Mit Beginn des kommenden Schuljahrs verändert sich einiges in den Lehrplänen der Wirtschaftsmittelschule. Verantwortlich dafür ist die vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, SBFI, konzipierte Reform der kaufmännischen Grundbildung, welche der Digitalisierung und dem Fachkräftemangel Rechnung trägt und Handlungskompetenzen in den Fokus der Ausbildung rückt.
Von Cyrill Engeli, Prorektor und Lehrer für Wirtschaft und Recht
«Thomas, der seit seiner Geburt bereits zum Kaufmann und künftigen Inhaber der Firma bestimmt war und die realwissenschaftliche Abteilung der alten Schule mit den gotischen Gewölben besuchte, war ein kluger, regsamer und verständiger Mensch, der sich übrigens aufs köstlichste amüsierte, wenn Christian, welcher Gymnasiast war und nicht weniger Begabung, aber weniger Ernsthaftigkeit zeigte, mit ungeheurem Geschick die Lehrer nachahmte […].» In Thomas Manns Buddenbrooks kommt das Wort «Kaufmann» nicht weniger als 43 Mal vor, und als das Buch 1901 erschien, war für den damaligen Leser klar, was diese Berufsbezeichnung bedeutete: Es war ein Händler, jemand, der Waren einkaufte und diese weiterverkaufte. Wer das im grösseren Rahmen tat, konnte es als Eigentümer eines Handelshauses zu grossem Reichtum bringen. Der Gymnasiast – als zukünftiger Student – beschäftigte sich hingegen mit Literatur, Mathematik, Sprachen und mit «Singen, Zeichnen und derartigen lustigen Fächern», wie es in Buddenbrooks heisst.
Zentral für die Ausübung dieses Berufs waren Kalkulation, Buchhaltung, Beziehungspflege zu Kunden und Lieferanten sowie gute Kenntnisse der Logistik. Der «ordentliche Kaufmann» wurde zum Inbegriff des seriösen, integren Geschäftsmannes. – Wenn man hingegen heute von Kaufleuten spricht, so meint man den Beruf Kaufmann/Kauffrau EFZ, also die Ausbildung mit dem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis als Abschluss. Längst geht es hier nicht mehr nur um das Kaufen und Verkaufen; je nach Branche üben Kaufleute eine Vielzahl von Tätigkeiten aus. Die Digitalisierung hat das Berufsbild in den letzten Jahren zusätzlich stark verändert. Kaufleute, die im Marketing arbeiten, produzieren Videos oder gestalten Online-Shops. Andere verwalten grosse Datenbanken oder programmieren Bar-Codes.
Wer ab August 2023 in die Wirtschaftsmittelschule eintritt oder eine kaufmännische Lehre beginnt, wird einen Lehrgang nach der neuen Bildungsverordnung absolvieren. Im Vordergrund soll das zielgerichtete, selbständige Anwenden von Wissen und Fertigkeiten stehen, um Aufgaben zu erfüllen und Probleme zu lösen. Das Zauberwort dazu heisst Handlungskompetenzen: War bisher beispielsweise von «regelkonformer Briefgestaltung» die Rede, so heisst es neu «Sie erstellen und präsentieren Inhalte (Texte, Bilder, Ton, Video) in einem gängigen Format.» Die neue Formulierung zeigt den Einfluss der Digitalisierung, gleichzeitig wird das Spielfeld für mögliche Lösungen erweitert, und das eigene Handeln steht im Zentrum. Zurzeit werden unsere schulischen EFZ-Lehrpläne entsprechend angepasst, und wir bereiten uns darauf vor, im EFZ-Unterricht neue Methoden einzusetzen.
Die Schülerinnen und Schüler an der Wirtschaftsmittelschule erlangen neben dem Fähigkeitszeugnis auch die Berufsmaturität. Der Unterricht in den Berufsmaturitätsfächern bereitet auf das Studium an einer Fachhochschule vor, und der eidgenössische Rahmenlehrplan für die Berufsmaturität bleibt unverändert bestehen. Die Absolventinnen und Absolventen der WMS sind auf dem Arbeitsmarkt heiss begehrt und an den Fachhochschulen als leistungsstarke Studentinnen und Studenten geschätzt. Zusammen mit unseren Partnern aus Wirtschaft, Branchen, Verwaltung und Bildung setzen wir uns dafür ein, dass dies so bleibt.
Für die nächste Revision des Berufsbildes Kaufmann/Kauffrau EFZ (und nichts ist in der Berufsbildung so sicher wie die nächste Reform) wünsche ich mir eines: eine neue Berufsbezeichnung. Kaufmann/Kauffrau wird den heutigen Tätigkeiten dieser Berufsleute nicht mehr gerecht. Ideas, anyone?