„Der weisse Kalong“ – zwölf Schauspieler, zwei Theaterleiter und ein ungelöstes Mysterium: Der Flughund aus dem fernen Borneo.
Samstag, 5. März 2016, 20 Uhr: Die Geschäfte entlang der Bahnhofsstrasse in Aarau sind geschlossen, im Naturama brennt jedoch noch Licht. Im Foyer des mehrstöckigen Gebäudes sitzen wir gemeinsam mit etwa dreissig anderen Zuschauern auf farbigen Klappstühlen und lauschen den Worten des „Museumsdirektors“.
Es ist weg!
Die aktuelle Hauptattraktion des Museums ist der „weisse Kalong“ – ein weisser Flughund mit riesigen Flügeln, der kürzlich von Professorin Eichenberg auf der Insel Borneo eingefangen wurde. Mit dem neu entdeckten Geschöpf will sie nicht nur die Wissenschaft vorantreiben, sondern auch so viele neugierige Blicke auf sich ziehen wie nur möglich. Ihr Traum, die neue Leiterin des Naturamas zu werden, ist für sie zum Greifen nahe. Leichter gesagt als getan, denn nicht alles läuft nach Plan, und als das fremde Wesen dann plötzlich verschwindet, ist das Chaos perfekt.
János Moser, der Autor des Stücks, besuchte einst selbst die Alte Kanti, war allerdings nie Mitglied der Theatergruppe. Nun studiert der 27-Jährige Germanistik im Hauptfach und Geschichte im Nebenfach und arbeitet nebenbei an seinen literarischen Werken. Sein erstes Buch, eine Sammlung von Kurzgeschichten, erschien 2012. „Der weisse Kalong“ bildet die Fortsetzung einer dieser Erzählungen. Mit seinem Werk kritisiert Moser die Zustände in den wissenschaftlichen Studiengängen, bei denen Assistenten heutzutage oftmals nur noch für den Kaffee zuständig sind.
Übung macht den Meister
Für die insgesamt neun Vorstellungen wurde viel Vorbereitungszeit aufgewendet. Bereits im letzten Herbst lernte die Theatergruppe das Stück und dessen Autor kennen. Auf die Rollenverteilung folgte dann die harte Arbeit: Wöchentliche Proben im Theaterraum, Texte pauken zu Hause und eine Intensivwoche im Februar, in der die Gruppe dem Stück den letzten Schliff verlieh. Marina Cavegn, die den weissen Kalong verkörperte, meint rückblickend: „Diese Woche hat uns alle zusammengeschweisst. Man hat sich neu kennengelernt und aus dem Stück ein gemeinsames Projekt gemacht.“
In schauspielerischer Hinsicht habe sie viel aus dieser Zeit mitnehmen können. Es sei nicht nur Text gewesen, den sie alle lernen mussten, sondern auch komplexe Abläufe, Verbindungen zwischen den Figuren und letztendlich auch die Beziehung zur eigenen. Marina hat noch eine weitere grosse Herausforderung auf sich genommen: Der weisse Kalong sagte während dem gesamten Stück kein einziges Wort. Was in ihrer Rolle an Text fehlte, musste sie daher mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik kompensieren. „Noch faszinierender finde ich die Vorstellung, nicht genau zu wissen, was man überhaupt verkörpert. Mensch oder Tier, oder beides? Und dann kommt in mir auch die Frage auf: Worin unterscheidet sich der Mensch eigentlich vom Tier? Was macht denn einen Menschen zum Menschen?“
Die Wissenschaft braucht Phantasie
Von Vampiren über Menschenrechte bis zu Museumsinspektionen – das Kanti-Theater „Der weisse Kalong“ bot ein abwechslungsreiches Schauspiel. János Moser beabsichtigte die Gegenüberstellung vom Fantastischen und der Wissenschaft; von Gedankengängen und faktisch belegbaren Gegebenheiten. Moser ist der Ansicht, dass die beiden doch sehr gegensätzlichen Prinzipien miteinander in Verbindung gebracht werden können: „Wenn man eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, ist schon auch Fantasie gefragt.“
Im Verlaufe unseres Treffens mit Moser kamen auch noch andere interessante Informationen ans Licht, zum Beispiel, dass er gerade Romane für die Zukunft am Planen sei, oder dass er zu einer weiteren Zusammenarbeit mit der Kanti nicht Nein sagen würde. Fragen nach moralischen Hintergründen der Figuren wurden mit einem Kopfschütteln schüchtern abgetan, und wir beschlossen, seiner Beziehung mit dem Buch und dessen Geschichte auf den Zahn zu fühlen. Mit wem er sich am ehesten identifizieren könne, hakten wir nach. „Mit Frau Eichenberg, die im Buch eigentlich ein Mann ist.“ Die Idee mit einer weiblichen Schauspielerin hatte ihm aber gefallen, und Moser ergänzte, eine Hauptperson gäbe es in diesem Sinne im Theater ja nicht.
Neben Geschlechteränderungen gibt es auch weitere Abweichungen zum Buch, unter anderem, dass sich die geschriebene Geschichte auf der Insel abspielt, die gespielte aber das Danach präsentiert. Die Frage, ob er jemals selbst auf Borneo gewesen sei, verneinte er, er habe die Insel nur wegen den dort lebenden Flughunden als Schauplatz ausgewählt. Als wir dann neugierig weiterfragten, ob er sich einen Besuch auf dem Malaiischen Archipel vorstellen könnte, antwortete er nach kurzem Zögern: „Nein, eigentlich nicht.“
Lia Kammermann, Valerija Krbanjevic, Janina Pasinelli und Nadja Herren, G2A