Stress ist für viele ein ständiger Begleiter im Alltag – sei es wegen beruflicher Herausforderungen, privater Verpflichtungen oder Prüfungen in der Schule. Welche Rolle spielt die Lebensmittelauswahl in solchen Zeiten? Wie beeinflusst Stress unsere Ernährung? Sage&schreibe hat bei der ernährungspsychologischen Beraterin Irene Held nachgefragt.
Von Erza Gashi und Nathalie Tanner, G21K
Sage&schreibe: Was passiert in unserem Körper bei Stress?
Irene Held: Wenn wir gestresst sind, versetzt uns unser Gehirn in Alarmbereitschaft, sozusagen in einen Kampf-Flucht-Modus. Das macht es über das sympathische Nervensystem und Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Adrenalin ist das, was uns – ähnlich wie das Noradrenalin – gewissermassen den Kick gibt: Muskeltonus, Herzfrequenz, Blutzuckerspiegel und Blutdruck steigen, die Bronchien weiten sich. Wir sind bereit für den Kampf oder die Flucht. Stresshormone können in verschiedenen Situationen ausgeschüttet werden – zum Beispiel beim Fallschirmspringen, auf der Achterbahn oder wenn uns jemand erschreckt. Das Cortisol ist zusammen mit dem parasympathischen Nervensystem dafür zuständig, den Körper wieder zur Ruhe zu bringen, wenn die «Gefahr» vorbei ist. Dieses Zusammenspiel von Nerven- und Hormonsystem ist eine evolutionär bedingte Reaktion, um unser Überleben zu sichern.
Hat Stress einen Einfluss auf unsere Ernährung?
Bei den meisten Menschen auf die eine oder andere Weise schon. Die einen verlieren bei Stress den Appetit. Andere neigen zu Heisshunger und greifen häufig zu ungesunden, kalorienreichen Lebensmitteln wie Süssigkeiten oder fettigen Snacks. Dann gibt es auch noch jene, deren Essverhalten trotz Stress unverändert bleibt.
Wie kann Stress unser Essverhalten beeinflussen?
Stress kann das Essverhalten auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Heute bleibt die im Stress freigesetzte Energie oft ungenutzt, etwa wenn der Stress aus Prüfungsvorbereitungen oder beruflichem Druck resultiert. Die Folge: Auf Grund der ständigen Alarmbereitschaft sind wir auf Dauer ermüdet und erschöpft. Dann greifen wir vielleicht zu Fertiggerichten oder suchen schnelle Energie in Lebensmitteln, die Zucker, Fett oder auch Koffein enthalten. Diese schmackhaften, hochkalorischen Lebensmittel docken in unserem Belohnungszentrum im Hirn an, Dopamin – das Glückshormon – wird ausgeschüttet – wir wollen mehr davon. Dieser Dopamin-Flash hält jedoch nicht lange an und wir fühlen uns nachher noch schlechter. Stressesser suchen neben Energie im Essen oft auch Belohnung, Trost oder Motivation.
Können Mangelernährung oder gewisse Lebensmittel den Stress verstärken?
Ein Mangel an wichtigen Nährstoffen wie B-Vitaminen oder Magnesium macht das Nervensystem anfälliger für Stress. Gleichzeitig können beispielsweise Kaffee oder Energydrinks Stresssymptome wie Zittern und Nervosität verstärken, da sie die Ausschüttung von Adrenalin fördern. Zucker führt zudem zu Blutzuckerschwankungen, welche Heisshunger und schlechte Laune auslösen können.
Wie können wir ein ungesundes Essverhalten vermeiden?
Regelmässige Mahlzeiten beugen Heisshungerattacken vor, und Achtsamkeit sorgt dafür, dass wir unsere Bedürfnisse besser wahrnehmen. Fragen Sie sich daher vor dem Essen: Habe ich wirklich Hunger, oder suche ich Trost oder Belohnung? Diese Reflexion schafft Raum für bewusste Entscheidungen. Neben der Ernährung sind auch Bewegung, Schlaf und Entspannung essenziell. Sport hilft, Stresshormone abzubauen, und verbessert die Schlafqualität. Zudem unterstützen Entspannungstechniken wie Atemübungen, Meditation oder Yoga den Umgang mit Stresssituationen.
Irene Held ist als Ernährungs-Psychologische Beraterin IKP und Hypnosetherapeutin OMNI/TMI in eigener Praxis in Dübendorf tätig. Zudem ist sie Präsidentin des Berufsverbands epb-schweiz.
www.epb-schweiz.ch
www.ireneheld.ch
Bild: zVg