast alle Tische sind besetzt. «Wahrscheinlich nicht, nehmen wir sie trotzdem.» Verlegenes Lachen, wir setzen uns.
Wieder die Musik, unterbrochen von Geräusper und Gewisper. «Schau mal hier: Heartattack, Vierfachburger. Das wäre vielleicht was.» Dem etwas ungläubig klingenden Gekicher, das auf Delias Vorschlag folgt, ist zu entnehmen, dass wahrscheinlich niemand diese Kalorienbombe wählen wird. «Okay. Wollt ihr etwas trinken?» Es folgen Bestellungen mit vielen Ähms und Hmms.
«Drüü oder füüf Dezi Wasser?»
«Foif.»
Es scheppert und klappert aus der Küche. Ein Telefon klingelt.
«Euww, Erdnussbutter…»
«Ja, und Bananen, wääh.»
Warum nimmt niemand das Telefon ab? Gläser werden auf den Tisch gestellt. Papiergeraschel. Geblubbere durch einen Strohhalm. Jemand verschluckt sich an seinem Getränk und hustet. Wahrscheinlich der Blubberer. Selber schuld . Mit einem Klacken werden unsere Nachos auf dem Tisch abgestellt. Um uns herum Knabber- und Knurpsgeräusche. Von den Nebentischen klappert Besteck, Gläser klirren. Endlich ertönt das erlösende «Burger ohne Gurkeee?». Und natürlich schon wieder das Telefon.
«Das ist jetzt echt schwierig, schneidet ihr?»
Wir sind uns nicht ganz einig, ob ein Burger zerschnitten werden darf. Unser Gespräch wird durch andächtiges Kauen und gelegentliche Schmatzgeräusche unterbrochen. Man hört auch immer mal wieder jemanden unterdrückt fluchen, wenn Teile von Burgern auf einen Teller klatschen, anstatt brav in einem Mund zu landen. Das Gespräch vom Nebentisch wird spannend. Irgendetwas über eine Ehefrau. Leider so leise, dass nicht wir alle Details verstehen könnten. Schade. Neben meinem Ohr trompetet jemand kräftig in ein Taschentuch. Helles Lachen.
Wir sind alle etwas überfordert mit den Mengen. Die letzten Burger-Bissen sind begleitet von theatralischem Stöhnen und Ächzen.
«…Gottverdammi!» Schon wieder der Nebentisch.
Stühle kratzen über den Boden, Kleider rascheln.
«Auso hä, tschau zäme.» Und weg sind sie.
Wir sind auch langsam fertig. Mein Ausflug auf die Toilette ist die reinste Erholung für die Ohren. Es ist so schön ruhig und friedlich.
Bei der Rückkehr fällt mir die Musik wieder auf: Es läuft gerade etwas mit viel Schlagzeug und weiblicher Singstimme. Jetzt Wechsel in einen Dreiertakt. Auch unsere Jacken rascheln und knistern, während wir sie anziehen. Dann geht die Restauranttür auf: Wuuusch. (ef)


[Bild: Alex Rivoire]

