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Beten und arbeiten in Einsiedeln

Schon seit fast elf Jahrhunderten lebt im Kloster Einsiedeln eine Gemeinschaft der Benediktiner. Sie lebt nach der Regula Benedicti, dem Kodex des heiligen Benedikt. Ein Tag im Kloster ermöglichte uns einen Einblick in die Lebensart und die Gedankenwelt der Einsiedler Mönche.

Von Olivier Schade und Johannes Voss, G19A


[Bild: zVg]

Hoch ragen die beiden Glockentürme über den Hausdächern von Einsiedeln auf, als wir Richtung Kloster gehen. Jedoch wird uns die wahre Grösse des Klosters erst bewusst, als wir auf dem neuen Vorplatz stehen.
Wir sind verabredet mit Frater Clemens an der Klosterpforte. Frater Clemens ist ein Bruder, der die Priesterweihe noch nicht empfangen und somit den Titel des Paters noch nicht bekommen hat. Er begleitet uns durch die weiten Gänge des Klosters, über einen Hintereingang in den unteren Chor der Kirche. Dort stehen bereits einige Patres im Messegewand, um an der täglichen Messe, dem Konventamt, teilzunehmen. Die Wände und Säulen und auch die Decke sind reich geschmückt mit vergoldeten Verzierungen und farbigen Gemälden. Ein bleibender Eindruck. Viel Zeit zum Staunen bleibt uns aber nicht, da die letzten Glockenschläge verstummen und die Messe beginnt.

Festlicher Empfang
Aus der Stille heraus öffnet sich unversehens eine Seitentür: Zwei Novizen und – wie wir später erfahren – zwei Schüler der Stiftsschule kommen in weisse Gewänder gekleidet herein. Der Vorderste schwenkt ein Weihrauchfass, die ihm nachfolgen, tragen eine Kerze in der Hand. Abwechselnd wird nun gebetet und gesungen, zwischendurch werden Bibeltexte rezitiert. Ein Zwischenspiel der Orgel leitet das diesjährige Fest der Kreuzerhöhung ein. Gegen das Ende der Messe gibt uns Frater Clemens ein Zeichen, dass auch wir uns in den Kreis der Mönche um den Altar begeben sollen, um an der heiligen Kommunion teilzunehmen – was wir dann auch tun. Nach dem Vaterunser knien wir uns vor dem Altar nieder und nehmen die Hostie ein.
Während die Messebesucher/-innen die Klosterkirche nach der Kommunion verlassen, dürfen wir von der Empore aus noch die Mittagsmeditation mitverfolgen. Nach fünfzehn Minuten meditativer Ruhe schreiten wir mit den Mönchen in den grossen Saal zum Mittagessen. Ausnahmsweise darf heute während des Essens gesprochen werden, denn der Tag der Kreuzerhöhung ist ein Feiertag.
Im Speisesaal treffen wir Pater Lorenz, den Informationsbeauftragten des Klosters, mit dem wir uns verabredet haben. Er erklärt uns die Regeln beim Essen: Zum Beispiel schöpft sich jeder selbst seine Mahlzeit in den Teller und reicht dann den Topf weiter. «Die Sitzordnung folgt dem Eintrittsalter, nach oben ansteigend», erklärt Pater Lorenz, «dadurch sitzt jeder Bruder immer neben dem gleichen Nachbarn.» Er erzählt uns von der langen Zeit, die er bereits im Kloster verbracht hat. Seit nicht weniger als 60 Jahren nämlich lebt er schon innerhalb der Einsiedler Klostermauern. Und was hat ihn am meisten geprägt? Er überlegt nicht lange: «Das Gebet, das Zusammenleben in der Gemeinschaft. Das hat mich so lange hier gehalten.»

