Alte Kanti, Essay, Sage & Schreibe Nr. 24

Ehemaligenvereine: Nur Nostalgie?

Wo immer Menschen sich für eine gemeinsame Aufgabe zusammenfinden, gibt es Partnerschaften. Wenn dann die gemeinsame Aufgabe erledigt ist, entstehen dann die verschiedensten „Ehemaligenvereine“. 

An der Kantonsschule war die „Klasse“ diese Gemeinschaft. In der unsicheren Zeit zu Beginn des Krieges kam für uns Kantischüler das Aufgebot in die sogenannte „Ortswehr“. Dort wurden wir mit einer roten Armbinde mit Schweizerkreuz und einer Waffe ausgerüstet und wir wurden angehalten, Armbinde und Waffe immer zu tragen, auch wenn wir in die Schule gingen. Aus Unvorsichtigkeit löste sich dann während einer Französischstunde ein Schuss aus einer dieser Schusswaffen. Zum grossen Glück entstand, ausser einem Loch in der Schulbank, kein Schaden. Der schon ältere Professor behändigte die Waffe, legte sie in sein Pult und setzte seinen Unterricht nahtlos fort. Von da an hatten wir die grösste Hochachtung vor diesem Lehrer, der die sehr aussergewöhnliche Situation souverän gemeistert hatte. Solche exzentrischen Erlebnisse stärkten natürlich den Zusammenhang unserer Klasse sehr stark.

Ein neuer Anstrich
Als wir dann alle im Berufsleben installiert waren, trafen wir uns zur Klassenzusammenkunft. Und genau wie das die Kritiker sagen, frönten wir der Nostalgie, denn wir trafen uns in jenem Schulzimmer, in dem seinerzeit der Schuss fiel. Aber trotzdem bemerkten wir, dass das Schulzimmer in einem erbärmlichen Zustand war, in dem die Farbe an verschiedenen Orten von den Wänden abblätterte. So beschlossen wir an Ort und Stelle, Geld zu sammeln, um dem „geschichtsträchtigen“ Zimmer mit einem neuen Anstrich wieder ein ehrwürdiges Aussehen zu geben.
Neben der Klasse als Gemeinschaft gab es damals vier Kantonsschüler-Verbindungen. Das brachte mit sich, dass wir nun auch Schüler der höheren und der unteren Klassen kennenlernten und unvermeidlich: jede Verbindung hatte ihren Altherrenverein. Und diese „alten Herren“ waren nicht nur an Nostalgie interessiert, sondern halfen den Aktiven auf mannigfache Weise. Und auch später im Leben konnte man einen „alten Herrn“ immer unkompliziert um Rat oder Hilfe bitten. Viele verdanken ihren beruflichen Erfolg der Hilfe eines „alten Herrn“. Wobei es da nie um Geld und Sinekuren ging, sondern darum, den richtigen Mann am richtigen Ort zu platzieren, was heute den politisch korrekten Bürokraten fast nie mehr gelingt.

Verbindungstage
1985 hatte jemand die glorreiche Idee zur Gründung des sogenannten „Verbindungstages“. Da versammelten sich jährlich die Alten Herren aller vier Verbindungen mit den Aktiven, also den Kantonsschülern, als Gäste. Zum festen Programm dieses Anlasses gehörte ein Bericht des jeweiligen Rektors der Alten Kanti. So vernahm man das Neueste von der Schule und daneben berichtete eine bekannte Persönlichkeit aus dem Altherrenverband über ein aktuelles, manchmal auch über ein grundsätzliches Thema. Beim Frühschoppen und beim Mittagessen kam natürlich auch die Nostalgie zum Zuge.
Aber noch immer fehlte ein Segment der Ehemaligen, nämlich die Frauen und all jene, die keiner Verbindung angehörten. Dieses Manko wurde dann 1997 durch die Gründung des Ehemaligenvereins „AULA“ behoben. Auch dieser Institution war ein guter Start beschieden. Da sah man plötzlich ein von irgendwoher bekanntes Gesicht, von dem man vorher gar nicht gewusst hatte, dass es einem Absolventen der Alte Kanti gehört. Da kam wieder die Nostalgie zum Zuge. In ihrer Tätigkeit ist die AULA aber voll in der Gegenwart und mit ihren Förderprogrammen auch in der Zukunft positioniert.

Zum Schluss sei nun die Frage des Titels beantwortet: Ja, die „Ehemaligenvereine“ pflegen die Nostalgie, aber daneben befassen sie sich sehr entschieden mit den Problemen von heute und der Zukunft. Und den vielen Kritikern der persönlichen Erinnerungen möchte ich zurufen: „Etwas mehr Rückblende stände den Lenkern dieser Welt gut an, denn dann würden sie nicht ständig die Fehler der Vergangenheit wiederholen, und wir hätten eine friedlichere Welt.“

Von Max Salm