Vom Holzofen in der Alphütte bis zu Lichtgestalten in Zeiten von Klimawandel und Corona: Ein Historiker und eine Theologin lassen sich vom Begriff «Licht» zu einer eindrücklichen gemeinsamen Gedankenreise inspirieren.
Bärbel:
Wenn ich das Wort «Licht» höre, kommen mir in kürzester Zeit ganz viele Assoziationen: Sonne, Wärme, Sommer, Sonnenauf- und -untergang, Kerzenschein, das Licht der Welt (erblicken), Waldlichtung, Lichterbaum, Helligkeit, Regenbogen, Photosynthese, Leben …
Es hört nicht auf zu sprudeln und schon beim spontanen Laufenlassen der Gedanken fällt auf, dass die Begriffe, die ich mit Licht verbinde, sehr positiv besetzt sind.
Wie geht es dir mit dem Licht?
Beni:
Da ich gerade in einer Alphütte bin, schaue ich ins Feuer und freue mich über das lustige Flackern der Flammen im Ofen. Und es wärmt so schön. Das beste Licht zum Einschlafen übrigens, alle anderen Lichtquellen stören mich.
Zudem nutzen wir hier die Sonne mithilfe einer Solaranlage. Es macht Spass, so allerlei Akkus aufzuladen. Als wir das erste Mal eine Glühbirne über dem Tisch anmachten, blendete es alle. Jetzt, längst daran gewöhnt, denke ich: Dürfte auch ein bisschen heller sein. – Vorher gab es nur Kerzenlicht und Petroleumlampen. Das hatte den Vorteil, dass du bereits früh müde wurdest und schon vor zehn Uhr ins Bett gingst. Mit künstlichem Licht aber verzögert sich das wie zuhause um zwei Stunden. – Kerzenlicht ist das sanfteste und schönste Licht von allen. Sein Schein ist ohne Anspruch, alles ausleuchten zu wollen, und so wird der Raum, mit weichen Schattierungen, sehr gemütlich und angenehm fürs Auge. Aber: Alles hat eine Kehrseite. Hast du mal versucht, nur mit Kerzenlicht zu lesen?
Bärbel:
Dass ich auf einer Alphütte bei Kerzenschein gelesen habe, das ist schon ziemlich lange her, aber ein- oder zweimal im Jahr komme ich trotzdem in diesen Genuss, nämlich im Advent, frühmorgens, wenn es noch dunkel ist. Dann mache ich mich auf zu einem sogenannten Rorate-Gottesdienst. Das ist eine ganz spezielle Form von Gottesdienst, bei dem es in der Kirche nur Kerzenlicht gibt. Dies hat weder mit Romantik noch mit Gemütlichkeit oder Gefühlsduselei zu tun, sondern soll den Teilnehmenden ganz bewusst vor Augen führen, dass es Situationen im Leben gibt, in denen wir Menschen so ziemlich im Dunkeln stehen, sozusagen auf der Schattenseite des Lebens. Die Texte und Lieder, die bei Kerzenschein gesprochen und gesungen werden, nehmen diese Dunkelheit ernst, aber sie weisen auch darüber hinaus. Sie bringen die menschliche Hoffnung zum Ausdruck, dass es wieder hell, wieder «licht» werden möge. Im christlichen Kontext ist dieses Licht Jesus Christus, der in die dunkelste und längste Nacht hineingeboren wird und das menschliche Schicksal teilt. Womit wir bei Weihnachten wären. – Kannst du mit diesem Lichterfest etwas anfangen?
Beni:
Die Weihnachtszeit bedeutet meiner Familie und mir sehr viel. Umso stärker werden uns die Schutzmassnahmen dieses Jahr wohl treffen.
Ohne elektrisches Licht wäre die Dunkelheit etwas Anderes. Wir würden uns wieder mehr an sie gewöhnen und weniger erschrecken, wenn das Licht mal ausgeht. Und erkennen, dass es nie ganz dunkel ist, ausser tief in einer Höhle vielleicht. Aber schon ein bisschen Mondlicht genügt, um Konturen zu sehen. Meistens reicht das für den nächsten Schritt oder, wenn du sinnbildlich tief unten bist, um hochzublicken und dich wieder aufzurichten. Und wo Schatten ist, muss die Sonne irgendwo sein. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere. Auch das ist für mich Weihnachten.
Themenwechsel. Ein Satz, den ich bei Tolstoi aufgeschnappt habe, ist hängengeblieben: «Der Falter fliegt von alleine ins Kerzenlicht.»
Gibt es von deiner Seite her Trost für Tolstoi (und für mich/uns)?
Bärbel:
Tja, so viel zu meiner schönen Lichtmetaphorik. Zu viel Licht ist eben auch nicht gut: Zu grelles Licht, zu kaltes Licht, zu schnelles Licht, zu durchdringendes Licht, zu aufdringliches Licht, Licht, das einen fast anschreit, Licht, das blendet, Licht, das weh tut, Licht, das sich einbrennt oder sogar – im Falle des Falters – etwas verbrennt.
