Peter Fischer ist Fachpsychologe für Psychotherapie in einer Gemeinschaftspraxis in Zürich, oberhalb des Freud-Institutes. Er empfängt das sage&schreibe-Team, um über Träume und die Traumdeutung zu sprechen, aber auch Einblicke zu geben in die professionelle Auseinandersetzung mit den Botschaften des Unbewussten.
Was macht ein Psychoanalytiker?
Ich bin ein Psychotherapeut, der eine psychoanalytische Ausbildung gemacht hat. Ich habe Patienten aus allen Bereichen: Angststörungen, Depressionen, Suchtstörungen oder Persönlichkeitsstörungen. Als Psychoanalytiker interessiert man sich sehr für Träume und Traumberichte. Nach meiner Erfahrung haben Traumberichte durchaus eine substanzielle Bedeutung. Sie sagen oft mehr aus als aktuelle Erzählungen aus dem Alltag, welche allerdings auch sehr wichtig sind. Denn träumend verwandeln wir unsere Lebenswelt und Erfahrungen nach Massgabe unserer geheimsten Wünsche und Ängste, die wir manchmal vor uns selber verbergen.
Wie gehen Psychoanalytiker vor?
Innerhalb der Psychoanalyse gibt es eine bestimmte Regel: Die ‹freie Assoziation›, die auch die Grundregel der psychoanalytischen Behandlung genannt wird. Das bedeutet, der Klient kommt in den Raum, legt sich aufs Sofa oder setzt sich in einen Sessel, und beginnt zu erzählen. Ich gebe keine Anweisungen – zumindest nicht am Anfang. Die Person ist aufgefordert zu erzählen, was auch immer ihr durch Kopf und Leib geht, oder auszudrücken, was sie fühlt, denkt, woran sie sich erinnert. Ob Fantasien, Träume oder reale Begebenheiten – es ist völlig egal.
Der Analytiker hat die Aufgabe, in einer so genannten gleichschwebenden Aufmerksamkeit zuzuhören. Er versucht also, weder dem einen noch dem anderen mehr Gewicht zu geben. Er muss dem Fluss des Patienten möglichst gut folgen, um zu sehen, was sich daraus wie entwickelt. Jemand, der Probleme hat, spricht über Konflikte oder Dinge, mit denen er im Leben nicht zurechtkommt. Oft entwickelt sich mit der Zeit die sogenannte Übertragung. Das heisst, der Patient fängt an, unbewusste Konflikte, ohne es zu bemerken, mit seinem Analytiker zu wiederholen. Das ist aber gut so, das muss so sein. Ich bin jeweils nur einige Stunden mit jemandem zusammen. Immer hier, immer in diesem Raum, sonst nicht. Dies gibt mir eine sehr hohe Neutralität. Dadurch bin ich in der Lage, mit ihm oder ihr zusammen das Wichtige hervorzuheben, zu analysieren und durchzuarbeiten.
Bei Traumberichten wird der Patient aufgefordert, zu jedem Element seines Traumes zu assoziieren, so die rätselhaften Traumbilder mit der Aussicht so zu erschliessen, dass das Geträumte einen Zugang zu den unbewussten Wünschen und Ängsten erlaubt. Dies erweitert die Selbstkenntnis des Patienten in einem emotional oft beschwerlichen und schliesslich gewinnbringenden Prozess.
Wovon träumen Menschen?
Grundsätzlich ist es immer sehr individuell. Wenn eine bestimmte Handlung bei verschiedenen Menschen vorkommt, hat sie möglicherweise jedes Mal eine komplett andere Bedeutung. Unsere Träume hängen oft mit unserer Kultur und unserem Alltag zusammen. So kommen beispielsweise bei Schülerinnen und Schülern viele Prüfungsträume vor, einfach, weil es im Alltag Ereignisse sind, die häufig vorkommen und mit Emotionen verbunden sind.
