Von Michael Schär, Lehrer für Chemie
«Heiss, heiss!» rief mein Patenkind jeweils laut, wenn es etwas in glühend roter oder gleissend weisser Farbe sah. Das konnte die Flamme beim Anzünden der Tischbombe sein – oder einfach nur eine rote LED oder ein Glühwürmchen. Dieses Wort des Kleinen, eines seiner ersten überhaupt, war Ausdruck einer einfachen Assoziation, mit der er begann, die Welt um sich herum zu begreifen: Was heiss ist, gibt helles Licht ab. Erinnert an den Farbencode einer Wärmekamera: Helle Farben für heisse, dunkle Farben für kalte Zonen. Ach, und was heisst eigentlich überhaupt kalt? Ich höre meinen ehemaligen Physiklehrer sagen: «Kälte gibt es physikalisch nicht!» Inzwischen weiss ich selbst, dass gemäss Planckschem Strahlungsgesetz jeder (schwarze) Körper mit einer Temperatur oberhalb von -273.15 °C eine definierte Wärmestrahlung abgibt – also gewissermassen warm ist.
Abbildung 1
Und was bedeutet nun «kaltes Licht» oder «kaltes Leuchten»? Dazu finden sich in der Chemie unterschiedliche Definitionen: Vom «Leuchten unterhalb der Glühtemperatur» bis hin zur «Ausstrahlung von Licht ohne Temperaturänderung». Wobei letztere Definition genau genommen nicht ganz stimmt, weil bei jedem realen chemischen Prozess etwas Energie in Form von Wärme verlorengeht. So wandelt beispielsweise ein «Glüh»-Würmchen erstaunliche 95% vom Energiegewinn eines biochemischen Prozesses in Licht um (Wirkungsgrad: ca. 95%); dieser Wert übertrifft eine konventionelle Glüh-Lampe um Welten (Wirkungsgrad: ca. 5%) und bringt die Augen jedes Ingenieurs zum Glühen.
Eine präzisere Definition setzt «kaltes Licht» mit «Lumineszenz» gleich: Lichtfreisetzung als Folge einer nicht-thermischen Energieaufnahme. Nun gibt es aber diverse Arten davon. Ein paar eindrückliche Beispiele aus dem Alltag sollen dies illustrieren:
Chemolumineszenz – Anregung durch die Energie einer chemischen Reaktion: Chemolumineszenz trifft man beispielsweise bei Leuchtstäben an. Wird ein solcher geknickt, so zerbricht ein Glasröhrchen im Innern des Stabes. Daraus wird H2O2 freigesetzt, welches dann im Stab mit dem umliegenden Oxalsäureester Licht erzeugt.
Ähnlich funktioniert die Luminol-Reaktion, welche in der Kriminalistik zum Nachweis von Blutspuren verwendet wird. Man vermischt Luminol mit H2O2 – allerdings ist diese Reaktion bei Raumtemperatur zu langsam. Beschleunigt wird sie aber dadurch, dass die Mischung mit dem Blut und dem darin enthaltenen Eisen in Kontakt kommt. So leuchtet das Ganze schliesslich hellblau (Abbildung 1).
Biolumineszenz – Anregung durch die Energie einer biochemischen Reaktion: ein Sonderfall der Chemolumineszenz. Die Liste der dazu befähigten Organismen ist lang: Glühwürmchen, Leuchtbakterien (vgl. Meeresleuchten), Hallimasch-Pilze, Leucht-Quallen und Angler-Fische… Ebenso vielfältig ist der Zweck des «Kalten Leuchtens»: Erkennung von Artgenossen, Anlockung von Partnern, Köder für den Nahrungserwerb, Abschreckung von Feinden – und in manchen Fällen ist die biologische Funktion des Leuchtens noch unbekannt.
Photolumineszenz – Anregung durch Lichtenergie: wird eine Banknote, eine ID oder ein Reisepass mit einer UV-Lampe beleuchtet, beginnen die Sicherheitsmerkmale darauf in sichtbaren Farben zu leuchten (Abbildung 2) – man spricht von Fluoreszenz, in Anlehnung an das Mineral Fluorit.
Was aber ist mit den Leuchtsternen, welche man als Kind im Zimmer aufhängte und die noch in der Nacht geleuchtet haben? Funktioniert ähnlich – aber im Unterschied zur Fluoreszenz muss bei der sogenannten Phosphoreszenz ein elektronischer Übergang stattfinden, der aufgrund des Pauliprinzips zeitlich verzögert abläuft. Deshalb also das Nachleuchten in der Dunkelheit.
Abbildung 2
Diese Aufzählung von Möglichkeiten «kalten» Lichts ist bei Weitem nicht vollständig. Zu erwähnen wären beispielsweise noch die Tribolumineszenz (Anregung durch Reibung) und die Elektrolumineszenz (Anregung durch elektrische Felder wie bei der LED). Alternativ gibt es «kalte» optische Phänomene ohne Lumineszenz, die faszinierend sind, wie z.B. die Opaleszenz des Feueropals (Abbildung 3). Als Mineral aus hydratisiertem Kieselgel mit darin eingebetteten, sehr regelmässigen SiO2-Kügelchen zeigt der Feueropal ein lebendiges Farbenspiel (hervorgerufen durch Reflexion und Interferenz vom einfallenden Licht).
Mein Patenkind ist inzwischen alt genug, um zu wissen, dass nicht alles, was feurig aufblitzt, auch heiss ist. Und was den Feueropal betrifft, ist das wirklich Feurige der vulkanische Ursprung. Vielleicht reden wir darüber, wenn wir uns demnächst wieder sehen.
Abbildung 3
Bilder: zVg