2023, Aktuelles, Alte Kanti, Essay, Menschen, Sage & Schreibe Nr. 36

Viel zu kurz

Im April 2022 starb völlig überraschend nach kurzer Krankheit der Publizist, Schriftsteller und Germanist Lukas Tonetto im Alter von nur 49 Jahren. Lukas Tonetto unterrichtete von 2019 bis 2022 Deutsch an der Alten Kanti.
Der nachfolgende Text des Musiklehrers Michael Schraner ist eine persönliche Annäherung an einen vielschichtigen, schillernden Menschen und Kollegen, der im Kollegium der Alten Kanti schmerzlich vermisst wird.

«He, Lukas, du läufst mir ins Bild.» Eben hatte ich versucht, den Flügel in der Aula als Sujet für einen Flyer in Szene zu setzen, als Lukas sich mit einer Schachtel Schiller unter dem Arm heranschleppte. Er wollte seiner Abteilung Maria Stuart unbedingt noch vor den Frühlingsferien austeilen. Lukas war ausser Atem, sah sehr erschöpft aus. Auf meine Nachfrage sagte er, dass es ihm sehr schlecht gehe. Dass es mit ihm zu Ende gehe. Da war nichts mehr übrig vom gewohnten ironisch–sarkastischen Tonetto-Sprachkarussell. Drei Tage später war Lukas Tonetto tot.

Lukas war schnell, energetisch, pointiert, intelligent, interessiert, begeisterungsfähig, witzig, liebenswert, unabhängig, streitlustig, pedantisch und auch ein bisschen geheimnisvoll, eine spitzbübische Wundertüte. Wir zelebrierten früh den verbalen Schlagabtausch, pflegten unsere Rituale in den kurzen Pausen zwischen den Lektionen als Zimmernachbarn sowohl im 2. Stock als auch im Keller des Einstein-Hauses. Wie gern hätte ich auch seine ruhige, entspannte Seite besser kennengelernt.

Rebellion war sein Thema. Lukas war völlig begeistert, als unser kleines Projektgrüppchen, mit dem wir doch noch nach München hätten reisen sollen, innert weniger Stunden einen intensiven Antikriegs-Song schrieb.

Lukas wirkte irgendwie aus der Zeit gefallen, manchmal Gelehrter und Philosoph, Poet und Mundwerker, irgendwie Dandy, irgendwie Mr. Tambourine Man und irgendwie so, wie ich mir Johannes Kreisler vorstelle, dem ich zwar nicht bei E.T.A. Hoffmann, dafür umso intensiver in Schumanns Klavierstücken begegnet bin.
An die Schule kam Lukas als Quereinsteiger. Unvermittelt tauchte er auf, zunächst als Stellvertreter. Und nach wenigen Jahren war er unvermittelt nicht mehr da.

Lukas Tonetto hätte diesen Text hier wohl mit einem der launig-klugen Bonmots abgeschlossen, die ihm so elegant über die Lippen kamen. Er hätte vielleicht seinen eigenen Nachruf mit einem listigen Augenzwinkern abgerundet, veredelt und auf den Punkt gebracht.
Aber eben.