Mir macht das Beispiel deutlich, dass alle Lebewesen nur in einem ganz bestimmten Spektrum lebensfähig sind. Ausserhalb dieser Grenzen geht es auf Dauer nicht. Ein Zuviel oder Zuwenig an Licht macht uns krank, ja tötet sogar. Ebenso ist es mit einem Zuviel oder Zuwenig an Wärme, an Wasser, an Luft.
Um auf den Spruch von Tolstoi zurückzukommen: Vielleicht sollten wir Menschen es nicht dem Falter gleichtun, sondern unseren Verstand einsetzen, bevor wir uns mitsamt dem Planeten ins Verderben stürzen. Stichwort Klimawandel.
Beni:
Ein schönes Beispiel! Dieser Falter flattert mit bereits schwer angesengten Flügeln um sein Kerzenlicht, da hast du Recht. Es scheint schon etwas verbrannt zu riechen….
Trotzdem bin ich da ausnahmsweise Optimist: Wir werden die Kurve noch kriegen.
Während uns die wissenschaftlichen Studien zum Klimawandel zu allerlei Sorgen und Planspielen anregten, dabei völlig vereinnahmten, kam ein ganz reales Virus angeschlichen und hat alles innert kürzester Zeit auf den Kopf gestellt. Zynischerweise hat es kurzfristig mehr für das Klima gemacht als alle Klimakonferenzen und Demos zuvor. Mein Fazit: Es kommt meistens alles anders, als wir denken. Hin und wieder sollte uns das beruhigen. Wir kontrollieren weniger, als wir meinen. Prognosen sind keine Prophezeiungen. Einer meiner Geschichtsprofessoren fürchtete sich weniger vor den Warmphasen als vor den Eiszeiten. Solange niemand ernsthaft auf etwas verzichten will – und so sieht es in allen Wählerschichten momentan aus –, sehe ich keinen anderen Weg, als die technologische Flucht nach vorne demokratisch (!) weiterzutreiben. Oder wir diskutieren über die Wurzel des Problems: unsere konsumgetriebene Wirtschaftsordnung.
Nicht?
Bärbel:
Gut jedenfalls, gibt es immer wieder solche «Lichtgestalten» wie Greta Thunberg. Dieses junge Mädchen hat durch seine ganz spezielle Art doch auch so einiges in Gang gesetzt. Manche Menschen hassen sie inzwischen dafür mehr als das Virus, andere haben sie für sich als Vorbild gewonnen und einen Anstoss erhalten, sich über die eigene Lebensweise Gedanken zu machen und diese auch schrittweise zu ändern.
Gibt es jemanden, für den du «Feuer und Flamme» bist, mal mit Ausnahme deiner Familie? Irgendeine «Lichtgestalt» am Horizont?
Beni:
Ja, natürlich: Zu meinen persönlichen Lichtgestalten gehören alle in der Pflege, die gerade jetzt wieder unter Druck sehr viel leisten müssen. Wir haben sie als Gesellschaft etwas vergessen, oder gedacht, wir brauchen sie dann später mal für die Betreuung unserer Grosseltern im Altersheim. Es gibt so viele tolle, interessante und überaus starke Menschen, die freiwillig jeden Tag aus der Welt der Gesunden in die Welt der Kranken gehen, um zu helfen. Dabei werden sie fast täglich mit den unausweichlichen Realitäten der Körperlichkeit konfrontiert.
Sie waren immer da, und nun werden sie gebraucht wie nie zuvor. Ich hoffe, wir werden es ihnen langfristig zu danken wissen! Und nicht, wie es über den Sommer passiert ist, schon früh wieder alles für selbstverständlich halten, während im Hintergrund einzig die Rentabilität der Pflege im Zentrum steht.
Bärbel:
Toll, dass du an diese Menschen erinnerst. In der Pflege und in vielen anderen sogenannt sozialen Berufen gibt es diese «Engel», ohne die unsere Gesellschaft doch viel ärmer wäre. Sie bringen, bildlich gesprochen, Licht ins Dunkel, und sei es auch nur durch ganz kleine Hilfestellungen.
Da wir heute den 1. November, Allerheiligen, haben und es draussen so richtig nass und neblig ist, habe ich ein paar Kerzen angezündet. Damit wären wir wieder bei dem Bild vom Anfang, dem wärmenden Feuer in der Alphütte. Ich empfinde solche Momente als grosses Geschenk, wenn wir es warm und gemütlich haben, ein Zuhause und damit ein Rückzugsort da ist, eine Insel der Ruhe, auf der man einfach sein kann. Das ist nicht selbstverständlich! Und es ist mir wichtig, etwas von diesem Glück weiterzugeben. Daher möchte ich mit einem Spruch enden, der auf Buddha zurückgehen soll: Tausend Kerzen können von einer einzigen Kerze entfacht werden – und es verringert die Lebenszeit der Kerze nicht um eine einzige Sekunde.
Von Bärbel Hess Bodenmüller und Benedikt Erhardt