2023, Im Fokus, Interview, Sage & Schreibe Nr. 37, Zu Hause

Zuhause in der WG

Die klassische Wohnsituation von Studentinnen und Studenten: die Wohngemeinschaft. sage&schreibe hat eine Neun-Personen-WG in Zürich besucht, um mehr über das studentische Zusammenleben zu erfahren. Red und Antwort gestanden sind zum einen die 22-jährige Jelena Hufschmid, die an der Uni Zürich Veterinärmedizin studiert und seit November 2020 in der WG lebt, zum anderen Janick Baumann, 23, der Gesundheitswissenschaften und Technologie an der ETH studiert und Mitte Juni in die WG eingezogen ist.

Von Jessica Guerreiro, Luisa Dambach und Nathalie Tanner, G21K

Sage&schreibe: Warum habt ihr euch dazu entschieden, in einer WG zu leben?
Jelena: Ich habe 2020 mitten in der Coronazeit mein Studium angefangen und mir hat der Kontakt zu anderen Studenten gefehlt.
Janick: Mein Hauptgrund war, dass ich sehr weit entfernt wohne. Kommt dazu, dass ich mich von der Familie lösen und mehr Freiheit haben wollte.

Wie ist es, mit fremden Leuten zusammenzuleben?
Jelena: Am Anfang war es etwas schwierig; ich brauche Zeit, um andere Menschen kennenzulernen und mich irgendwo wohlzufühlen. Ich hatte allerdings grosses Glück, da ich hier sehr coole Menschen gefunden habe. So ging es ziemlich schnell mit der Eingewöhnung. Zudem: Man kann sich jederzeit in sein Zimmer zurückziehen, wenn man Ruhe braucht oder einfach allein sein will.
Janick: Man läuft sich hier ja ständig über den Weg. So kommt man nicht drum herum, einander kennenzulernen. Ich fühle mich jedenfalls schon ziemlich zuhause, obwohl ich erst seit drei Wochen hier wohne. Das Zimmer einzurichten – das war übrigens ein wichtiger Punkt für mich. Mein eigenes kleines Reich, das muss passen. Sonst fühle ich mich nicht wohl.

Was ist in der WG anspruchsvoller im Vergleich zum Leben zuhause?
Jelena:Ich finde, in der WG gibt es nichts, was anstrengender wäre als zuhause. Gut, als ich noch bei den Eltern wohnte, bekam ich logischerweise mehr Unterstützung beim Putzen, Kochen und so weiter. Dafür bin ich jetzt in ein paar Minuten an der Uni. Früher dauerte mein Schulweg satte srei Stunden.
Aber, zugegeben – wobei das nicht direkt mit der WG zu tun hat: Anfangs war die Umstellung vom Land- zum Stadtleben schon eine Herausforderung. Das ist jetzt natürlich kein Thema mehr.
Janick: Anspruchsvoller ist sicher, dass man alles selbst erledigen muss. Ganz ehrlich: Mit dem Waschen habe ich noch immer meine liebe Mühe. Ich brauche da wohl noch etwas mehr Routine. Aber es kommt gut. – Und dann bin auch nicht der beste Koch. Meine Kochkünste reichen immerhin aus, mich irgendwie zu ernähren. Auch wenn das jetzt vielleicht nicht so gesund klingt.

Wie seid ihr ausgerechnet auf diese WG gekommen? Zudem ist Zürich ja ein teures Pflaster.
Jelena: Auszuziehen war eine relativ spontane Entscheidung, aber ich wollte unbeddingt in eine WG. Und dann sucht man halt…
Janick: Die Wohnung hier ist eine WG von WOKO, der studentischen Wohngenossenschaft Zürich. Ihr Wohnangebot richtet sich ausschliesslich an Studierende von Zürcher Hochschulen. Du kannst höchstens ein Zimmer mieten und darfst nicht älter als 28 Jahre sein. Dafür ist das Ganze bezahlbar.

