2019, Das (Un-)Ding, dies&das, Kolumne, Sage&Schreibe Nr. 29

Die fahrende Sardinenbüchse

«Weg von der Tür!», ruft der Busfahrer missmutig durch die Sprechanlage. «Ich kann nicht losfahren, solange ihr da nicht weggeht!» Unter den Fahrgästen macht sich genervtes Murmeln breit, während drei Schüler verzweifelt versuchen, einen grösseren Abstand zwischen sich und die Tür zu bringen. Nach einigen Sekunden, in denen gedrückt, geschoben und gezwängt wird, ertönt endlich der Motor. Alle Passagiere atmen erleichtert auf. Doch dann senkt sich der Bus auf der Einstiegsseite erneut ab. Ein keuchender Schüler, der offensichtlich direkt vom Sportunterricht kommt, drückt hektisch auf den Knopf, in der Hoffnung, dass sich die Tür erneut öffnet. Und siehe da, der Busfahrer ist gnädig und erweitert die Schar der leidenden Fahrgäste um eine Person.
Endlich setzt sich der Bus in Bewegung in Richtung Bahnhof. Der Ruck beim Anfahren ist heftig, doch Umfallen ist gar nicht möglich. Menschen stehen dicht gedrängt nebeneinander wie Sardinen in der Büchse. Nur einige Wenige haben sich einen Sitzplatz ergattert, doch auch sitzend ist es nicht viel angenehmer. Nach einer kurzen Fahrt kommt dann aber auch schon die nächste Haltestelle, an welcher der Bus wieder abbremsen muss. Die ganze Menschenmenge wird nach vorne geworfen wie eine vielgliedrige Marionette, deren Fäden man loslässt. Der Bus senkt sich ab, die Türen öffnen sich. Draussen verschwindet jede Begeisterung aus den Gesichtern der wartenden Menschen. Man sieht ihnen förmlich an, dass sie sich überlegen, ob sie nicht doch lieber den nächsten Bus nehmen wollen. Manchmal wird ihnen die Last dieser Entscheidung jedoch abgenommen, weil es im Bus schlicht und einfach keinen Platz mehr hat.
Auch die Luft im Bus bereitet den Fährgästen wenig Freude. Sie ist stickig, warm und feucht und kombiniert mit dem leicht beissenden Schweissgeruch der Schüler nach dem Sport beinahe unerträglich. So wächst die Sehnsucht nach dem Aussteigen, nach frischer, kühler Luft mit jedem gefahrenen Meter.
Wer all das mit Fassung trägt, amüsiert sich vielleicht über die anderen Fahrgäste. Die meisten sind nicht gerade begeistert davon, den Bus zwischen Bahnhof und Telli mit den vielen Schülerinnen und Schülern teilen zu müssen. Da fällt auch oft die eine oder andere abfällige oder genervte Bemerkung, die sich die Schüler anhören müssen. Manchmal wird eine Schülerin aber auch einfach mit einem vernichtenden Blick gestraft.
Trotz all dieser Strapazen – und zum Leidwesen der «normalen» Fahrgäste – entschliessen sich viele Schüler jede Woche aufs Neue, diese Tortur auf sich zu nehmen – nur, um sich nicht zu Fuss auf den Weg machen zu müssen.

Von Skyla Rossi, G1L