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Wenn Gymnasiast(inn)en und UMA voneinander lernen

Sozialeinsatz an der Alten Kanti Aarau einmal anders: Anstatt in die Berge zu fahren oder ein Bachbett zu reinigen, gestaltete die Abteilung G2G unter der Leitung von Sabrina Aegerter und Lukas Fellmann im Frühjahr 2018 eine Begegnungswoche mit unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA). Ein Erlebnisbericht.

Montag, 23.04.2018: Feinplanung und erste Begegnung (Spielnachmittag)
Am Montagmorgen um 08:35 Uhr versammelten wir uns in einem Klassenzimmer. Es stand ein Projekt für unsere Abteilung an: der obligatorische Sozialeinsatz. Während andere Abteilungen mehrheitlich in die Berge gehen, um einen Teich zu bauen oder auf einem Hof auszuhelfen, hatten wir uns zu Beginn des Schuljahres dazu entschlossen, dass wir etwas mit Menschen machen wollten. Nach mehreren Brainstormings und Debatten stand der Entschluss, etwas mit UMA zu organisieren. UMA sind minderjährige Asylsuchende, die unbegleitet, also ohne ihre Eltern, geflüchtet sind.
Voller Tatendrang, frisch aus den Ferien, trafen wir die letzten Vorbereitungen für unsere Tage mit den UMA, vor allem das Kennenlernen unserer hoffentlich bald neuen Freunde stand im Zentrum. Als zusätzliche Vorbereitung hatten wir uns einen Film zum Thema «Menschen auf der Flucht» im Stadtmuseum Aarau angeschaut, der uns einen Überblick über das Thema Migration gegeben hatte.

Wenn man allgemein über Flüchtlinge, Asylsuchende oder auch UMA spricht, dann ist dies für die meisten oft völlig anonymisiert. Unser Ziel war es, uns auf diese Personen einzulassen, den anonymisierten Begriffen ein Gesicht zu geben und ihnen Anschluss in einem fremden Land zu bieten. Vorurteile sollten in dieser Woche keinen Platz haben. Wir trafen denn auch Menschen mit bewegenden Geschichten, junge Leute, die auf inspirierende Weise gelernt hatten, mit ihrem Schicksal zu leben, junge Erwachsene wie wir, mit Hoffnungen und Vorstellungen für die Zukunft.


[Bild: zVg]

Für das erste Treffen mit den Jugendlichen aus der UMA-Schule des Vereins «Netzwerk Asyl Aargau» am Montagnachmittag hatten wir einfache Gruppenspiele vorbereitet. Zuerst spielten alle 56 Schülerinnen und Schüler ein Kennenlern-Bingo, wobei die Gespräche über den Alltag dank der recht guten Deutschkenntnisse der UMA überraschend gut funktionierten. Danach machten wir in kleineren Gruppen Spiele wie UNO, Jenga, ein Schoggi-Spiel oder ein Namensspiel, um uns besser kennenzulernen.
Den ganzen Nachmittag lang wirkten die UMA sehr offenherzig, interessiert und enthusiastisch. Unsere anfänglichen Befürchtungen, dass es Motivations- und Kommunikationsschwierigkeiten geben könnte, waren schnell verflogen, und wir konnten uns uneingeschränkt auf eine tolle Woche freuen.

Dienstag, 24.04.2018: Input von Herrn Ruch, Besuch der UMA-Schule und Sportturnier

[Bild: zVg]

