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Crazy for Gelato 

An einem regnerischen Morgen ist man vermutlich kaum in der Stimmung, Glace zu essen. Es sei denn, man trifft sich mit Roger Holzer in seiner ehemaligen Garage. Dort befindet sich nämlich die Werkstatt der Glace-Manufaktur «Crazy for Gelato», welche er 2022 gemeinsam mit seiner Frau gegründet hat. Wenn man sich durch das eiskalte Sortiment probiert, schmilzt, egal bei welchem Wetter, nicht nur die Glace.

Von Luisa Dambach und Susanna Burkhard, G21K

«Ich esse gern, ich trinke gern, ich bin ein Genussmensch, und wenn ich mit einem Essen nicht zufrieden bin, dann lässt mir das keine Ruhe», sagt Roger Holzer, während er die Glace-Maschine reinigt. Er gibt ein spezielles Desinfektionsmittel in die Maschine, welches alle Flächen reinigt, die später auch mit der Glace in Kontakt kommen. Danach wird mit Wasser nachgespült, um zu verhindern, dass die Glace den Geschmack des Desinfektionsmittels annimmt. Roger Holzer betont, dass die Dichtungen ein essenzieller Teil der Maschine seien, denn sie verhinderten das Austreten von Flüssigkeiten aus der Maschine. Wenn sie versagten – und das sei schon einmal vorgekommen –, müsse die ganze Garage ausgeräumt und geputzt werden. Diese Dichtungen werden mit lebensmittelechtem Fett eingerieben, damit sie trotz der extremen Temperaturschwankungen nicht spröde werden. Während er die Dichtungen in der Maschine befestigt, erzählt uns Roger Holzer von seinem Werdegang. Er kommt ursprünglich aus Bern, wohnt mit seiner Frau Natalia und den drei gemeinsamen Kindern in Gränichen und ist seit dem Abschluss seines Studiums hauptberuflich im Wirtschafts- und Finanzsektor tätig. Dann fordert das Rührgerät der Glace-Maschine seine Aufmerksamkeit. An der Aussenseite sind auf unterschiedlichen Höhen verschiedene «Messer» befestigt, die dafür sorgen, dass die Glace-Masse gleichmässig umgerührt und homogen wird. Holzer befestigt das Rührwerk in der Mitte der Maschine. Jetzt ist die Apparatur startklar und die Produktion kann beginnen.

Holzer wirft uns einen auffordernden Blick zu. Das bedeutet, dass wird selbst mit anpacken sollen. Früchtesorbet. Zuerst gilt es, die verschiedenen Zuckerarten zu vermischen. Verschiedene Zuckerarten? «Jede der verwendeten Zuckerarten», sagt Holzer, «hat besondere Eigenschaften und Funktionen. Saccharose beispielsweise senkt den Gefrierpunkt, Glucose macht die Masse cremiger und Dextrose ist viel weniger süss als anderer Zucker.» Als Nächstes werden die Früchte hinzugefügt. Im Winter verwendet Roger Holzer Fruchtpüree und im Sommer saisonale und regionale Früchte. Zur Fruchtmasse kommen nun die verschiedenen Zuckerarten, etwas Zitronensaft und Wasser hinzu. Schliesslich wird die ganze Masse mit dem Mixer vermengt. Jetzt erst kommt die Sorbet-Masse für sieben bis acht Minuten in die Glace-Maschine. Es brummt laut, und Roger Holzer nutzt die Zeit, um uns etwas über die Gründung von «Crazy for Gelato» zu erzählen. «Selbst etwas machen war schon immer mein Ding», sagt er. Es war während der Coronazeit, als seine Frau eine kleine Glacemaschine kaufte. Doch trotz vieler Versuche kam ihre Glace nicht an den Qualitätsstandard des traditionellen italienischen Gelatos heran, das er schon seit seiner Kindheit kannte. Und dann überrascht uns Roger Holzer gleich doppelt: Es gibt tatsächlich eine Gelato University in Bologna. Und Roger Holzer liess sich da zusammen mit seiner Frau in die Geheimnisse der italienischen Gelatoproduktion einführen. «Manchmal habe ich zu viele Ideen und dann bremst sie mich ein bisschen», erzählt er. «Für das Projekt Glace-Manufaktur jedoch konnte ich sie begeistern, obwohl meine Vision vom eigenen Geschäft damals noch sehr vage war.» So fuhren die beiden also mehrmals nach Bologna, um dort die Kurse der Gelato University zu besuchen. Danach waren sich die beiden einig; sie wollten das Gelernte in der Praxis anwenden und aus der heissen Idee einen coolen Betrieb machen. Zu diesem Zweck wurde die eigene Garage umgebaut. Es stellte sich nämlich heraus, dass sich diese am besten als Arbeitsraum eignete. Die Maschine gibt einen Pieps-Ton von sich, und wir können das Sorbet in die zuvor schockgefrorenen Glace-Form abfüllen. Danach wird das Ganze nochmals schockgefroren. Und dann klopft es an der Tür: Eine Dame will das bestellte Sorbet abholen. Offensichtlich für ein Café in der Umgebung. Das Geschäft von Roger Holzer produziert nämlich für diverse Restaurants, Cafés, Dorfläden und Einzelpersonen, welche crazy for Gelato sind. In der Sommersaison werden Glaces zusätzlich mithilfe des Glace-Velos und des Glace-Trucks verkauft, im Winter ist es saisonbedingt deutlich ruhiger im Betrieb.

«Seit der Eröffnung des Geschäfts hat sich einiges verändert», sagt der Chef. «Da die Nachfrage gestiegen ist, sind effizientere Abläufe gefragt, es muss detaillierter geplant werden und der Lagerplatz kann manchmal knapp werden.»

Das überschüssige Himbeersorbet dürfen wir vernaschen. Und wir sind überrascht und beeindruckt von der Fruchtigkeit des Sorbets. Roger Holzer erklärt, dass die Glace bis zu 40% Fruchtanteil enthalten soll. Das macht den Unterschied, denn eine herkömmliche Glace hat einen Fruchtanteil von lediglich 15%. Die Frucht ist also das wichtigste Qualitätsmerkmal von Holzers «Crazy for Gelato»-Glace-Sorten. Wir testen das ausgiebig und probieren uns durch etliche Glace-Sorten durch. «Aperol Spritz», und «Rosmarin-Zitrone» überzeugen am meisten. Abenteuerliche, aber eigenständige und vor allem harmonische Kreationen – das Resultat von unermüdlichem Experimentieren mit Frucht und Geschmack. Die bisher exotischsten Kombinationen, die bei solchen Experimenten herausgekommen sind: «Speck-Birne» und «Bier-Apfel.» Darauf muss man erst kommen.

Zum Schluss geht es mit Holzer auf den Bauernhof Liebegg, wo er frische Milch für seine Rahmglace holt. Dann sind wir wieder am Anfang. Denn jetzt wird Schokoladenglace herstellt, und wir folgen ähnlichen Abläufen wie beim Sorbet. Beim Degustieren schmunzelt Roger Holzer. Wie sagte er noch? «Ich bin ein Genussmensch.» Mindestens für diesen einen Tag sind wir es auch.


Gelato

Bild: Hannah Siegel