2019, Essay, Glück, Im Fokus, Sage&Schreibe Nr. 29

Glück

Irgendwie haben wir es ja vermutet: Glückserfahrungen haben nicht nur mit Psychologie, sondern auch eine ganze Menge mit Biologie zu tun. Die Zusammenhänge zwischen körperlichen Prozessen und seelischer Empfindung sind ebenso spannend wie komplex – und es zeigt sich: Auch aus biologischer Sicht ist das Glück ein flüchtiges und alles andere als ungefährliches «Geschenk». >

Schokolade essen, Partys feiern, in Ruhe ein Buch lesen, eine gute Note erzielen, einkaufen, gamen oder trainieren – wir alle tun Dinge, die uns glücklich machen. Aber haben Glücksgefühle auch einen biologischen Sinn und Zweck? Die Antwort heisst: ja. Glücksgefühle sind Belohnungen für Verhaltensweisen, die das limbische System im Gehirn als gut fürs (Über-)Leben einstuft. Dabei bildet das limbische System keine anatomische, sondern eher eine funktionale Einheit, welche die für Säugetiere typischen sozialen Empfindungen wie Sorge um den Nachwuchs, Angst, Liebe, Lust, Spieltrieb und das Lernen durch Nachahmen reguliert. Die Natur stellt also insbesondere das überlebenswichtige Ess- und Trinkverhalten, Sexualverhalten und die Elternfürsorge sicher, indem sie entsprechende Verhaltensweisen mit starken Belohnungseigenschaften ausstattet.

Die Macht und Kraft unseres inneren Belohnungssystems kann durch das Ratten-Experiment von Olds und Miller verdeutlicht werden, mit dem sie das Belohnungszentrum im Gehirn im Jahre 1954 erstmals nachweisen und beschreiben konnten: Wenn man Ratten dünne Drahtelektroden direkt im Belohnungszentrum einheilen liess und den Tieren dann die Möglichkeit gab, durch einen Hebeldruck mit der Pfote eine elektrische Stimulation dieses Gehirnareals zu erzeugen, zeigte sich, dass die Tiere von diesem positiven Stimulus nicht genug bekommen konnten. Einige Ratten brachen sogar zusammen, weil sie lieber den «Glückshebel» drückten, als zu fressen oder zu trinken.

Der Hauptakteur im Belohnungssystem ist der «Glücksbotenstoff» Dopamin. Dieser Neurotransmitter ruft die Freude hervor, Dinge zu entdecken, das Gefühl von «Ich kann alles schaffen!». Das Ganze funktioniert wie ein Schaltkreis: Ein Auslöser von aussen lässt das limbische System reagieren. Es schüttet Dopamin aus und generiert einen Drang, den die Grosshirnrinde als bewusstes Verlangen erfasst. Die Grosshirnrinde gibt dem Körper daraufhin die Anweisung, dieses Verlangen zu stillen, um einen neuerlichen Dopamin-Ausstoss zu ermöglichen. Dopamin bewirkt so eine längerfristige Motivationssteigerung und Antriebsförderung.

Nun ist es im Einzelnen natürlich nicht überlebenswichtig, eine tolle Party zu feiern, ein Buch zu lesen oder eine gute Note zu erzielen. Solche Verhaltensweisen können aber immerhin der sozialen Integration oder einem möglichen beruflichen Erfolg dienen. Und dafür sorgt nicht zuletzt das Belohnungssystem, das die Motivation steuert, solche beglückende Handlungen zu wiederholen.

Keine Angewohnheit jedoch kann uns auf Dauer glücklich machen. Jeder Schwall Glückshormone wird rasch verstoffwechselt, und wir müssen mehr tun, um mehr zu erhalten. Am Ende können wir des Guten auch zu viel tun und aus einer glückbringenden Gewohnheit eine machen, die letztlich ins Unglück führt. Interessanterweise greifen nämlich auch alle Suchtmittel in dieses Belohnungssystem ein. Suchtmittel forcieren eine Dopamin-Ausschüttung im Gehirn, oder sie verstärken die Wirkung von Dopamin in unserem neuronalen Netzwerk, direkt oder indirekt. Dies gilt für die einnehmbaren Substanzen Alkohol, Nikotin, Cannabis, Ecstasy, Kokain etc., aber auch für potenzielle Suchthandlungen wie gamen, zocken oder einkaufen. Auch eine Verhaltenssucht wurzelt nämlich darin, dass sich während der entsprechenden Aktivität der Dopaminspiegel im Gehirn erhöht. Ähnlich wie bei den Ratten im Experiment von Olds und Miller kann eine süchtige Person kaum oder gar nicht mehr aufhören, den vermeintlichen «Glückshebel» zu drücken.