Schmecken

Fizzers!, schiesst es mir als Erstes durch den Kopf. Sehr süss und fruchtig. Ich nehme einen weiteren Schluck. Die Kohlensäure kitzelt auf der Zunge. Definitiv ein Nachgeschmack, aber welcher? Ich wage einen weiteren Schluck, der hoffentlich Licht ins Dunkel bringt. Ein leichter Hauch von Zuckerwatte! Nach was die Limonade, genauer gesagt das Jarrito, schmecken sollte? Grapefruit. Schmeckt es nach Grapefruit? Vielleicht ein bisschen.
Als Nächstes führe ich mir ein Nacho mit viel Käse zum Mund und beisse herzhaft zu. Wieder versuche ich, dem Geschmack auf die Schliche zu kommen. Mein Gesicht zieht sich zusammen, die Chips sind wirklich sehr salzig. Das Salzige wird von einem intensiven Käsearoma überdeckt. Der Käse schmeckt wie typischer Cheddar-Cheese und bleibt lange im Mund kleben. Um den schweren Käsegeschmack zu vertreiben, greife ich nach einem weiteren Chip, dieses Mal beladen mit Guacamole und einer Jalapeno. Welten prallen aufeinander – und das Resultat: ein Geschmacks-Chaos. Zum einen erfreut sich mein Gaumen an der buttrigen Guacamole und zum andern fange ich gerade Feuer. Wie ein Grossbrand vernichtet die Schärfe der Jalapeno jedes andere Aroma. Schnell nehme ich einen Schluck meines Jarritos. Süssliche Erlösung, auch wenn der Geschmack und die Süsse nicht mehr so intensiv sind wie beim ersten Mal.
Die Hauptspeise, Burrito mit Reis, ist keine aromatische Achterbahnfahrt. Ganz im Gegenteil: Der Reis ist fade, ich frage mich, ob er überhaupt gesalzen ist. Das Fleisch im Burrito lässt meinen Gaumen ein paar zaghafte Freudensprünge aufführen, die Paprika- und Chiligewürzmischung peppen die Pampe auf. Ansonsten? Ich schmecke nichts Weiteres aus dem Essen heraus, und schliesslich bleibt nur die fade Erinnerung an die Nachos. (mm)

Riechen

Die Restauranttür geht auf, und schon strömt einem warme Luft entgegen. Wir treten ein. Es riecht, wenig überraschend, nach Essen, und nach Antiquitäten, irgendwie. Ein leichter Hauch Vergangenheit, als träte man in eine Brockenstube ein.
Wir setzen uns an einen freien Tisch und haben auch schon bald bestellt. Der Mittagsrush ist in vollem Gange. Immer, wenn sich die Kellnerin mit einer Bestellung unserem Tisch nähert, kommt uns ein Schwall Essensduft entgegen, der uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Und jedes Mal hoffe ich, dass es unser Essen ist.
Endlich macht die Kellnerin an unserem Tisch halt. Unsere Vorspeise, die Nachos, sind da. Sie verströmen den wohligen Geruch von geschmolzenem Käse. Schnell sind die feinen Nachos aufgegessen, und kurz darauf kommen auch schon die Hauptspeisen. Jetzt duftet es noch intensiver – nach den tollen Burgern. Das Fleisch, der gebratene Speck und die feinen Pommes frites sind eine unglaubliche Wonne für meinen Geruchssinn. Doch der Duft wird leider bald schwächer, denn wegen der Chilis im Burger beginnt meine Nase zu laufen.
Nach dem feinen Essen begeben wir uns zu den Toiletten zum Händewaschen. Auf dem Weg dorthin, vorbei an der Küche, verstärkt sich der Duft nach Essen noch einmal extrem. Ein wirres, schwer auszuhaltendes Gemisch von Fleisch, Gemüse, Saucen und Frittieröl.
Bei den Toiletten angekommen, erfreut sich mein Geruchsorgan am blumigen Duft, der von den Duftstäbchen neben dem Waschbecken abgegeben wird. Ich reinige meine Hände mit viel Seife, die ein süssliches, leicht klebriges Parfum hat.
Zurück am Tisch, zahlen wir und verabschieden uns. Ich trete ins Freie, die frische Luft, die mich umgibt, ist eine einzige Wohltat. Das Essen war toll, die vielen verschiedenen Gerüche eine Überforderung. Dennoch bleibt hoffentlich ein feiner Dufthauch des Burgers noch länger in meiner Erinnerung haften. (fn)


[Bild: Alex Rivoire]