Wie ist eure Beziehung zu den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern?
Jelena: Ich denke, dass man mit einigen enger befreundet ist als mit anderen, das ergibt sich halt so. Allerdings sind wir nicht nur Bekannte, ich würde sagen, wir sind Freunde. Bis jetzt hat es jedenfalls immer gut funktioniert, denn wir verstehen einander einfach – und zudem: Wir sehen uns ja auch nicht rund um die Uhr.
Janick: Schwierig zu sagen, nach drei Wochen. Aber ich würde schon sagen, ich habe bereits ein paar Freunde hier gefunden. Die anderen sehe ich auch gar nicht oft. Die haben einen ganz anderen Tagesrhythmus. Deshalb: Das wohl bis jetzt einfach Bekannte, die man im Aneinandervorbeigehen nett grüsst.

Wohnt ihr hier nur? Oder ist das euer Zuhause?
Jelena: Für mich ist die WG definitiv längst ein echtes Zuhause. Hier habe ich alles selbst eingerichtet; hier fühle ich mich wohl. Das Zuhause bei der Familie habe ich aber nicht aufgegeben. Bei meiner Familie ist es ein emotionales Zuhause, weil ich mich den Personen dort näher fühle als meinen Freunden hier. Ich bin also hier und dort zuhause.
Janick: Im Moment ist es so, dass mein Zuhause bei meiner Familie ist; da verbringe ich auch die Wochenenden. Die WG ist eher so etwas wie eine Aussenbasis für unter der Woche. Allerdings habe ich das Gefühl, das wird sich mit der Zeit ändern.

Wie finanziert ihr das Leben in der WG?
Jelena: Ich habe Glück, werde von Eltern finanziell unterstützt. Mehr Wohnraum kann ich mir aber nicht leisten. Nur, für mich war immer klar, dass ich gar keine teure Wohnung haben möchte.
Janick: Ich habe nach der Matura ein Zwischenjahr gemacht und Geld verdient. Zum einen lebe ich nun von diesem Geld, und zum anderen habe ich ein Studiendarlehen aufgenommen, um die Lebenskosten decken zu können.

Fazit?
Jelena: Ich wohne sehr gern in einer WG, weil ich gern selbständig bin. Aber man kann auch zuhause wohnen und trotzdem ein spannendes Studentenleben führen.
Janick: Man sollte das mit der WG auf jeden Fall wagen, auch wenn es kein ganz einfacher Schritt ist, die Familie zu verlassen. Aber es lohnt sich, über seinen Schatten zu springen und in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. Auf jeden Fall.

TAKE-AWAY I – Janick
Als ich in die WG einbrach
«An einem Samstag ging ich mit Freunden zu IKEA, um Möbel für mein WG-Zimmer zu kaufen. Nach dem Einkauf fuhren wir nach Zürich, um die Einkäufe auf mein Zimmer zu bringen. Als ich vor der WG-Tür stand, merkte ich, dass ich den Wohnungsschlüssel nicht dabei hatte. Zuhause hatte ich nie einen Schlüssel gebraucht, weil meine Eltern die Tür nie abschliessen. Deshalb hatte ich schlicht nicht an den Schlüssel gedacht. Und im WG-WhatsApp-Chat meldete sich niemand.
Da fiel uns auf, dass das Badezimmerfenster offen war. Meine zierliche Kollegin kletterte hinein und öffnete uns die Tür von innen.
Als wir schon dabei waren, das Auto zu entladen, bekam ich eine Nachricht: Ein Mitbewohner fragte, ob ich den Ersatzschlüssel inzwischen gefunden hätte…»

TAKE-AWAY II – Jelena
Deshalb schliessen wir unsere Türen ab
«Anfangs schlossen wir die WG-Tür nie ab. Wir wohnen hier schliesslich in einer relativ sicheren Gegend. Jedoch gab es einmal eine Party in einer Nachbar-WG, wo es zu einem sehr komischen Ereignis kam.
Ein ungebetener und stockbetrunkener Partygast zerstörte den Fernseher und die WC-Schüssel, verrichtete sein Geschäft auf dem Fernsehtisch der WG und liess auch noch seine Unterhosen zurück. Das war sehr bizarr. Und deshalb schliessen wir immer die Wohnungstür ab. So was soll uns nicht passieren.»