Tatsächlich: Es gibt einen Baum, aus dem eines der tödlichsten natürlichen Gifte und gleichzeitig ein tagtäglich gebrauchtes Öl gewonnen wird. Vielleicht klingelts bei der einen oder anderen Krimi-Leseratte oder bei faltengeplagten Beautyfans bei den Begriffen Rizin und Rizinusöl. – Was hat es wirklich auf sich mit dem Wunderbaum? Wir haben über die «Giftpflanze des Jahres 2018» recherchiert.
Der Rizinus (Ricinus communis) stammt ursprünglich aus dem afrikanischen und indischen Raum, ist heute jedoch in Höhen von bis zu 2000 Metern weltweit verbreitet. Bei uns kommt der Rizinus hingegen fast nur als Zierpflanze in Gärten vor und blüht von Juli bis August.
Der Alleskönner
Das Rizinusöl, gewonnen durch das Pressen der Samen, wurde schon 1500 v. Chr. für medizinische Behandlungen verwendet. Das Öl weist zahlreiche chemische Reaktionsvarianten auf und dient heute in der Medizin zur Behandlung von Narben, als Abführmittel oder als Bestandteil von Augentropfen, in der Kosmetik zur Herstellung von Cremes und Wimperntuschen und in der Technik als Lackbestandteil oder Schmiermittel für beispielsweise Motore. Anders gesagt: Der Anwendungsbereich von Rizinus-Öl ist unglaublich vielfältig.
Tödliche Samen
Im Gegensatz zum Öl, das aus den Samen gepresst wird, sind die Samen selbst hochgiftig. Dieses Gift, das sogenannte Rizin, ist wasser- nicht aber fettlöslich. Es stoppt die Proteinproduktion im menschlichen Körper und lässt die Zellen in kürzester Zeit absterben.
Die Symptome bei einer Vergiftung sind ähnlich wie die einer Magendarmgrippe. Spätestens 48 Stunden nach Einnahme des Gifts tritt dann aber ein Kreislaufkollaps ein, und der Betroffene stirbt. Bis heute gibt es für Rizin kein wirksames Gegengift.
Rizin als Tatwaffe
Es ist wenig verwunderlich, dass die toxische Wirkung der Rizinussamen gezielt genutzt und teilweise sogar für kriminelle Zwecke eingesetzt wird. Eines der bekanntesten Verbrechen in diesem
Zusammenhang ist das sogenannte Regenschirm-Attentat, das 1978 auf den bulgarischen Schriftsteller Georgi Marko verübt wurde. Der Täter, mutmasslich ein bulgarischer Geheimdienstmitarbeiter, verletzte sein Opfer mit einer präparierten Regenschirmspitze. Dabei wurde eine kleine, mit Rizin gefüllte Kugel in den Oberschenkel des Schriftstellers injiziert. Die Kugel war mit Zuckerguss umhüllt, der sich unter der Haut auflöste und das Rizin freisetzte. Die Symptome wurden zu spät erkannt, und so erlag Georgi Marko wenig später seiner Vergiftung.
Diesen Frühling wurde bei einer Razzia in Köln eine grosse Menge Rizinussamen gefunden, deren Gift für den Bau einer Biobombe verwendet werden sollte. Glücklicherweise konnte der mutmassliche Bomber verhaftet und Köln vor einer unvorstellbaren Katastrophe bewahrt werden.
Das Potenzial des Wunderbaums ist wahrlich gewaltig – im Guten wie im Schlechten. Es ist zu hoffen, dass der Mensch verantwortungsvoll und konstruktiv mit diesem Wunder der Natur umgeht und es nicht als todbringende Waffe missbraucht.
Von Delia Limacher und Laura Wälchli, G4L