2024, Aktuelles, Alte Kanti, Menschen, Porträt, Sage & Schreibe Nr. 38

Ein Elchgeweih zieht weiter

Erich Obrist war nach Stationen an der Bezirksschule Baden und der Kanti Olten bis 2024 an der Alten Kanti als Lehrer für bildnerisches Gestalten tätig. Während 20 Jahren an unserer Schule hat er hunderte von Schülerinnen und Schülern begleitet, für Gestaltung motiviert und für Kunst begeistert. Eine Würdigung.

Von Michael Bouvard, Lehrer für Bildnerisches Gestalten

Lieber Erich, der obige Titel ist eigentlich unpassend: Elche sind tagaktive Einzelgänger, du bist es nicht. Du bist ein Teamplayer, ein Partner, ein Mitgestalter und Organisator. Als Fachvorstand hast du dich für eine zeitgemässe Infrastruktur eingesetzt, du hast die Digitalisierung im Gestaltungsunterricht vorangetrieben – zu einer Zeit, als dieser Begriff noch gar nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch gehörte. Du hast Techniken wie Siebdruck an der Alten Kanti etabliert und dich im Rahmen des Umbaus des Wedekind-Hauses mehr um unser fachschaftliches Ökosystem gekümmert, als dies ein Durchschnitts-Elch je hätte tun können. Merci beaucoup!
Wie du weisst, sind die Aktivitäten von Elchen relativ monoton und wenig originell. Du dagegen hast an der Alten Kanti unterschiedlichste Rollen eingenommen und mehrere Fächer unterrichtet. In der Kommission Spezieller Unterricht hast Du dich für eine offene Schulkultur eingesetzt und mit der Quartalsarbeit im dritten Jahr ein EBL-fähiges Format etabliert, als es im Kanton noch genügend Schulraum gab. Ausserschulisches Lernen und die Arbeit vor dem Original waren zentrale Aspekte deines pädagogischen Selbstverständisses. Und deine Basel-Exkursionen bleiben legendär.

Allenfalls könnte man von der Verbreitung des Elchs einen etwas forcierten Vergleich mit deinem pädagogischen Wirken herstellen: Elche sind Bewohner des nördlichen borealen Waldes in Europa, Asien und Nordamerika. Mit einer deiner Kursgruppen warst du in Istanbul, du hast Schülerinnen und Schülern Lissabon, Barcelona, Bilbao, Madrid, Rom, Paris und München nähergebracht. In deinem Unterricht hast du Werke aus Afrika oder Südamerika thematisiert und dein kunsthistorisches Wissen über all die Jahre kontinuierlich erweitert, gepflegt und diversifiziert. Wahrlich, da sieht jeder Elch alt aus. Denn dein kulturelles Weidegebiet war und ist jedenfalls wesentlich grösser und internationaler als das der Elche. Deine Studierenden haben nachhaltig davon profitiert.

Elche sind Selektierer und fressen überwiegend sehr energiereiche Nahrung. Du auch. Aber nicht nur. Auf gemeinsamen Exkursionen und Kunstreisen hattest du immer auch erlesene Köstlichkeiten im Blick – und nicht selten auf dem Teller. Du wusstet, wo die schmackhaftesten Kräuter wuchsen – um im Elch-Bild zu bleiben.
Dein Engagement beschränkte sich aber nicht auf das Schulzimmer. Auch für die kantonale Fachschaft hast du dich eingesetzt, bildungspolitische Vorstösse lanciert und Fortbildungen organisiert. Für einen gewöhnlichen Elch undenkbar. Du hast die Stiftung Pro Argovia präsidiert und zwischenzeitlich sogar das schulische Ökosystem verlassen und bist in die Politik eingestiegen. Obwohl ich dich damals natürlich wählte und unterstützte, war ich nicht nur traurig, als es äusserst knapp nicht zum Stadtamman von Baden reichte.

Elche sind, wie wir alle wissen, gegen Ende ihrer Karriere nicht mehr ganz so agil wie die halbstarken Jungtiere. Du dagegen hast noch in deinem letzten Jahr an der Schule einen neuen Anlass erfunden und auf die Beine gestellt: ArteMusica, ein abteilungsübergreifendes und interdisziplinäres Angebot für alle ersten Klassen.
Wie das alles möglich war? Du warst und bist strukturiert, klar, sachzentriert, pragmatisch, konsequent, sorgfältig und verlässlich. Du bist ein wertschätzender Pädagoge mit einem ganzheitlichen Menschenbild und einem feinen didaktischen Gespür. Deine Begeisterung ist ansteckend und dein Humor wirkt als Katalysator. Spätestens hier führen alle Vergleiche mit dem Elch ins Leere, das Bild hat ausgedient. Es bleibt, ganz real, das Geweih.
Denn nun nimmst du es vom Haken, das Elchgeweih, das du vor Jahren aus unerfindlichen Gründen im Vorbereitungszimmer aufgehängt hast, und ziehst mit ihm weiter. Ich wünsche Dir dabei alles Gute, inspirierende Begegnungen mit Kunst und Architektur – und mit Menschen, die ebenso feinsinnig und neugierig sind wie du.
Hebs und machs guet, liebe Erich!


Bild: Michael Bouvard