Tasten

Ein eisiger Luftzug auf meiner Haut. Ich fröstle. Meine Hand drückt gegen Holz und stösst es weg; meine Füsse treten in die warme Gaststube. Ich strecke meine Hand zur Seite aus. Die Finger wandern über eine glatte Oberfläche. Ich lasse mich auf der harten Bank nieder, deren glatte Oberfläche ich eben befühlt habe. Meinen Fingern ist langweilig, also erkunden sie die Umgebung. Da können sie das Rad eines Skateboards drehen, dort steht eine Winkekatze auf einem Regal an der Wand, die sie ertasten können. Sehr aufregend.
Weich. Warm. Wieder eine glatte Oberfläche. Ich fasse mit beiden Händen zu, drücke mit den Daumen von unten nach oben und mit den anderen Fingern in die Gegenrichtung. Ich führe die weiche Masse zu meinem Mund und beisse herzhaft hinein. Etwas Öliges läuft über meine Finger. Ich gebe mir Mühe, den Gegenstand ganz zu umfassen, damit nichts hinausfällt. Natürlich vergeblich. Dass aus einem Burger beim Essen nichts hinausfällt, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Mit tropfenden Fingern ergreife ich einen anderen Gegenstand. Er ist rau und fühlt sich aussen hart an. Als ich zudrücke, zeigt sich jedoch, dass er gar nicht so hart ist. Ich führe ihn zum Mund und kaue. Ziemlich matschig. Währenddessen greifen meine Finger bereits nach dem nächsten Pomme frite. Und noch eins. Die Finger sorgen dafür, dass mein Mund immer etwas zu kauen hat, und sie haben «eine Handvoll» zu tun.
Klebrig. Das mag ich nicht. Ich spüre einen Luftzug auf der Haut, als ich meine Hand ausstrecke. Ich wische die Hände an dünnem, knitterndem Papier ab; versuche, das Klebrige so loszuwerden. Das Papier reisst und Teile bleiben an den Fingern haften wie Harz. Wie Löwenzahnmilch. Wie Nasenpopel. Was würde ich dafür geben, wieder ein frisches Gefühl auf meinen Händen zu verspüren! Zum Glück gibt es hier eine Toilette. (ms)


[Bild: Alex Rivoire]

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Sehen

Ich trete ein. Von den Wänden blinken mir zahlreiche englische Leuchtschriften entgegen. Ich drehe mich um und sehe hinter mir ein aufgehängtes Skateboard über einem alten Glücksspielautomaten. Von jedem Fenster, welches zu finden ist, lachen mich grosse, etwas furchteinflössende Tikifiguren an, einige aus Stein, andere aus Holz. Ich stehe an der «Beer Bar», hinter der mehrere Skelette Getränke präsentieren. Gleich nebenan befindet sich eine Hula-Frau. Bekleidet mit Strohröckchen und Blumenkette spielt sie zufrieden auf ihrer Ukulele. Ich bin etwas überfordert in diesem Restaurant, aber gleichzeitig gespannt, was ich als Nächstes entdecke. Ich bewege mich in die Mitte des Raums und setze mich mit meinen Kolleginnen an einen der zahlreichen karminroten, retro-amerikanischen Tische.
Es dauert nicht lange, bis uns die Vorspeise serviert wird. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine gigantische, goldgelb leuchtende Käsemasse, die mit einer löffelgrossen Portion frischer Guacamole und einigen grünen Peperoncini dekoriert wurde. Ich schaue genauer hin und entdecke an manchen Stellen maisgelbe, knackige Nacho-Chips, die unter dem Käse hervorschauen. Wild stürzen sich mindestens fünf Hände drauf, und schon bald sind nur noch kleine Krümel vorhanden. Zum Glück sind die Burger schon auf dem Weg…
Nun steht er also vor mir und wartet nur noch darauf, von mir genossen zu werden. Ich kann es kaum erwarten reinzubeissen. Zwei braungebackene Brötchen, dazwischen ein saftiges Stück Hamburger, umrundet von frischem Salat und leuchtenden Tomatenscheiben. Beim Anblick des schön angebratenen Specks wird mir klar, wieso dieses Gericht «Bacon Burger» genannt wird. Meine Augen können sich von den gewellten und vor allem glänzenden Speckstreifen, an deren Enden das Fett nur so hinuntertropft, nicht mehr trennen. Zusammen mit den grobgeschnittenen Pommes Frites ist der Teller vor mir eine Augenweide. Ich kann nun wirklich nicht mehr widerstehen und beisse in meinen prächtigen Burger. (dm)

Von Evamaria Fuchs, Marion Müller, Flavia Neuhaus, Mirjam Sutter, Delia Montagnolo, G3L