Insbesondere Menschen mit Downsyndrom wird ein offener und herzlicher Umgang mit ihren Mitmenschen zugeschrieben. Der Aargauer Simon Federer ist da keine Ausnahme. Was ihn aber besonders macht: Als Masseur hat er eine besondere Art von Nähe zu seinem Beruf gemacht.
Von Rahel Furrer und Regina Knüsel, G19A
[Bild: Rahel Furrer]
Um einen Interviewtermin mit Simon Federer zu vereinbaren, riefen wir ihn an und erhielten nach unserer Anfrage eine Einladung zu ihm nach Hause. Erfreut über diese unerwartete Gastfreundlichkeit, erkundigten wir uns nach der genauen Adresse, doch er bot uns an, uns direkt beim Bahnhof abzuholen. So erwartete uns in Turgi ein klein gewachsener Herr in schwarzem Mantel, der uns herzlich in Empfang nahm. Anschliessend führte er uns in seine Wohnung, in der er bereits seit einiger Zeit allein wohnt. Wir kamen sofort ins Gespräch und waren beeindruckt von seiner klaren Ausdrucksweise. An Formalitäten hielten wir uns nicht lange, schon bald wechselten wir zum Du, so dass das Gefühl aufkam, einander schon länger zu kennen.
Simon Federers Wohnung zeugt von dem, was er in seinem Leben schon alles erreicht hat. Vieles ist vor allem seiner Ausdauer und Lernbegeisterung zuzuschreiben.
Vor seinem Beruf als Masseur arbeitete er als Tierpfleger. Heute hilft er neben dem Massieren regelmässig in einer Bar aus und arbeitet im Briefzentrum in Härkingen. In der einen Ecke des Wohnzimmers steht ein Saxophon, auf dem er regelmässig übt. Neben der Musik spielt in seinem Leben vor allem Sport eine wichtige Rolle. Regelmässig geht er joggen – für Menschen mit Trisomie 21 eine eher unübliche Sportart –, und entgegen aller Vorurteile gegenüber Menschen mit Downsyndrom ist er schon mehrere ganze sowie halbe Marathons gelaufen. Stolz zeigt er uns schliesslich auch seine Küche: kochen und essen tut er fürs Leben gern.
Während des Gesprächs tasten wir uns vorsichtig an das Thema «Nähe» heran. Ein schwieriger Begriff, finden wir alle, ist es doch etwas Ungreifbares, etwas, das zwischen Menschen stattfindet und doch nicht sichtbar ist. Auch durch seinen Beruf als Masseur hat er schon einige Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt, weshalb wir zuerst darauf zu sprechen kommen.
Kräftige Hände
Zum Massieren kam er durch eine Anfrage. Simon Federer wurde einige Jahre vom Schweizer Fernsehen SRF begleitet, wodurch eine Doku über seinen Werdegang entstand. So wurde er quasi «entdeckt». Jemandem fielen nämlich Simons kräftige Hände auf, welche sich zum Massieren perfekt eignen. Zuerst wusste er nicht so recht, was er von der Sache halten sollte. Schlussendlich überzeugte ihn ein Punkt, der ganz besonders in seinem Interesse lag: «Erst als mir der zukünftige Chef gesagt hat, dass ich auch den Fitnessraum benutzen darf, habe ich geleuchtet.» So durfte er also, ganz zu seinem Vergnügen, während der Ausbildung diverse Sportgeräte nutzen. Nach einigen Probemassagen hatte er bereits eigene Kunden, lernte fleissig ganz viele lateinische Begriffe und erlangte schliesslich seinen Ausweis, mit dem er nun offiziell als Masseur arbeiten kann. Mittlerweile ist er selbständig und hat in der Altstadt von Baden einen eigenen Praxisraum, wo er Freunde, ehemalige Lehrer, Schüler und Schülerinnen der Tagesschule «drive» und all jene, die einen Termin buchen, massiert. Diese Arbeit bereitet ihm viel Freude. «Wenn ich massiere», sagt er, «bin ich einfach locker.» Genauer beschreiben kann er dieses Gefühl nicht. Beim Massieren müsse er einfach darauf achten, dass er sich konzentriere und seinen Kopf beieinander habe, denn nur dann könnten seine Kunden die Massage geniessen, erzählt uns Simon Federer. «Manchmal bin ich auch etwas müde vom Massieren. Das merke ich ab und zu – aber ich habe ja eine Kaffeemaschine, und dann mache ich mir einen Kaffee.» Und wenn auch das nichts hilft, dann fällt die nächste Massage halt aus – denn halbe Sachen gibt es bei Simon Federer nicht.
Vertrauen als Basis
An seinem Beruf gefällt ihm besonders der Umgang mit Menschen. Er freut sich vor allem, wenn jemand in die Massage kommt, den er oder sie auch privat kennt. Zu den Freunden sei das Vertrauen grösser, daher komme man sich auch viel näher als im Kontakt mit Fremden. Bei diesen muss zuerst eine Vertrauensbasis geschaffen werden: Er fragt sie nach ihrem Namen, und zu wissen, was sie beruflich und in ihrer Freizeit machen, findet er auch wichtig.
Über sich selbst sagt Simon Federer, er sei offen und ehrlich, so wolle er auch sein. Er denkt im Gespräch mit anderen Menschen viel mit und überlegt sich immer, was er antwortet. Simon lebt ganz nach der Überzeugung: «Eine Antwort muss immer gut sein.» Im ÖV und allgemein in der Öffentlichkeit werde er oft angesprochen, dadurch komme er ins Gespräch mit Fremden, was ihn sehr freue. Doch mit Leuten, denen er anmerkt, dass sie etwas gegen ihn haben oder gedanklich irgendwo anders sind, rede er eigentlich nicht. «Ich rede mit denen, die Antworten geben wollen, wenn ich etwas erzähle.»
Downsyndrom
Beim Thema Trisomie 21 ist er Fremden gegenüber eher etwas zurückhaltend. «Ich gehe die Leute nicht gerne verschrecken mit dem Downsyndrom.» Auch wir kommen erst gegen Ende unseres Gesprächs darauf zu sprechen. Viel lieber erzählt Simon Federer von dem, was er im Leben schon alles erreicht hat. Wenn die Leute aber fragen, gibt er Auskunft darüber und fügt oft die Erklärung dazu: «Ich schaffe Dinge einfach etwas langsamer.» Er weiss ganz genau, was er will und was nicht. Er spricht aus, was in ihm vorgeht, und hat einen besonderen Sinn dafür, zu spüren, wie es seinen Mitmenschen geht. «Ich merke das gut, wenn jemand traurig ist», sagt er, und auch wir merken: Bei Simon Federer, dem Marathonläufer, Masseur und Menschenkenner ist man in guten Händen.
Nach dem Interview machten wir noch einige Fotos von Simon. Im Gegensatz zu uns hatte er das voll im Griff. Noch bevor die Kamera richtig eingestellt war, hatte er seine Pose eingenommen und erzählte von den Englischkursen, die er besuchen wolle, um sich auf Reisen verständigen zu können. Dann waren die Fotos auch schon im Kasten – und wir nach einem eindrücklichen Nachmittag um eine ganze Menge Inspiration reicher.