2019, Glück, Im Fokus, Interview, Kultur, Menschen, Sage&Schreibe Nr. 29

Glück und die Sprache der Kunst

Der Künstler Raja Dibeh ist 48 Jahre alt und hat erlebt, was niemand erleben will. Blut, Leid und Krieg hat er in seiner Heimat Syrien tagtäglich gesehen und hautnah erfahren. Vor allem für islamistische Rebellengruppen wie den IS war Raja Dibeh als christlicher Künstler eine Zielscheibe. Deshalb musste er flüchten und lebt nun seit vier Jahren in der Schweiz. Zusammen mit anderen Geflüchteten wohnt er in einer Asylunterkunft in Schupfart. Wir haben ihn nach der Bedeutung von Glück gefragt.

Raja Dibeh, Sie sind 2015 vor dem IS geflüchtet und leben seither in wechselnden Asylunterkünften. – Was heisst für Sie «Glück»?
Glück ist nicht so einfach zu definieren. Glück ist keine Sache, die man besitzt, sondern etwas, was man findet. Glück ist ein Moment, eine Zeitspanne oder vielleicht ein Erlebnis. Es kann wundersam schnell auftauchen, jedoch genau so schnell wieder entschwinden. In meiner Vergangenheit hatte ich kein Glück, jedoch hoffe ich es zu finden.


[Bild: Naima Schahab]

Gibt es trotz ihrer schwierigen Lebenssituation Momente, in denen Sie glücklich sind?
Diese Frage ist einfach zu beantworten. Nein, es gibt keine solchen Situationen. Ich lebe in einer Asylunterkunft, habe fast keinen Raum zum Leben, keine Privatsphäre. Und das Schlimme daran ist, dass ich kaum fähig bin, etwas dagegen zu tun, denn es mangelt mir an Geld, und Deutsch beherrsche ich auch nicht perfekt. Diese Lebenssituation macht mich einsam. Immerhin habe ich ein paar Freunde, die mich unterstützen und das Ganze ein wenig erträglicher machen. Das ist wunderbar.

Was spüren Sie beim Malen?
Die Malerei ist meine Leidenschaft und mein Leben. Es ist der Weg, wie ich meine Gefühle und Ideen zum Ausdruck bringen kann. Bei meinen Bildern kann ich bestimmen, was ich zeichne, wie ich es zeichne und welche Farben ich dazu verwende. Das gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Früher habe ich am liebsten die Natur oder lachende, glückliche Gesichter gezeichnet. Heute setze ich mich auch mit meiner Vergangenheit auseinander und versuche sie mit Farbe und Pinsel aufzuarbeiten, festzuhalten und irgendwie zu verarbeiten. Am schönsten finde ich jedoch, dass die Sprache der Kunst universell ist; man versteht sie über alle Grenzen hinweg.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich dachte, ich habe in Europa, hier, eine Chance, doch es ist wie eine grosse Mauer, die ich nicht erklimmen kann. – Aber vielleicht schaffe ich es irgendwann. Das wäre ein Glück.

Übersetzung: Ranja Emam

Von Ranja Emam und Naima Schahab

Raja Dibeh und sein Werk: