Eigentlich wollte ich diesen Text nicht schreiben. Nicht diesen Text, und schon gar nicht einen Leitartikel.
In einem Heft voller kluger, nachdenklicher, engagierter Beiträge über Partnerschaften: Muss da nicht der Leitartikel den Ton vorgeben, muss er nicht noch klüger, nachdenklicher, engagierter sein, muss der Autor nicht die Überzeugung ausstrahlen, dass hier, in genau diesen Zeilen, etwas Definitives, Notwendiges, Wegweisendes ausgesagt wird, welches genau Sie, genau jetzt – aber unbedingt! – lesen müssen?
Zu viel Müssen, zu wenig Überzeugung. Wäre ich so überzeugt, dass gerade ich der bin, der über alle Dinge so genau Bescheid weiss, wäre ich Journalist geworden, Leitartikler eben, oder Politiker – auf jeden Fall nicht Lehrer.
Aber es hilft ja nichts, ich habe zugesagt, und jetzt muss ein Text her. Und dazu braucht es Ideen. Die holt man sich von Google. Beim Stichwort „Partnerschaft“ wird mir allerhand Seriöses, Geprüftes, Erfüllendes fürs Leben angeboten, von parship, singleboerse und Co. Ein Missverständnis. Ein Versuch mit dem Plural „Partnerschaften“ ergibt viel Statistisches zu eingetragenen Partnerschaften und deren Auflösung, mässig Interessantes zur Hirslanden-Gruppe – und auch hier diverse Angebote für Singles. Zurück auf Feld eins …
Vielleicht Bilder zum Thema? Auch die wären schnell ergoogelt. Ein paar schöne, farbige JPEGs würden zwei bis drei Heftseiten rasch und attraktiv füllen; und ich schreibe dann noch einige Kurzkommentare dazu. Wäre da nur nicht die technische Vorgabe der Heftmacher: „Kein Bild sollte eine Datenmenge unter 1 MB aufweisen, ansonsten bekommen wir Probleme mit der Auflösung.“ Diese Datenmenge geben die Google-Thumbnails nicht her; die mangelnde Auflösung verhindert die Lösung meines Problems. Oder etwa doch nicht?
Trotzdem: Einige gedankliche thumbnails
Was mir auffällt bei den Bildern (auch wenn sie nicht genug Bytes haben): die vielen Herzen!
Liebe ist die engste Form der Partnerschaft; wer verliebt ist, interessiert sich für alles am Partner, und für alles, was um sie oder ihn herum ist. Alles wird zum Thema, alles möchte man austauschen. Liebe öffnet, gibt Kraft, Freiheit, Mut zum Aufbruch – weil man sich als Mensch ganz angenommen fühlt, traut man, sich dem Blick des anderen ganz auszusetzen, und lernt sich selber dabei neu kennen. So horizont-, so lebenserweiternd ist Partnerschaft.
Aber auch einengend: Es ist ja (wenn die neue Partnerschaft denn glücklich soweit geführt hat) nicht das Bett, das schmaler wird, sondern es ist so, dass der ganze Raum, den ich vorher ganz allein für mich hatte, nun für zwei ausreichen soll. Partnerschaft verlangt auch Anpassung an den anderen – ein Stück der neuen, zuerst grenzenlos scheinenden Freiheit wird aufgegeben, damit die Partnerschaft bestehen und wachsen kann.
Und wenn wir schon beim Wachstum sind: Neben den Herzen spriessen auf der Google-Seite massenhaft Firmenlogos – Business-Partnerschaften. Partnerschaft als Wirtschaftsfaktor – auch im Privaten: Mit der Zeit kauft man dann doch ein breiteres Bett bei Ikea oder Pfister. Ein Zweiersofa. Sportgeräte für die Hobbies, die man neu entdeckt; das Flugticket für gemeinsame Reisen. Die grössere Wohnung.
