2019, Essay, Glück, Im Fokus, Sage&Schreibe Nr. 29, Wortwechsel

Apéro mit Glück

In einem ebenso tief- wie hintersinnigen Gespräch loten der Flötist Walter Feldmann und die Historikerin Martina Frei den Wortraum von «Glück» aus. In einer Nebenrolle: Oliven.

*Pling!* [Gläser klingen, Sonnenschein, leichter, angenehmer Wind.]

W: Also, das erste Glück für mich ist, dass du zugesagt hast, dieses Gespräch zu führen.
M: Und für mich ist natürlich dieser Apéro hier ein sehr unerwartetes Glück!
W: …
M: Glück… Rein sprachlich kann man ja unterscheiden zwischen Glück im Sinne von Schwein haben und von glücklich sein. Das Englische ist hier präziser mit lucky und happy.
W: Das französische bonheur klingt wie gute Stunde, kommt aber leider von bonum augurium, meint also im Grunde ein gutes Vorzeichen…
M: Gute Stunde! Das passt eigentlich besser.
W: Vielleicht werden wir gerade jetzt eine gute Stunde erleben?
M: So ein Aha-Moment, wie dieser zum Beispiel, ist für mich auch immer Glück. Und gerade das finde ich besonders schön: Wenn es in meinem Unterricht bei den Schülerinnen und Schülern Aha-Momente gibt.
W: Es ist sowieso interessant mit den Wörtern; ich bin ja durchaus ein Wortmensch. Bei mir fängt das Glück mit Wörtern immer dort an, wo ich mithilfe der Etymologie verschiedene Sinnschichten freilegen, das Wort also auch in seinem Ursinn verstehen kann. Das muss nicht bei allen Wörtern sein; die Etymologie des Wortes Olive, zum Beispiel, untersuche ich nicht unbedingt…

[Aber die Oliven schmecken W gut: Er isst sie alle allein, denn Oliven sind nicht Ms Glück.]

M: Kannst Du ein anderes Beispiel für solch einen Wortsinn nennen?
W: Ja! Ich habe diese Woche allen Schülerinnen und Schülern die Frage gestellt, was denn ein Amateur sei. In der Regel antworten sie, das sei einer, der es nicht kann. Dabei ist ein Amateur nichts anderes als einer, der liebt. Es besteht doch ein Riesenunterschied zwischen Lieben und Nichtkönnen! Es ist frappant, dass die Schülerinnen und Schüler mit dem Nichtkönnen immer sich selbst meinen (das kommt doch auch bei Profis vor, zum Beispiel bei Lehrpersonen…). Sobald sie das vergessen und sich wirklich auf die Musik einlassen, beginnt bei mir – und besonders bei ihnen! – das Glück. Es geht nicht um Können, sondern um Lieben! Das erleben wir jedes Jahr ganz unmittelbar in der Orchesterwoche.
M: Hier habe ich grosse Mühe mit der Schule und der Gesellschaft im Allgemeinen, nämlich dass Leistung, Können einen so grossen Stellenwert haben. Das ist ja eigentlich genau das Gegenteil von Lieben, es wird impliziert, dass man etwas nur gerne haben kann, wenn man auch gut darin ist. Als Lehrperson macht es mich doch viel glücklicher, wenn ich Schülerinnen und Schüler im Unterricht habe, die sich gerne mit meinem Fach beschäftigen, als wenn sie sich nur auf das Erzielen guter Noten konzentrieren.
W: Und wenn sie merken, dass sie vor einer schöneren und interessanteren Herausforderung stehen, wenn sie vertieft arbeiten und sich mit der Materie beschäftigen.

*Krack!* [Tschips-Geknusper]

M: Was macht dich denn sonst noch glücklich?
W: Der Umgang vor allem mit jungen, noch aufnahmefähigen Menschen. Mit jemandem frei und offen im Gespräch sein zu dürfen. Am freiesten und offensten bin ich vielleicht hier an der Schule, wo ich intensiv mit diesen wunderbaren Menschen, den Schülerinnen und Schülern, arbeiten darf.
M: Wenn wir überlegen, wie viel Zeit wir in unserem Leben mit Arbeiten verbringen, dann ist dies natürlich ein riesiges Glück. Das ist bei mir ähnlich. Ich geniesse meine freie Zeit und das Wochenende sehr. Aber auch die Zeit unter der Woche ist voll von Glücksmomenten, zum Beispiel wenn eine Lektion schnell verfliegt, weil das Zusammenspiel mit den Schülerinnen und Schülern gut klappt. Ich weiss nicht, ob ich es Glück nennen würde, vielleicht ist es eher ein Privileg, dass ich etwas machen darf, auch fachlich gesehen, das mich so sehr interessiert. Wie würdest du denn Privileg etymologisch herleiten?
W: Lateinisch privilegium, Vorrecht. Ich meine, ein Privileg ist doch einfach, wenn man glücklich sein darf!
M: Ich finde das eigentlich eine schöne Definition: Man darf dieses Glück haben.
W: Aber dann ist dein Unterricht auch ein…
M: [lacht] …Privileg für meine Schülerinnen und Schüler? Das kann ich nicht beurteilen, ich hoffe aber sehr, dass sie ab und zu einen Glücksmoment erleben in meinem Unterricht oder dass sie zumindest nicht völlig unglücklich sind. Ich kann nur sagen, dass ich das, was ich mache, enorm gerne mache und dass meine Schülerinnen und Schüler das hoffentlich auch spüren.

[Die Diskussion driftet ab, man redet über das Gegenteil von Glück. Interpunktiert wird das Ganze durch Militärmusik, welche vom Wind von der Kaserne auf das Dach des Paul-Karrer-Hauses getragen wird.]

W: Ausgerechnet ein Marsch! Das ist nicht mein Glück!
M: Die Armen!

Von Martina Frei und Walter Feldmann