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«Du kannst du sein»

Mark alias Kira Lafleur hat in der Kunst, in Drag zu performen, das Glück gefunden. Wir haben die 21-Jährige Aargauerin, eine Grösse in der Zürcher Drag-Szene, über Zoom zu ihrer nicht alltäglichen Kunst befragt und einen jungen Menschen kennengelernt, dem es ein Anliegen ist, seine Leidenschaft mit anderen Menschen zu teilen, aber auch Missverständnisse zu klären und mit Vorurteilen aufzuräumen.
Von Amina Colombo und Elin Cattaneo, G19A


[Bild: zVg]

sage&schreibe:Wann hast du mit Drag-Performances begonnen und wie bist du darauf gekommen?
Kira Lafleur:
Angefangen hat alles, als ich mit 12 Jahren das erste Mal Videos von Dragqueens gesehen habe. Da war ich noch etwas skeptisch, aber als ich dann auf eine Casting-Show für Dragqueens gestossen bin, war ich immer faszinierter. Ich dachte mir, da ich gerne singe, tanze und performe, kann ich das auch machen. Also fing ich an, mich zu schminken, und übte, auf High Heels zu tanzen.

Woher kommt dein Künstlername Kira Lafleur?
In der Schule war mein Spitzname Kiba. Da ich mich mit dem Namen sehr wohl fühle, wollte ich diesen teilweise beibehalten, so entstand Kira. Im Nachhinein erfuhr ich, dass «kira kira» auf Japanisch «funkelnd» heisst, was dem Namen einen schönen Touch gibt. Lafleur ist der Nachname einer Freundin, und da es der schönste Nachname ist, den ich je gehört habe, musste ich ihn einfach übernehmen. Er ist auch insofern passend, als ich gerne mit Blumen und Bouquets bastle und diese auch als Kopfschmuck trage.

Sind deine Verwandlungen nur «for fun» oder geht es dir um ein Statement?
Anfangs war es vor allem der Spass am Kostüm, dem Schminken und Tanzen, der mich vorangetrieben hat. Es war auch ein wichtiger Teil meiner Selbstfindungsphase. Drag half mir, aus dem Binären System herauszutreten. Drag ist etwas Rebellisches, das mich aus diesem Schubladendenken befreit hat und mir etwas gezeigt hat, was ich vorher noch nicht kannte. Mittlerweile ist es daher mehr ein Statement, rauszugehen und nicht der Norm zu entsprechen. Auch jüngeren Generationen möchte ich so zeigen: Du kannst du sein.

Was hast du für ein Verhältnis zu den Begriffen «männlich» und «weiblich»?
Grundsätzlich mag ich die Wörter nicht, denn was ist schon männlich und was weiblich? Wenn Menschen den Begriff «männlich» benutzen, meinen sie oft breit, muskulös, dominant. Ich höre lieber solche Begriffe als das Wort «männlich», denn auch Frauen können breit, muskulös und dominant sein. Ich würde jedoch lügen, wenn ich sagen würde, dass ich die Bezeichnungen männlich und weiblich nie benutze, dafür sind sie in unserem alltäglichen Sprachgebrauch zu fest verankert.

Die Begriffe «trans» und «transgender» sind heute sehr präsent. – Hat eine Dragqueen etwas damit zu tun?
Es hat insofern etwas damit zu tun, dass es auch Transgender Drag-Performer gibt und es für viele ein Weg ist, sich in Bezug auf sein gefühltes Geschlecht selbst zu finden. Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass trans/transgender ein soziales Geschlecht ist. Drag hingegen ist eine Kunstform, du schlüpfst in eine Rolle. Wenn eine Person transgender ist, hat das hat nichts mit einer Rolle zu tun.