Brüderlicher Alltag
Das Festmahl wird per Tischglocke beendet, und dann gibt es den Mittagskaffee. Der Kaffee wird immer im Stehen eingenommen und dient als Möglichkeit für entspannte Gespräche unter den Brüdern und Gästen. Daraufhin ziehen wir uns mit Pater Lorenz in ein Zimmer für die Fortsetzung unseres Gesprächs zurück. Er schildert uns den Tagesablauf für die Mönche im Kloster: Der Tag beginnt schon früh. Um halb sechs geht es bereits los mit der Mette. «Es ist eine Tradition der Benediktiner, am Morgen bei Dunkelheit das erste Gebet abzuhalten. Überhaupt steht das Gebet im Zentrum unseres Alltags», führt er aus. So folgt dann die erste von sechs über den ganzen Tag verteilten Gebetszeiten. Die wichtigsten Anlässe sind allerdings das Konventamt am Vormittag und die Vesper vor dem Abendbrot. Zwischen den festen Zeiten geht jeder seinen Aufgaben nach – denn neben dem Gebet soll auch gearbeitet werden. Das Leben im Kloster dreht sich um die Gemeinschaft zwischen den Brüdern, das Gott gewidmete Leben und die damit verbundene Leidenschaft für den Glauben. Die Brüder verbringen also die meiste Zeit im Kloster. So ist es auch verständlich, dass sie keinen Broterwerb haben. Ihr Lebensunterhalt wird aus der Klosterkasse finanziert, welche durch Einkünfte aus den Ländereien und aus diversen klostereigenen Handwerksbetrieben stetig wieder aufgefüllt wird. Jeder Mönch lebt höchst bescheiden in einem kleinen, einfach eingerichteten Zimmer auf etwa zwanzig Quadratmetern; private Besitztümer haben die Mönche praktisch keine.

Schätze aus Jahrhunderten
Auf dem Klosterrundgang führt uns Pater Lorenz in die alte Klosterbibliothek. Bücherregale erstrecken sich vom Boden bis an die gewölbte Decke, sie sind gefüllt mit Büchern vom 16. bis 19. Jahrhundert. Dieser prächtige Grosse Barocksaal voller theologischer Schriften versetzt uns in Staunen. Allerdings wird der Bücherschatz im Alltag kaum noch gebraucht, denn auch das Kloster Einsiedeln hat sich dem Zeitgeist angepasst. An Informationen können die Brüder viel leichter über Google auf ihren Smartphones oder persönlichen Computern gelangen.
Weiter geht’s in Richtung der Stiftsschule, in der Schülerinnen und Schüler im Anschluss an die Primarschule bis zur Matura ausgebildet werden. Obwohl die Schule offiziell vom Kloster geführt wird, funktioniert der Lehrbetrieb unabhängig von der Klosterleitung. Es gibt jedoch einzelne Brüder, die dort unterrichten, und verschiedene Formen der Zusammenarbeit, wie zum Beispiel beim Konventamt.

Das Kloster der Zukunft
Das Internet und die Stiftsschule sind zwei wichtige Fenster in die Welt hinaus, und sie verändern in gewisser Hinsicht auch das Denken der Brüder. Die grösste Herausforderung für das Kloster der Zukunft sieht Pater Lorenz denn auch darin, mit der Digitalisierung klug umzugehen und der modernen Denkweise von Novizen Rechnung zu tragen. Auch für die junge Generation soll das Klosterleben in Einsiedeln attraktiv gestaltet werden – ohne in Bezug auf die Regula Benedicti Abstriche zu machen. «Interessanterweise aber», merkt Pater Lorenz an, «wollen junge Brüder den Alltag im Kloster tendenziell wieder konservativer gestalten». Einige von ihnen wünschen sich gewisse alte Regeln zurück. «Da gilt es Kompromisse zu finden», meint Pater Lorenz. Er lehnt sich zurück, faltet die Hände über der Brust. Seine Aussage scheint ihn nachdenklich zu stimmen. Denn natürlich ist der Nachwuchs zentral für die Zukunft des Klosters. Dann schaut er uns an und sagt lauter als vorher: «Aber Sorgen mache ich mir keine. Die Gemeinschaft hat sich über so viele Jahrhunderte bewährt; wir werden gute Lösungen finden.»


[Bild: https://www.freunde-kloster-einsiedeln.ch]