In der Schweiz werden laut Bundesamt für Statistik jährlich knapp 20’000 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt. Bei mehr als 70% der Fälle handelt es sich um Frauen. Als Zufluchtsort für betroffene Frauen und deren Kinder gibt es in der Schweiz 23 Frauenhäuser. sage&schreibe hat Rosmarie Hubschmid, die Leiterin des Frauenhauses Aargau-Solothurn, über Zoom getroffen und Einblick erhalten in eine wichtige Institution.
Von Alessia Castro Castell und Erza Gashi, G21K
Frauenhäuser sind Einrichtungen für gewaltbetroffene Frauen und Kinder, die einen Schutzort benötigen. Dabei versucht das Frauenhaus ein bestmögliches Zuhause für die Frauen zu schaffen und sie insbesondere vor weiterer Gewalt zu schützen. «Ich glaube, den Frauen ihre Geschichte zu glauben, ist das Wichtigste, was wir tun können», sagt Rosmarie Hubschmid. «Wir helfen ihnen bei der Bewältigung des Alltags und bieten ihnen vorübergehend Sicherheit und Beratung.» In dieser Zeit sind die Frauen sehr beschäftigt; es gibt zahlreiche Aktivitäten im Frauenhaus – einzeln oder in der Gruppe, bei denen verschiedene Möglichkeiten der gewaltfreien Konfliktlösung im Mittelpunkt stehen, und dann gilt es auch Termine ausser Haus wahrzunehmen.
Institutionelle Anonymität
Schon seit 50 Jahren gibt es Frauenhäuser in der Schweiz. Mit einem Frauenhaus kommt eine Frau zuerst nur telefonisch in Kontakt, entweder über die Polizei oder die 24-Stunden-Helpline. Bei diesem ersten Gespräch wird der Schutzbedarf abgeklärt und allenfalls ein Standort vereinbart, wo sie (eventuell mit den Kindern) abgeholt werden soll. Der Standort aller Frauenhäuser ist geheim; dies ist denn auch der Grund, weshalb Rosmarie Hubschmid uns nicht im Büro, sondern virtuell treffen wollte. Direkt nach Ankunft einer Schutzbedürftigen werden weitere Schutzmassnahmen vorgenommen; so müssen die Frauen etwa mobile Geräte abgeben, denn es besteht immer die Gefahr, dass sie digital überwacht werden.
Umfassende Beratung
Neben dem Schutz vor Gewalt und einer sicheren Unterkunft gehört insbesondere eine umfassende Beratung zu den Hauptaufgaben eines Frauenhauses. «Wir sagen aber den Gewaltbetroffenen nie, was sie machen sollen, wir zeigen ihnen lediglich die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auf», sagt Hubschmid. «Die Betroffenen in einer schwierigen Zeit so gut wie möglich zu unterstützen, das ist unser Kerngeschäft. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachstellen wie zum Beispiel der Opferberatung, der Polizei oder der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) zentral.»
Schwierige Finanzierung
Das Frauenhaus Aargau-Solothurn wird von der gleichnamigen Stiftung getragen und finanziell von beiden Kantonen unterstützt. Für jede neu eintretende Betroffene stellt das Frauenhaus ein Gesuch im Rahmen des Opferhilfegesetzes. So werden die Frauen und allenfalls ihre Kinder für maximal 44 Tage mit einer Tagespauschale unterstützt, danach ist die Wohnortgemeinde zuständig. Das Frauenhaus Aargau-Solothurn ist das einzige Frauenhaus in der Deutschschweiz, welches keine kantonalen Sockelbeiträge bekommt. Dies macht die Finanzierung der Institution schwierig, und ohne Spenden zugunsten der Stiftung könnte das Frauenhaus nicht überleben.»
Mangel an Schutzplätzen
Es gibt eine Berechnungsformel des Europarates, welche besagt, dass pro 10’000 Einwohner/-innen ein Schutzplatz in einem Frauenhaus zur Verfügung stehen sollte. Die Kantone Aargau und Solothurn haben zusammen eine Bevölkerung von knapp 1 Million Menschen; das bedeutet einen Bedarf von 80 bis 100 Schutzplätzen. Jedoch hat das Frauenhaus Aargau-Solothurn nur gerade zehn Plätze für die von Gewalt betroffenen Frauen zur Verfügung. So ist es wenig verwunderlich, dass das Frauenhaus praktisch permanent überbelegt ist und Unterkünfte in anderen Frauenhäusern, die ebenfalls mit zu wenig Platz zu kämpfen haben, gesucht werden müssen. «Eigentlich unglaublich», sagt Rosmarie Hubschmid. «Die reiche Schweiz schafft es nicht, genügend Schutzplätze für an Leib und Leben gefährdete Frauen und Kinder zur Verfügung zu stellen.» Und sie ergänzt: «Dabei wird jede fünfte Frau einmal in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt.»
Generell, findet Hubschmid, sollte es deutlich mehr Schutz- und Beratungsangebote in der Schweiz geben, und es sollte mehr getan werden gegen alle Formen von häuslicher Gewalt. Wer Gewalt ausgesetzt sei, müsse ein Anrecht auf Schutz haben. Denn wo immer Gewalt im Spiel sei, liege die Verantwortung bei der Gewalt ausübenden Person.
Wertschätzung und Professionalität im Umgang
Das Personal im Frauenhaus, welches nur aus Frauen besteht, ist im sozialen Bereich ausgebildet und hat somit das Wissen und die fachliche Kompetenz, die nötige Unterstützung zu leisten. Sie sind ständig in Kontakt mit den Frauen und pflegen eine professionelle Beziehung zu ihnen. «Es geht darum, einen sehr wertschätzenden wohlwollenden und authentischen Umgang zu finden», sagt Hubschmid. Die Bedürfnisse des Gegenübers erkennen und gleichzeitig sich selbst bleiben. Nur so ist echte Hilfe möglich. Das ist nicht einfach – zumal so eine Beziehung in kurzer Zeit aufgebaut werden muss und die traumatisierten Frauen oft allen Menschen gegenüber misstrauisch sind.»
Das Frauenhaus ist ein 24-Stunden-Betrieb, weshalb es auch ein Nacht- und Wochenendteam gibt. Dieses Team besteht aus nicht ausgebildeten Frauen, die einen für die gesamte Gesellschaft sehr wichtigen Nebenjob ausüben. Insgesamt, sagt Hubschmid, könne sie auf ein super engagiertes Team zählen. Wobei immer wieder etwas passiere, was die Motivation zusätzlich fördere – wie beispielsweise Geburten. «Ja, solche wunderbaren Momente gibt es auch. Nicht alles ist bei uns traurig. Zum Glück.»
40 Jahre Frauenhaus Aargau-Solothurn
Das Frauenhaus Aargau-Solothurn jubiliert – nach dem Motto: «Wir feiern trotzdem!»
Seit 1983 bietet das Frauenhaus Aargau-Solothurn Frauen, die von Gewalt betroffen sind, nötigenfalls natürlich auch ihren Kindern, Schutz , Unterkunft und konkrete Hilfe.
Über die Helpline 062 823 86 00 sind kompetende Mitarbeitende an 365 Tagen pro Jahr rund um die Uhr erreichbar.
Hier können Sie zugunsten des Frauenhauses spenden: Spenden – Frauenhaus Aargau-Solothurn (frauenhaus-ag-so.ch)