Das (Un-)Ding, dies&das, Sage & Schreibe Nr. 22

Die Agenda

Letzthin, noch vor den Ferien, stand zwanzig Minuten zu früh am Bahnhof und beschloss, den Buchladen aufzusuchen, in der Hoffnung, die Zeit sinnvoll hinter mich zu bringen. Da lag schon das kleine, rote Büchlein in meiner Hand, und alle Tage der kommenden eineinhalb Jahre waren bereits darin enthalten. Marke: „Moleskin“, zu Deutsch „Maulwurfshaut“. Preis: akzeptabel. Ich beschloss, mir etwas Ordnung für die nächsten eineinhalb Jahre zu gönnen, nach all den überraschenden Prüfungen, Whatsapp-Nachrichten mit wütenden orangen Emojis, die ich aufgrund verpasster Treffen erhalten hatte, und Terminen, die gleich dreifach verplant waren, ohne dass ich es gemerkt hätte.

Vor zwei Wochen hat mein neues Leben begonnen, nachdem ich die Ferien damit verbracht hatte, dem roten Büchlein mit Zitaten aus Liedern und Büchern einen Sinn zu geben. Schon die erste montagmorgendliche Notiz („S.198-202 lesen“) tat aufgrund ihrer Belanglosigkeit weh, und dann kamen die Prüfungen von Vektorgeometrie bis Ethik, die Deadlines, die ich nun alle einhalten würde, der Stress, der nun schon Monate vor dem eigentlichen Ereignis eintrat. Während der Lektionen lag das Büchlein auf dem Tisch, so rot, dass ich es aufschlagen musste. Nach drei Schultagen fand ich eine Sammlung von Stickern darin, unter anderem einige mit der Aufschrift „birthday“. Ich machte eine Tugend daraus und fragte meine Banknachbarn in besonders unerträglichen Stunden nach ihrem Geburtsdatum und klebte dieses pflichtgemäss mit einem Sticker zu. Vergessene Geburtstage bleiben mir von nun an erspart.

Nein, die „Maulwurfshaut“ hat mir nicht die erhoffte Erleuchtung gebracht. Aber dank ihr kann ich meine Gänge in der Dunkelheit jetzt etwas einfacher graben.

Benjamin Bieri, G4L