Am Dienstagmorgen traf sich unsere Klasse um 08:55 vor dem KIFF. Die UMA waren bereits in der Schule, während uns Herr Ruch, der Programmleiter der UMA-Schule in Aarau, etwas über die Fluchtgründe, die Aufnahmebedingungen in der Schweiz und die Schul- und Berufsbildung erzählte. Nach dem eindrücklichen Input gingen wir gemeinsam zur UMA-Schule. Dort wurde zuerst Tischtennis oder Tischfussball gespielt und nebenbei mit unseren neuen Freunden gesprochen und vor allem viel gelacht. Nach 15 Minuten war dann aber Schluss mit lustig, denn die Pause war vorbei. Anschliessend durften wir den Unterricht besuchen. Nach individueller Schreibarbeit wechselte die ehrenamtlich unterrichtende Lehrkraft zu einer mündlichen Übung. Ein achtzehnjähriger Schüler erzählte uns, wie dankbar er sei, hier in die Schule gehen zu können. Er sei zwar schon zwei Jahre in der Schweiz, lebe aber fast die ganze Zeit mit mehr als 300 Flüchtenden in unterirdischen Zivilschutzanlagen. Beim Matheunterricht konnten wir Gymnasiast(inn)en als Helfer glänzen. Zumindest bis wir bei der einen oder anderen Aufgabe auch an unsere Grenzen stiessen. Als wir gegen 12 Uhr langsam Hunger bekamen, machten wir uns auf den Weg in die Telli, wo einige Schüler zusammen mit Freiwilligen uns ein Mittagessen zubereitet hatten. Zur Vorspeise gab es einen gemischten Salat mit selbstgemachtem Brot, anschliessend gab es Reis mit einer Rindfleischsauce und Gemüse oder eine vegetarische Variante mit Linsen und Gemüse. Zum Dessert gab es Obstküchlein. Das Mittagessen war ausserordentlich schmackhaft.
Am Diensttagnachmittag führten wir mit den Schülerinnen und Schülern der UMA-Schule ein Spiel- und Sportturnier durch. Dabei standen neben dem Spiel vor allem der Spass und das Knüpfen von neuen Kontakten im Vordergrund.
Zu unserem Erstaunen erschienen alle UMA pünktlich und konnten es kaum erwarten, mit Fussball, Basketball oder Volleyball loszulegen. Insbesondere das für die meisten UMA unbekannte Volleyballspiel war sehr gefragt. Überhaupt zeigten sich unsere neuen Freunde sehr offen für Neues, sei das für neue Spiele wie am Montag oder eben am Dienstagnachmittag, oder beim Knüpfen von Kontakten.
Die Sportarten spielten wir auf drei Felder verteilt. Jedes der acht Teams hatte in jeder Sportart ein Spiel à 10 Minuten zu absolvieren, so gab es auch genügend Pausen, welche, um ehrlich zu sein, eher von uns Kantonsschülern beansprucht wurden. Ein zentrales Ziel von uns Organisatoren war, dass alle mit einem Lächeln zum Spielen kommen und dann mit einem noch breiteren Lächeln um 15.00 Uhr wieder gehen würden. Im Nachhinein dürfen wir sagen: Ziel erreicht. Auf eindrückliche Art und Weise haben wir einmal mehr gesehen, wie viel Freude man an so kleinen Dingen wie einem Basketballspiel mit Freunden haben kann. Und wer das Gefühl hat, dass UMA-Schüler nur von Kantonsschülern lernen können und nicht umgekehrt, steht genauso im Offside, wie es der eine oder andere beim Fussballspielen an diesem Nachmittag getan hat.


[Bild: zVg]

Mittwoch, 25.04.2018: Ausflug nach Bern (ohne UMA) mit Schwerpunkt «Flucht und Überleben auf der Gasse»
Am Mittwoch trafen wir uns ohne die UMA am Aarauer Bahnhof. Anschliessend machten wir uns mit dem Zug auf den Weg nach Bern. Nachdem wir ein Foto auf der Bundesterrasse gemacht und die Morgensonne genossen hatten, gingen wir ins Historische Museum. Dort besuchten wir die Ausstellung «Flucht».
Die Ausstellung startete mit einem Video, das uns vor Augen führte, wie schnell Städte, Länder und Leben zerstört werden können. Insgesamt zeigte die Ausstellung eine andere Perspektive auf die Hintergrundgeschichten der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden. Die Ausstellung regte uns zum Nachdenken an, und wir stellten uns die Frage, was wäre, wenn wir dasselbe durchleben müssten. Dank des neuen Wissens und der Überlegungen zu dieser Frage waren wir am folgenden Tag viel offener gegenüber den UMA.
Am Mittwochnachmittag begaben wir uns auf den «Sozialen Stadtrundgang Bern», angeboten vom Verein Surprise. Vor der Notschlafstätte und Gassenküche «Sleeper» trafen wir auf unseren Guide Röschu, der uns herzlich begrüsste und sofort mit der Tour begann. Ausgehend von der Notschlafstätte und Gassenküche oberhalb des Nachtclubs «Dead End», wo Männer und Frauen Unterschlupf finden, erzählte er uns von seinem Werdegang und seiner Zeit auf der Gasse. Aufgebrochen sind wir Richtung Bundeshaus mit einem Zwischenstopp bei der. Auf unserem Weg zum Bundeshaus zeigte Röschu uns noch die kirchliche Gassenarbeit, wo Männer und vor allem Frauen diverse Hilfeleistungen beziehen können, und das Casa Marcello, einen der wenigen Orte, an dem jeder willkommen ist. Einen weiteren Stopp machten wir in der «Sonnenstube» nahe der Bundesterrasse. Dort erzählte uns Röschu von der Zeit, als sich rund um das Bundeshaus die grösste offene Drogenszene Europas befand. Als die Tour sich dem Ende zuneigte, begaben wir uns in die Altstadt, zuerst zum «Montagsladen von Emmaus», wo Röschu uns von Projekten erzählte, mit denen Menschen von der Strasse geholt werden. Den Schluss der Tour bildete ein Besuch beim Postgassenverein, wo jeder und jede während 365 Tagen im Jahr etwas Tolles zu Essen bekommt. Wir haben an diesem Nachmittag ganz neue, facettenreiche Aspekte der Gesellschaft gesehen und sind Surprise sehr dankbar für diesen Einblick in die andere Seite der Gesellschaft.

