2018, Essay, Im Fokus, Sage & Schreibe Nr. 27, Sinn, Wortwechsel

Vom (Un-)Sinn der Ökonomie

Veronika Potykanowicz (PotVe), Wirtschaftslehrerin an der Alten Kantonsschule Aarau, sucht über WhatsApp das Gespräch mit ihrer 19-jährigen Nichte Bernadette Schwarz (SchBe) aus Österreich, die zurzeit Umweltsystemwissenschaften an der Universität Graz studiert. Immer im Zentrum des Dialogs zwischen der Pädagogin und der jungen Idealistin: der (Un-)Sinn der Ökonomie.

PotVe: Need your help für einen Wortwechsel zum Thema «Sinn». Du eignest Dich besser für einen Wortwechsel als meine gleichaltrigen Kollegen; die sind nämlich mit dem Alter sehr sanftmütig geworden. So meine direkte Frage an dich: Worin liegt der (Un-)Sinn der Ökonomie für dich?

SchBe: Spannende Frage, hoffe, dass ich nicht zu spät bin. Also, here it goes: Laut Definition im Internet wird unter Wirtschaften die bestmögliche menschliche Bedürfnisbefriedigung über knappe Ressourcen verstanden. Da unsere Erde nur begrenzte Kapazitäten hat, muss ja gerade dort der SINN der Ökonomie liegen. Allein um das weitere Überleben der Menschen zu sichern, ist eine geplante Verteilung der Ressourcen essenziell, eben damit dieser Wohlstand weiteren Generationen genauso zugutekommt.

PotVe: Dem ist nichts hinzuzufügen, aber was bedeutet das für den Einzelnen?

SchBe: Für den Einzelnen würde ich ein besonders wirtschaftliches Handeln als den größtmöglichen Gewinn mit dem geringsten Einsatz beschreiben, wobei ich hier den oben beschriebenen Sinn von ökonomischen Aktivitäten hinterfrage, da ein für den Einzelnen positives ökonomisches Verhalten für die Gesellschaft oft negative Folgen hat.

PotVe: Tja, dessen sind wir uns häufig gar nicht bewusst. Unlängst wurde ich angefragt, ob ich eine Maturaarbeit über die Organisation eines Paintball Events betreuen möchte. Der Schüler lobte mein Know-how als Unternehmensberaterin und hielt fest, dass dieser Event schon aufgegleist sei und sicher auch Gewinn bringe. Überzeugende Argumente – trotzdem lehnte ich kategorisch ab, weil ich den Sinn solcher Veranstaltungen nicht verstehe und Paintball nicht unterstützen möchte. Es war sehr schwierig, dem Schüler zu erklären, warum ich diese Arbeit nicht betreuen möchte. Eine kritische Arbeit über Paintball wäre mir wesentlich lieber gewesen. Wie hättest du reagiert?

SchBe: Puuh, keine Ahnung, ehrlich gesagt. Grundsätzlich stehe ich dem Kapitalismus sehr kritisch gegenüber, ich sehe einfach keinen Sinn dahinter, immer mehr Gewinn einzutreiben, immer mehr zu konsumieren, ein solches Handeln entspricht auch nicht der obigen Definition von der bestmöglichen Bedürfnisbefriedigung der Menschheit. Meiner Meinung nach impliziert der Begriff Ökonomie bereits einen nachhaltigen Ansatz, wobei außer Frage steht, dass der Kapitalismus dies nicht tut und daher meiner Meinung nach in keinster Form jemals nachhaltig sein kann.

PotVe: So absolut kannst du das nicht sagen, denn der Kapitalismus wurde durch die Soziale Marktwirtschaft in der Realität überholt. Überall greift der Staat mehr oder weniger lenkend ein. Gewiss, das grundsätzliche Streben nach Gewinn und Wachstum ist nicht verloren gegangen.

