Alte Kanti, Essay, jung&politisch, Sage & Schreibe Nr. 21

Zwischen Smartmob und Smartphone

Oder wie politisch ist die heutige Jugend?

Vergleicht man die politischen Aktivitäten der Jugendlichen von heute mit denjenigen der Jugend der 1960er Jahre, so überkommt einen unwillkürlich das Gefühl, man habe es mit einer apathischen und desinteressierten Meute zu tun, welche sich um das Allgemeinwohl und den politischen Alltag keinen Deut schert. In der heutigen Gesellschaft hat sich das Bild einer egozentrischen und luxusorientieren Generation Y fest in die Köpfe eingebrannt.

„Viele Jugendliche entziehen sich der Politik mit der Ausrede, es betreffe sie nicht. Dafür ist das Engagement der Interessierten umso grösser.“ – Remo, 19

„Es spielt eine grosse Rolle, wie man politisch sein umschreibt. Geht es um Parteizugehörigkeit oder regelmässige Stimmbeteiligung, sind wenig junge Menschen politisch. Bedeutet politisch sein aber, sich für gesellschaftliche Fragen zu interessieren und eine individuelle Meinung zu haben, sind viele Jugendliche politisch.“ – Vera Sperisen, Zentrum für Demokratie, Aarau

„Meiner Meinung nach interessieren wir Jugendliche uns für Politik. Es variiert jedoch stark nach Thema.“ – Lukas, 19

Geht man davon aus, politisch sein beschränke sich auf die Partizipation bei Wahlen und Abstimmungen, so erhält man ein ziemlich ernüchterndes Jugendbild. Schweizweit lässt sich das Phänomen zwar nicht numerisch darlegen, da nicht alle Abstimmungen nach dem Alter der Stimmberechtigten aufgeschlüsselt werden, einen Trend lässt sich jedoch klar erkennen. Die Wahlbeteiligung der 20- bis 24-Jährigen im Jahr 2013 im Kanton Genf zum Beispiel lag bei nur rund 42 Prozent. Auch in der Stadt Zürich ist die Partizipation der Jugendlichen um bis zu 40 Prozent tiefer als bei älteren Semestern. Der Politologe Lukas Golder des Forschungsinstituts gfs.bern bestätigt, dass die aktive Beteiligung am politischen Alltag der Jugendlichen von heute vergleichsweise klein ist.

„Jugendliche bringen Würze in die sonst so schwerfällige Politik.“ Dean, 19

Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, wurden in der letzten Jahren zahlreiche Projekte lanciert, welche allesamt das Ziel verfolgen, den Schweizer Jugendlichen die Politik näher zu bringen. Seit 1995 gibt es den Dachverband der Schweizer Jugendparlamente DSJ. Daraufhin wurde im Jahre 2000 das „JUVENAT – Jugendparlament des Kantons Aargau“ ins Leben gerufen. – Bereits während der Schulzeit soll Jugendlichen das politische Engagement schmackhaft gemacht werden. Seit 2008 etwa bietet der Verein „Schulen nach Bern“ ein einzigartiges Projekt an, bei welchem Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten wird, die Schweizer Demokratie hautnah mitzuerleben.

„Ich beteilige mich aktiv an der Politik, da ich sozial- und finanziell Benachteiligte und Menschen, welche auf der Schattenseite des Leben stehen, unterstützen will.“ – Nadia, 20, JUSO-Mitglied

Die AKSA bietet ein breites Angebot für die Gymnasiasten, mit der direkten Demokratie warm zu werden und sich politisch zu engagieren. Sei es bei den Debattentagen, im Freifach Politische Bildung oder wenn eine Delegation der Alten Kanti an das European Youth Parliament geschickt wird. Auf Bundesebene wurde zusätzlich die Aktion Easyvote ins Leben gerufen, welche Jugendlichen aktuelle politische Themen kurz und verständlich erklärt und die Abstimmung erleichtert.

„Jugendliche interessieren sich heute nicht mehr grossartig für Politik. Dinge wie Social Media sind für die meisten wichtiger.“ – Corinne, 16

Trotzdem ist das Desinteresse der Jugendlichen bezüglich Politik scheinbar gross. Jungparteien verlieren an Mitgliedern und Abstimmungsurnen bleiben leer. Daraus lässt sich jedoch nicht notwendig auf eine apolitische Generation schliessen. Die Gesellschaft hat sich verändert und mit ihr auch die Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren. Nebst den konventionellen Methoden wie zum Beispiel die Mitgliedschaft in einer Partei treten Jugendliche heute einer politischen Gruppe auf Facebook bei, leiten eine E-Mail mit politischem Inhalt weiter, sprayen ein Graffiti oder nehmen an einem Smartmob, also einem Flashmob mit politischer Aussage, teil.

Auffallend dabei ist, dass sich die Jugendlichen sehr wohl für Politik interessieren. Das Engagement ist aber sehr themenabhängig, zeitlich befristet und individuell. Je nach persönlichem Interesse und je nach Präsenz eines Themas in den Medien entscheiden Jugendliche spontan, ob und wie sie an einer politischen Diskussion teilhaben wollen. Vor allem bei Grundsatzthemen wie dem Klimawandel oder der Zuwanderungsbeschränkung fällt es Jugendlichen leicht, sich zu positionieren und für ihre Meinung einzustehen.

Trotzdem geben lediglich rund 34 Prozent der Schweizer Jugendlichen an, sich für Politik zu interessieren. Diese Zahl scheint alle Vorurteile einer desinteressierten Jugend zu bestätigen. Ich wage aber zu bezweifeln, dass sich der Geist der Jugend im Lauf der Jahrzehnte fundamental verändert hat. Denn sogar während der ausserordentlich politischen 1960er Jahre waren es nur knapp 5 Prozent, die auf die Strasse gingen. Eine Minderheit, welche das Bild einer ganzen Generation prägte.

Von Marina Bertoldi (Freifach Politische Bildung)