Partnerschaft als Business: zusammenwachsen, zusammen wachsen, zusammen erfolgreich sein, Stärken poolen, Synergien nutzen … In der Wirtschaft ist das durchwegs positiv konnotiert. Und im Privaten? Wenn Partnerschaft zu daily business wird, zu business as usual? Dann ist das wohl vor allem, erstens, unvermeidlich. Man gewöhnt sich aneinander, vieles wird selbstverständlich, man passt zueinander wie zwei Puzzlestücke (kein Wunder, dass auch Puzzleteile meine Googleseite zahlreich bevölkern). Alles Neue nützt sich ab, verliert an Zauber – aber gewinnt vielleicht dabei an Passform? Das ist ja, zweitens, nicht nur negativ: Die Partnerschaft wird eingetragen oder wird zur Ehe, ein festes Fundament. Allerdings – nur businesslike, rein geschäftsmässig abzuwickeln, das darf sie nicht werden.
Jetzt aber zur Schule
Mit Liebe hat es angefangen, jetzt sind wir schon bei businesslike gelandet. Sehen wir Partnerschaften zu nüchtern? Sind wir zu lauwarm hier? Fehlt es an Herzblut? Ich erinnere mich an Ortsschilder in Frankreich und England: Vinay ist jumelée avec San Possidonio, Lincoln twinned with Neustadt an der Weinstrasse. Das verspricht eine ganz andere Nähe, ganz andere Emotionen als der trockene Hinweis auf Partnergemeinden im deutschen Sprachraum. Und es wirft Fragen auf dazu, wie es denn bei uns steht, hier im Haus selber?
Wie sieht es aus mit Nähe, mit Emotionen in unseren Partnerschaften auf Schulebene, mit den Schulen aus den Aarauer Partnerstädten Neuenburg und Reutlingen? Frisch verliebt? Ein abgewetztes, aber gut eingesessenes Zweiersofa? Zeit für eine neue gemeinsame Reise?
Und mit den Partnerschaften im eigenen Haus – zwischen Lehrer- und Schülerschaft, zum Beispiel? Kann das überhaupt eine Partnerschaft sein? Entsteht da genug Neugier aufeinander und auf das, was der jeweils andere einem an Neuem erschliessen kann? Wachsen wir gemeinsam, brechen wir zusammen auf? Oder stumpfen wir zusammen ab, arrangieren uns im Halbherzigen? Wie steht es mit der Partnerschaft unter Schülerinnen und Schülern, mit gegenseitiger Hilfe, Rücksichtnahme, Respekt auch für die, welche anders sind? Wie sieht es damit aus im Kollegium, in der Fachschaft, zwischen den Fachschaften im einen oder anderen Haus, zwischen Älteren und Jüngeren? Und die Partnerschaft zwischen Kollegium und Schulleitung: Auch hier fragt sich, wie echt, wie nahe, wie intensiv diese ist, oder sein kann, oder sein soll. Liebe muss es ja nicht gleich sein; aber offener Austausch, gegenseitige Unterstützung und die Bereitschaft, auch mit unterschiedlichen Ansichten gemeinsam unterwegs zu sein?
Eigentlich…
… wollte ich diesen Text nicht schreiben. Warum habe ich trotzdem zugesagt, und warum steht er nun trotzdem hier, auch wenn es kein Leitartikel geworden ist, sondern ein Text, der keine Gewissheiten verspricht, dafür umso mehr Fragen stellt?
Genau deshalb, weil es hier um Partnerschaft geht.
Ich bin Teil dieser Schule, also ein Teilhaber an einem Ganzen: ein Partner. Unsere Schule veröffentlicht alle paar Monate Gedanken zu einem bestimmten Thema in einer Zeitschrift, „sage & schreibe“ – die Gedanken vieler unterschiedlicher Menschen, welche Teil haben an diesem Ganzen. Und weil man selber dazu gehört, geht es gar nicht anders: Man macht mit, man gibt sein Bestes, auch dort, wo man denkt, dass es wohl nicht gut genug sein wird.
Und merkt: Das macht mir ja Freude. Das führt irgendwo hin. Das hat meinen Horizont erweitert. Und darum geht es doch in Partnerschaften.
Hans-Jürg Suter, Prorektor