SchBe: Besonders ärgert mich, dass die Vorstände großer Unternehmen ein Wachstum generieren müssen, no matter what, so etwas kann sich langfristig nur belastend auf unsere Umwelt auswirken. Dazu kommt, dass Großunternehmer einfach nahezu KOSTENLOS Ressourcen der Erde (z. B. Nestlé und Trinkwasser) entnehmen dürfen und damit einen Gewinn machen, das ist ein hoher Preis, den die Bürger bezahlen müssen für Güter, deren Grundbestanteile ihnen eigentlich als Gesamtheit gehören. Ich verstehe auch nicht, wie es möglich ist, dass Regenwälder einfach abgeholzt, Meere mit Plastik versetzt, Flüsse verseucht, die Luft verpestet etc. werden können, ohne dass die Verursacher dafür zahlen müssen. Es wird sogar noch die Schuld und die Verantwortung auf die Bürger abgeschoben und behauptet: «Naja, ihr müsstet ja nur das Richtige kaufen.» Wieso dürfen überhaupt mit Blut übergossene Güter zum Kauf angeboten werden?

PotVe: Das ist echt viel auf einmal: Umwelt, Ethik… – Wie kann das Ganze aufgelöst werden? Ökonomen haben Modelle erfunden, mit denen sie vieles erklären können. Alles basiert auf dem Modell des Homo oeconomicus, dem rational denkenden Menschen. Es wird davon ausgegangen, dass er egoistisch handelt und dass ihn Gewinnmaximierung motiviert. Dadurch ergeben sich dann auch die ganzen Innovationen. Wir Menschen sind aber viel komplexer und wandelbarer als der Homo oeconomicus.

SchBe: Danke, Frau Lehrerin. Wie kannst du da nur so gelassen bleiben?

PotVe: Wait. Ich habe da etwas Einleuchtendes über «Caring Economics» von Prof. Dr. Tania Singer gelesen. Sie ist Leiterin der Abteilung Soziale Neurowissenschaften am Leipziger Max Planck Institut. Ihr Punkt: Als politische Berater tätige Ökonomen gehen von Wählerinnen und Wählern aus, die hauptsächlich über Eigennutz und extrinsische Belohnungen (wie z. B. Geld) zum Handeln gebracht werden können. Singer schlägt vor, dass sich mit einem realistischeren Menschenbild, das von Mitgefühl, Gemeinsinn und Solidarität geprägt ist, eine sozialere Wirtschaftsform und zugleich eine sozialere Politik entwickeln kann. Der Homo oeconomicus wird also sozusagen mit Mitgefühl ausgestattet. Jemand mit Empathievermögen schaut auch auf andere.

SchBe: Ist das jetzt der Niedergang der Oekonomie? Andere Wissenschaften müssen aushelfen, um Probleme zu lösen? Wenn es aber der Menschheit bald nicht spürbar besser geht, dann wird sich die Welt nicht verbessern.

PotVe: Es gibt immer Profiteure und Verlierer. Da kann ich auf den Elephant-Chart Bezug nehmen. Der Mittelstand in den westlichen Ländern hat von der Globalisierung vergleichsweise wenig profitiert. Die Einkommen haben stagniert, die Menschen sind daher unzufrieden. Die Superreichen hingegen haben dazugewonnen, aber leider ist die Ungleichheit grösser geworden.

SchBe: Haben Ökonomen denn für alles Modelle und Erklärungen?

PotVe: Ja, zumindest für die wirtschaftlichen Vorgänge, aber wichtig ist, kritisch zu bleiben und wählen zu gehen, um an der Zukunft teilhaben zu können. Die Frage ist auch: Wie bringen wir die Caring Economy nach oben zu den Entscheidungsträgern?

SchBe: Ah danke für die Erklärungen, Caring Economy und Elephant-Chart – klingt sehr spannend! Ich denk, dass die großen Konzerne kein Interesse an einer Caring Economy haben, die wollen ja einfach nur ihren Profit maximieren, koste es, was es wolle. Die haben auch genug Geld, um sich Lobbyisten zu leisten, die für sie dann die Politiker überzeugen, wahrscheinlich eben davon, dass der Mensch ein Homo Oeconomicus ist. Ich denke, wir bringen die Caring Economy am besten nach oben, indem wir Bürgerinnen durch Proteste/Demos und weitere Aktionen auf das aufmerksam machen, was wir wollen – oder noch besser: wir lassen uns gleich als Entscheidungsträger in die politischen Gremien wählen.

Von Veronika Potykanowicz und Bernadette Schwarz