Wir träumen ja oft von anderen Menschen. Manchmal erscheinen sie uns ganz real im Traum. Doch manchmal nehmen wir sie nur fragmentarisch wahr. Zum Beispiel ohne Gesicht. Was bedeutet das? Das sind sogenannte Verfremdungen. Oft dienen Verfremdungen von Personen dazu, dass man überhaupt erst von ihnen träumen kann. Würde im Traum die Person vorkommen, die man wirklich meint, also unverfremdet, wäre das vielleicht zu peinlich, zu beschämend, zu beängstigend oder zu nahe bei einem selbst. Das Unbewusste findet deshalb eine Möglichkeit, die Person so zu verfremden, dass es möglich ist, von ihr zu träumen. Denken Sie an die Literatur: Wenn Sie eine Geschichte erfinden, dann erfinden Sie einfach eine Person, die zu der Geschichte passt. Diese Person muss nicht real existieren. Dies alles hat mit unbewussten Ängsten zu tun, aber auch mit Wünschen. Man hat nur dort Ängste, wo man auch intensive Wünsche hat. Nur dort.
Warum träumen einige Menschen in Schwarz-Weiss und andere in Farben?
Der wichtigste Faktor ist der Farbfernseher. Als es noch Schwarz-Weiss-Fernseher und Schwarz-Weiss-Fotos gab, haben statistisch gesehen signifikant mehr Leute schwarzweiss geträumt. Das ist eine kulturelle Bedingtheit. Wir träumen, was uns kulturell gegeben ist.
Weshalb träumen gewisse Menschen immer wieder das Gleiche?
Träume sind dazu da, Erinnerungsprozesse in Gang zu setzen und zu konsolidieren. Einige sagen jedoch, dass der Traum überhaupt keine Bedeutung hat. Es sei ein reines Hirngewitter, das überhaupt keinen Sinn ergebe. Wir gäben dem Traum nachträglich einen Sinn, aber eigentlich habe er keine Funktion. Es gibt aber auch Modelle aus der neurologischen Forschung, die sagen, dass die psychoanalytische Traumtheorie grosse Evidenz und Plausibilität hat. Die psychoanalytische Hypothese zur Funktion von Träumen ist, dass das Träumen einem erlaubt, weiterzuschlafen. Denn auch während des Schlafes werden wir durch Triebe, Passionen, Sorgen und Befürchtungen sozusagen gereizt und in Bewegung gesetzt. Aber anstatt dass wir davon aufwachen, produzieren wir Träume, die eben diese Regungen in halluzinatorisch erlebte Geschichten verwandeln. So ist das Träumen der Wächter unseres Schlafes. Diese Hypothese zur Funktion des Träumens wird innerhalb der Forschung durchaus kontrovers diskutiert. Es ist auch denkbar, dass das Träumen mehrere Funktionen gleichzeitig hat.
Kann man Träume selber deuten? Wenn ja, wie soll man vorgehen?
Gehen Sie einfach so vor, wie wenn sie ein Gedicht oder eine Erzählung deuten würden. Das ist eigentlich die beste Herangehensweise. Schreiben Sie den Traum auf. Versuchen Sie, nur das aufzuschreiben, woran sie sich auch wirklich erinnern, nicht mehr. Sobald Sie ihren Traumbericht haben, denken Sie an die Assoziationen, die Ihnen dazu einfallen. Schauen Sie darauf, wie der Traum anfängt, wie er weitergeht und wie er aufhört. Probieren Sie, aus diesem geträumten Verlauf, der von der geträumten Startsituation ausgeht, auf die eine Entwicklung folgt, die dann zu einem Ende im Lichte des Gelingens und/oder Scheiterns führt, Ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.
Wie präzise sind Traumsymbole im Internet?
Das ist alles Humbug! Man kann nicht etwas Einzelnes aus einem Traum herausnehmen und sich von aussen eine feste Bedeutung holen, sei es aus dem Internet, einem wissenschaftlichen Text oder aus Beratungsbüchern. Das ist alles blanker Unsinn! So geht das nicht. Es gibt weder äussere wissenschaftliche oder esoterische Autoritäten, die wissen, was ein Traum oder ein Traumelement zu bedeuten hat, noch hat ein Psychoanalytiker etwa ein geheimes Wissen, mit dem er dem Patienten sagen könnte, dies oder jenes bedeutet genau das oder dies.
Von Marigona Gervalla und Skyla Rossi, G2L
Peter Fischer hat klinische Psychologie, Psychopathologie und Neuropsychologie studiert.Nach dem Studium hat er während 15 Jahren in Psychiatrien gearbeitet, meistens auf Psychotherapie-Stationen. 2008 begann er als Psychotherapeut in einer Gemeinschaftspraxis zu arbeiten, gleichzeitig machte er am Freud-Institut Zürich eine psychoanalytische Ausbildung.