Donnerstag, 26.04.2018: Wanderung auf den Rütihof, grillen und Seilpark

[Bild: zVg]

Am Donnerstagmorgen trafen wir uns mit den UMA am Bahnhof in Aarau und fuhren gemeinsam nach Mittelmuhen. Von dort aus führte uns unser Klassenkamerad Philip über Stock und Stein in Richtung Rütihof. Unterwegs berichteten die UMA von ihren individuellen Fluchterlebnissen. Das, was wir am Vortag im Museum erfahren hatten, wurde uns nun von ihnen aufs Eindrücklichste bestätigt.
Auf dem Rütihof gab es dann ein gemeinsames Mittagessen mit guter Stimmung und multikultureller Musik.

Im Waldseilpark Rütihof wurden wir zuerst instruiert und mit der nötigen Ausrüstung ausgestattet, dann durften sich die Mutigsten auf einen einfacheren Parcours begeben. Ausgerechnet die UMA waren es, die sich bald auf schwierigere und höhere Routen wagten. Das Kletterniveau unserer Gruppe variierte zwischen Tarzan und Winnie the Pooh, was den Nachmittag noch amüsanter machte. Spass hatten jedenfalls alle, und auf der Heimreise liessen wir Erinnerungen und Erlebnisse Revue passieren.

Im Grossen und Ganzen war es eine sehr lehrreiche Woche, in der wir viele Menschen und ihre Schicksale kennengelernt haben. Die UMA-Schüler haben uns mit ihrer Offenheit und Zuvorkommenheit, mit ihrer Gutwilligkeit und ihrer Herzlichkeit begleitet und uns verdeutlicht, dass wir letztlich gar nicht so verschieden sind. Die UMA-Schüler sind uns in dieser Woche ans Herz gewachsen und wir werden auch mit vielen von ihnen weiterhin in Kontakt bleiben.


[Bild: zVg]

Fazit und Dank
«Die Gruppe der UMA war viel grösser als die der KantonsschülerInnen, und ich befürchtete, dass die Interaktion vielleicht nicht so gut klappen würde. Doch diese Angst verflog unglaublich schnell. So kitschig es auch klingen mag: Als ich die beiden Gruppen dabei beobachtete, wie sie angestrengt versuchten, ihren Jenga-Turm nicht zu stürzen, wie sie aneinander vorbeidribbelten und sich beim Basketball anfeuerten, wie sie sich im Seilpark gegenseitig halfen und Mut zusprachen und wie sie zu Musik von ihren Smartphones tanzten, verwischten alle Grenzen und Unterschiede. Vor mir bewegte sich eine einzige grosse Gruppe von jungen Menschen, die Freude hatten, Zeit miteinander zu verbringen. Da wusste ich, dass dieses Projekt ein Erfolg war.»
Sabrina Aegerter, Abteilungslehrperson

Wir bedanken uns von Herzen bei allen, die uns diese Woche ermöglicht haben. In erster Linie bei Sabrina Aegerter und Lukas Fellmann. Dann auch bei unseren grosszügigen Sponsoren, die den Ausflug in den Seilpark für die UMA möglich gemacht haben:
– Rotary Club Aarau
– Verein Ehemaliger der Alten Kantonsschule Aarau (AULA)
– Jugendkoordinationsstelle Aarau


[Bild: zVg]

Weiter danken wir:
– Röschu, dank dem wir einen Einblick in den Alltag von Obdachlosen erhielten.
– Der UMA-Schule, insbesondere der Leitung, die sich für die Durchführung eingesetzt hat, aber auch den freiwilligen Lehrpersonen, die uns erlaubt haben, ihren Unterricht zu besuchen, und den Praktikantinnen und Zivildienstleistenden, die alle Treffen begleitet haben.
Zu guter Letzt danken wir den Schülerinnen und Schülern der UMA-Schule, die für den Erfolg dieses Projekts wesentlich mitverantwortlich sind.