2022, Aktuelles, Im Fokus, Interview, Nähe, Sage & Schreibe Nr. 35

Kann man Nähe kaufen?

Der Mensch ist ein soziales Wesen und auf die Nähe zu seinen Mitmenschen angewiesen. Aber was, wenn man diese Nähe in seinem Umfeld nirgends finden kann? Genau diese Zielgruppe spricht «rent a friend» an, das Online-Portal, welches Menschen, die sich einsam fühlen, einen unkomplizierten Weg zu neuen Freundschaften verspricht. Der einzige Haken dabei: Man muss den gemieteten «friend» für die gemeinsam verbrachte Zeit bezahlen. Geniale Geschäftsidee oder schamloses Ausnützen von Einsamkeit? Wir haben den aus Deutschland stammenden Wahl-Basler Leon C. gefragt, einen der potenziellen Friends, die gebucht werden wollen.

Von Naima Zürcher und Anna Lisa Lüthy, G19A

Auf der amerikanischen Website «rent a friend» kann man sich als «friend» ein Profil einrichten, worauf sich Interessierte melden können. Kaffee trinken, spazieren, ins Kino gehen oder sogar zusammen verreisen; auf diesem Portal kann man sich für fast alles einen Freund oder eine Freundin mieten. Eine Freundschaft im Austausch für Geld hört sich erst einmal bizarr an. Doch die Idee von «rent a friend» findet in den Staaten sowie manchen Teilen Asiens bereits seit einiger Zeit grossen Zuspruch, und auch in der Schweiz gibt es laufend neue Registrationen auf dem Portal.
Mehr darüber weiss Leon C. Er bietet selbst Dienstleistungen als Freund an und hat sich unseren Fragen gestellt.

Warum melden sich Leute bei «rent a friend» an?
Zum einen sind das Menschen, die sich selbst als Freund anbieten. Eine Rolle dabei spielt sicherlich das Geld. Man weiss natürlich, dass man ein paar Euro dafür kriegen kann. Aber vielleicht suchen viele Leute auch einfach Kontakt, den Austausch mit anderen, wollen etwas Neues ausprobieren.
Und dann gibt es natürlich diejenigen, die sich einen Freund mieten wollen. Ihre Beweggründe sind wahrscheinlich weitaus komplizierter. So eine Person hat vielleicht Probleme, aus sich herauszukommen, allein unter die Menschen zu gehen – und braucht einfach jemanden, der ihn oder sie an die Hand nimmt.

Was bietet ein gemieteter Freund?
Der bietet eigentlich alles an, was ein normaler Freund auch bieten würde. Eine vernünftige Unterhaltung und gemütliches Beisammensein. Vielleicht geht man auch mal zusammen weg, in eine Disco beispielsweise. Was der Kunde möchte halt – und was ich bereit bin zu geben.

Hat Nähe für dich Grenzen?
Ja, körperliche Nähe. Das geht für mich nicht. Aber auch emotional kann es schwierig werden. Irgendwann gibt es immer ein «Stopp». Eine gewisse Abgrenzung ist dabei, denke ich, sehr wichtig. Ich gebe nicht wirklich viel von mir preis, bleibe gern unverbindlich und eher oberflächlich. Aus Selbstschutz. Und ich glaube auch, dass man sich Nähe tatsächlich nicht kaufen kann. Kann man nie, glaube ich. Die Kundinnen und Kunden sind zwar in der Regel emotional stark engagiert, sie wollen ja einen «friend», wenn auch nur auf Zeit – aber für mich ist es eben in erster Linie ein Job. Komplett unterschiedliche Perspektiven also.

Das Konzept von «rent a friend» ist ziemlich umstritten.
Das Konzept an sich finde ich eigentlich sehr gut und interessant. Aber was in Amerika oder Asien funktioniert, muss nicht zwingend auch bei uns zu einer Erfolgsgeschichte werden. Klar, Freundschaften kaufen, das ist ein heikles Thema, und moralisch gesehen kann man darüber streiten. Das Konzept hat sehr viel mit der Einstellung, Mentalität und Kultur der Menschen zu tun. Deswegen hat das Ganze sicher einige Startschwierigkeiten in gewissen Ländern. Oder es läuft gar nicht. Wer weiss, vielleicht ist das gerade so ein Hype, von dem ich auch profitiere, wird aber langfristig nicht funktionieren. Man wird sehen.


[Bild: Naima Zürcher]