Wie gehst du mit Unverständnis um?
Ich persönlich werde nicht oft mit verschlossenen Menschen konfrontiert, denn wenn ich in Drag bin, befinde ich mich immer in einem aufgeschlossenen Umfeld. In komplettem Performance Outfit in meiner Nachbarschaft herumzulaufen, traue ich mich aber bis heute nicht.
Es kommt schon vor, dass mich Menschen verwirrt anschauen, aber ich mag das. So werden sie mit etwas konfrontiert, was sie noch nicht kennen und was noch immer ein Tabuthema ist. Wenn wir uns aber zeigen, bleiben wir nicht ungesehen. Wichtig ist mir, dass es die Leute zum Nachdenken anregt.
Interessierten Personen erkläre ich auf humor- und respektvolle Art, was Drag ist. Ich kann mir vorstellen, dass man in gewissen Kreisen und Freundesgruppen nie über dieses Thema redet, deshalb will ich niemanden verurteilen und gebe mir Mühe, möglichst verständnisvoll zu sein.

Worin besteht die Faszination, als Mann in Frauenkleidern aufzutreten?
Was sind Frauenkleider? Wer sagt denn, dass Röcke und High Heels Frauen vorbehalten sind? Wenn man in der Geschichte zurückgeht, merkt man, dass hohe Schuhe ursprünglich für Männer gedacht waren. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist Louis XIV. Vor geraumer Zeit durften Frauen keine Hosen tragen – und mittlerweile ist es komplett normal. Kleider sind nur Stoff; warum also sollten wir Menschen aufgrund ihres Geschlechtes vorschreiben, was sie zu tragen haben? Für mich geht es darum, einen zentralen Aspekt meiner Persönlichkeit auszuleben und dabei anzuziehen, was ich möchte.

Bist du auf der Bühne eine Frau oder ein verkleideter Mann?
Ich bin nicht-binär, bezeichne mich also weder als Mann noch als Frau – unabhängig von der Bühne. Ich kann mir aber vorstellen, dass es viele Männer gibt, die Drag machen und ihre Rolle auf der Bühne als Frau bezeichnen würden. Ich selbst bin sowohl auf als auch neben der Bühne einfach ich. Abgesehen vom Make-up und den hohen Schuhen gibt es keinen Unterschied zwischen Mark und Kira. Viele trennen ihre Rolle aber ganz klar. Auf der Bühne sind sie eine Kunstfigur, vor- und nachher wieder sie selbst.

Wie ist der Umgang in der Szene? Ist man befreundet oder herrscht grosse Konkurrenz?
Weil wir in der Schweiz eine verhältnismässig kleine Szene haben, unterstützen wir einander gegenseitig. Wir schätzen es, andere Drag-Künstler kennenzulernen. Eine gewisse Konkurrenz gibt es in Bezug auf die Auftrittsmöglichkeiten. Wir wollen ja alle auftreten – so oft wie möglich.

Können alle Personen Drag machen?
Ja unbedingt! Alle können Drag machen, egal welches Geschlecht oder welche Sexualität. Sobald du dich wohl fühlst dich in Drag zu präsentieren und zu performen, tu es! Denn es wäre etwas paradox, wenn wir in der Drag Community Personen ausschliessen würden, obwohl wir ja für Gleichberechtigung kämpfen. Drag macht Spass, jeder, der Lust hat, soll es tun.

Kira Lafleur auf Instagram kiralafleuur

Drag/Dragqueen Eine Dragqueen performt (übertriebene) Weiblichkeit im Kontext einer Performance. Dragqueens sind oft, aber nicht immer, Cis-Männer, denn grundsätzlich handelt es sich bei Drag um eine Performance, die unabhängig vom Geschlecht der Person ist.
Nicht-binär: Oberbegriff für Personen, die sich nicht in das zweigeteilte Geschlechtersystem einordnen können oder wollen, sich also nicht ausschliesslich als männlich oder weiblich identifizieren. Solche Personen möchten sich auch nicht auf ein Personalpronomen reduzieren lassen. Sie verwenden wahlweise er/ihm oder sie/ihr.

Trans/transgender: Als transgender bezeichnet man Personen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.