Als Nelson Mandela 2013 verstarb, waren Tausende von Menschen zutiefst verwirrt. Sie alle glaubten, dass Mandela schon Jahre zuvor in einem Gefängnis gestorben war – und ihre Erinnerungen stimmen überein. Kann die Erinnerung so vieler Menschen tatsächlich trügen?
Der Tod des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela ging 2013 als eine Schockwelle um die Welt – doch nicht nur, weil der Tod von Mandela Trauer in den Menschen auslöste. Tausende von Menschen waren verwirrt, da sie der festen Überzeugung waren, dass dieser schon in den Achtzigern im Gefängnis verstorben war. Manche erinnerten sich sogar noch an Fernsehberichte über seine vermeintliche Beerdigung, die Farbe seines Sarges und die Musik, die zu Ehren des Toten gespielt worden war – und all diese Erinnerungen stimmten weitestgehend überein. Nur: Das alles war nie passiert.
Das Beispiel von Mandela ist nicht das einzige; es existieren viele andere Fallbeispiele, bei denen die Erinnerungen von grossen Menschengruppen nicht mit der Realität übereinstimmen. Das «Mannsgöggeli» auf der Monopoly-Schachtel trägt zum Beispiel gar kein Monokel, obwohl sich der eine oder die andere vielleicht an ein solches erinnern mag. Ein anderes Beispiel ist eines der wohl berühmtesten Zitate in der Filmgeschichte: «Luke, ich bin dein Vater» von Darth Vader ist in Wahrheit ein «Nein, ich bin dein Vater», doch sogar der Synchronsprecher von Darth Vader erinnert sich nur an Ersteres.
(Un-)Wissenschaft
Der Begriff der Wissenschaft für dieses Phänomen lautet Konfabulation, was bedeutet, dass man sich an etwas erinnert, das nicht der Wahrheit entspricht . Konfabulation betrifft jedoch nur Einzelpersonen. Warum sich also Zehntausende Menschen – komplett unabhängig voneinander – an ein Ereignis erinnern, das nie stattgefunden hat, wird damit nicht erklärt. Bis heute gibt es keine logische Begründung für diesen Massenirrtum, den sogenannten Mandela-Effekt. Selbstverständlich gibt es jedoch zahlreiche Theorien darüber.
Die wohl bekannteste Theorie für den Mandela-Effekt dreht sich um Paralleluniversen. Nach ihren Anhängern wird bei jeder Entscheidung, die wir fällen, ein neues Paralleluniversum geformt, in welchem eine andere Entscheidung getroffen wurde. Dadurch existiert eine Vielzahl an Universen, die sich alle mehr oder weniger voneinander unterscheiden, und manchmal, in seltenen Fällen, miteinander überschneiden. Wie und weshalb dies geschieht, wird von den Verschwörungstheoretikern nicht erklärt, doch die Folgen davon sind von grosser Wichtigkeit für den Mandela-Effekt.
[Bild: Annina Roth]
Universen-Fusion
Diese Vermischung zweier Welten führt dazu, dass auch unser Gedächtnis verwirrt wird. Wir behalten nämlich nur die Erinnerung an ein einziges Universum, unabhängig davon, ob wir in diesem Universum auch tatsächlich leben. Die Behauptung, Nelson Mandela sei schon in den Achtzigern gestorben, ist demnach zwar falsch, jedoch nur in unserer Welt – in einer anderen ist sie möglicherweise sehr wohl wahr. Nach der Theorie lügen uns unsere Gehirne also gar nicht. Selbst Konfabulation wird dadurch ein Begriff, der nichts mehr mit dem Mandela-Effekt zu tun hat: Erinnerungen können nicht falsch sein; möglicherweise stimmt das, worauf sie sich beziehen, einfach nicht mit dem Universum überein, in welchem wir momentan leben.
Zeitreisen und Aliens
Die Theorie der vielen Welten ist jedoch nicht die einzige Verschwörungstheorie, die den Mandela-Effekt zu erklären versucht. Andere Verschwörungstheoretiker begründen die mutmasslich falschen Erinnerungen mit Zeitreisen. Wenn Menschen in die Vergangenheit reisen, besteht die Möglichkeit, dass sie diese mit ihren Handlungen verändern – nicht aber ihre Erinnerung an das ursprüngliche Ereignis. Wenn man dieser Theorie Glauben schenkt, ist Nelson Mandela in der ursprünglichen Version der Geschichte im Gefängnis gestorben, wurde dann aber von Zeitreisenden nachträglich vor dem Tod bewahrt und lebte weiter, um die Dinge zu tun, für welche er heute bekannt ist.
Eine wiederum andere Gruppe von Menschen glaubt fest daran, dass die Regierung oder Ausserirdische unsere Gedanken manipuliert haben. Welchen Zweck sie durch das Löschen alter und Einsetzen neuer Erinnerungen erzielen wollen, bleibt jedoch unklar. So ist dies der wohl unplausibelste Lösungsvorschlag von allen.
Glaubwürdigkeit
Wie viel Wahrheit die verschiedenen Lösungsansätze für den Mandela-Effekt an sich haben, bleibt unklar. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass Paralleluniversen tatsächlich existieren oder Zeitreisen möglich sind. Und dennoch lässt sich weder das Phänomen erklären noch sind die verschiedenen Erklärungen dafür eindeutig zu falsifizieren. Wie nämlich können wir uns sicher sein, dass Paralleluniversen nicht existieren und ob wir nicht doch in naher Zukunft eine Zeitmaschine erfinden?
Alles in allem scheinen die Begründungen für den Mandela-Effekt dennoch recht weit hergeholt. Da sie aber noch nicht eindeutig widerlegbar sind, hilft der gesunde Menschenverstand, sich nicht in einem Gedankengespinst aus wilden Lösungsansätzen für den Mandela-Effekt zu verlieren. Was bleibt, ist die Unheimlichkeit des Unerklärten, welches das rätselhafte Phänomen mit sich bringt.
Von Eva Sophia Burkhard, G2L
Hinweis der Autorin
In einer dreiteiligen Serie beschäftige ich mich mit Verschwörungstheorien.
Als Autorin distanziere ich mich von den Theorien ebenso wie von den Menschen, die daran glauben. Mit den Texten beabsichtige ich einzig, die Leserschaft zu unterhalten und sie in den merkwürdigen Sog zu ziehen, den Verschwörungstheorien ausüben können.