Neben Dopamin gibt es drei weitere wichtige Belohnungsstoffe, die das Gehirn ausschüttet, um uns Glück fühlen zu lassen: Endorphin, Serotonin und Oxytocin.

Endorphin erzeugt Vergessen, das den Schmerz überdeckt – oftmals auch Euphorie genannt. Der Begriff «Endorphin» leitet sich von dem der «endogenen Morphine» ab (endogen = aus dem Inneren kommend) und weist auf die Tatsache hin, dass der menschliche Organismus diesen Stoff als Schmerzmittel selbst produziert. Evolutionär bringt die Ausschüttung von Endorphinen in lebensbedrohlichen Situationen einen erheblichen Vorteil mit sich: Man kann sich aus einer Notfallsituation retten, ohne dass man von Schmerzen daran gehindert wird. Dementsprechend ist es nicht erstaunlich, dass Endorphine insbesondere im Sport eine wichtige Rolle spielen. Einerseits, wenn man beispielsweise in einem Fussballspiel kurz vor Schluss stürzt, dann aber doch bis zum Spielende ohne Schmerzen weiterspielen kann, bevor man merkt, dass es sich um eine ernstere Verletzung handelt; andererseits ist dieses Phänomen bei intensiven Lauftrainings verbreitet: Plötzlich, meist ganz überraschend und wenn man meint, man laufe gegen eine Wand, schwappt eine Welle über den Körper, die einem das völlige Glücksgefühl schenkt – ein Rauschzustand, als könnte man ewig laufen, ohne Schmerzen oder Erschöpfung. Dieses Hochgefühl, das sogenannte «Runner’s High», ist nicht nur Spitzensportlern vorbehalten, muss aber erarbeitet werden, und es kann nie aktiv abgerufen werden.

Serotonin gibt uns das Gefühl der Gelassenheit, Ausgeglichenheit, inneren Ruhe und Zufriedenheit. Unter anderem ist es dadurch auch an unserem Appetit und Essverhalten, dem Gefühl der Sättigung und Angstfreiheit beteiligt. Fehlt dem Körper Serotonin, kommt es zu unbegründeten Angstzuständen, Depressionen oder zwanghaftem Verhalten. Schokolade enthält die essenzielle Aminosäure Tryptophan, welche das Ausgangsprodukt von Serotonin ist. Macht deshalb Schokolade glücklich? Tatsächlich scheint die Gabe von Tryptophan depressive Symptome zu lindern. Je mehr davon ins Gehirn gelangt, desto mehr Serotonin entsteht. Jedoch ist erwiesen, dass die Konzentration zu niedrig ist, als dass Schokolade wirklich das Zeug zum Stimmungsaufheller hätte. Wahrscheinlich liegt das durch Schokolade verursachte Glücksgefühl darin, dass wir das Essen von Schokolade mit schönen Erinnerungen verbinden.

Oxytocin schliesslich ist unser Kuschelhormon. Bei Hautberührungen, Streicheln und Massieren wird Oxytocin ausgeschüttet, und zwar sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Es fördert die emotionale Bindung zwischen Partnern und im Sinn des «Bondings» zwischen Mutter und Kind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Glücksmomenten das Gehirn einzelne, meist unterschiedliche Glückshormone ausschüttet, die uns mit Lebensfreude erfüllen. Unser inneres Belohnungssystem gibt uns immer wieder die Motivation, nach dem Glück zu suchen – und hoffentlich zu finden -, und treibt uns so im Leben voran. Die Glücksgefühls-Auslöser variieren von Mensch zu Mensch aufgrund von unterschiedlichen Biographien und Erfahrungen. Jedoch ist allen Glücksauslösern gemein, dass unser «altes» Säugerhirn solche Auslöser als gut für unser (Über-)Leben einstuft.

Von Fabia Brentano, Biologielehrerin