2023, Aktuelles, Reportage, Sage & Schreibe Nr. 37, Zu Hause

Ein neues Zuhause im Pflegezentrum

Für viele Menschen ist der letzte Umzug ein besonders schwieriger, denn er bedeutet, vom alten Zuhause Abschied zu nehmen und sich in einem Alters- oder Pflegezentrum neu einzuleben. Was bedeutet dieser Schritt für die Betroffenen? Wie wichtig ist es gerade für ältere Menschen, sich zuhause und geborgen zu fühlen? sage&schreibe hat das Pflegezentrum Sanavita AG in Windisch besucht – und nachgefragt beim Geschäftsleiter und drei lebensfrohen Bewohnerinnen.

Von Leonie Kihm und Nathalie Tanner, G21K

Für praktisch alle Bewohner und Bewohnerinnen beginnt mit dem Eintritt in ein Alters- oder Pflegezentrum der letzte grosse Abschnitt ihres Lebens. «Für viele ältere Personen ist das ein trauriger und bewegender Moment», sagt Sanavita-Geschäftsführer Walter Weber, den wir zu einem Vorgespräch treffen. «Im Prozess des Einlebens am neuen Lebensort spielt deshalb der persönliche Kontakt zwischen dem Personal und den Bewohnerinnen und Bewohnern eine wichtige Rolle.» Walter Weber ist seit sieben Jahren Geschäftsführer des Pflegezentrums Sanavita AG. Er ist dafür verantwortlich, dass es den Bewohnerinnen und Bewohnern in dieser letzten Lebensphase gut geht, dass sie rund um die Uhr versorgt und betreut sind. Sein Beruf gefällt ihm deswegen so gut, weil er jeden Tag mit Menschen in Kontakt stehen und anderen, vor allem Hilfsbedürftigen, etwas zurückgeben kann.

«Der zwischenmenschliche Austausch ist etwas vom Wichtigsten»
Für Walter Weber ist klar: «Der zwischenmenschliche Kontakt ist etwas vom Wichtigsten für die Bewohnerinnen und Bewohner. Denn nur so können alte Geschichten ausgetauscht, Gespräche geführt und Gefühle übermittelt werden.» Motiviertes Personal, das gerne und professionell mit älteren Menschen arbeite, sei deswegen umso wichtiger. Darüber hinaus offeriert das Pflegezentrum viele attraktive Aktivitäten, um den Bewohnerinnen und Bewohnern einen möglichst abwechslungsreichen Alltag zu ermöglichen. Dazu gehören etwa gemeinsames Singen, Backen, frisch gewaschene Wäsche falten oder Kochen. Lachend und stolz sagt Weber: «Wenn hier gekocht wird, dann richtig knackig – nicht irgendwie fad, verkocht oder weich.» Auch wenn die Ernährung im Pflegezentrum natürlich auf das fortgeschrittene Alter der Bewohnerinnen und deren Gesundheit abgestimmt werden muss, legt Weber grossen Wert auf die Qualität des Essens. Zentral sei im Übrigen auch die Sicherheit der Bewohner; sie müsse jederzeit gewährleistet sein, weshalb alle eine Armbanduhr mit einem Ruf- und Ortungssystem tragen.
Die meisten betagten Menschen kommen alleine ins Pflegezentrum, erklärt Walter Weber weiter. Oft nach dem Tod der Partnerin oder des Partners oder weil sie ihren Alltag nicht mehr ohne Betreuung bewältigen können. «Für den Fall, dass doch einmal ein Ehepaar zur gleichen Zeit zu uns zieht, bieten wir auch Alterswohnungen an. So ist selbstständiges Wohnen und Leben möglich, und dennoch können alle jederzeit die Angebote des Pflegezentrums nutzen.» Walter Weber lehnt sich zurück und macht eine abschliessende Geste. «Im Allgemeinen ist es wichtig, dass man hilfsbedürftigen Menschenso viele Freiheiten wie möglich lässt, denn genau wie du und ich sind sie normale Menschen, und sie wollen die letzten Jahre ihres Lebens einfach noch geniessen, so gut es geht.»

Kaffeekränzchen
Wenig später führt uns Walter Weber in die Cafeteria des Pflegezentrums. Eine Mitarbeiterin begrüsst uns freundlich und begleitet uns zu einem freien Tisch. Kaum haben wir uns hingesetzt, kommen nacheinander die drei Bewohnerinnen, die uns von ihrem Leben im Sanavita erzählen wollen. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde fängt unser Gespräch an – und es wir merken schnell, dass sich die Frauen hier unglaublich wohlfühlen und dass sie gerne hier wohnen. Vreni Müller, Gertrud Frei und Rahel Ueli geraten regelrecht ins Schwärmen. Abwechslungsreiches Essen, gute und freundliche Betreuung, tolle Zimmer. (Die dürfen wir später dann auch sehen, und die drei öffnen uns die Tür zu ihrem kleinen Reich nicht ohne Stolz.)
Alle drei haben ihr vorheriges Zuhause freiwillig verlassen, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Vreni Müller fühlte sich zunehmend einsam und suchte wieder mehr Kontakt zu anderen Menschen, während Gertrud Frei ihren Mann nicht allein ins Pflegezentrum ziehen lassen wollte und deswegen mit ihm in eine Wohnung im Pflegezentrum zog. Rahel Ueli lebte zehn Jahre lang allein. Zur Einsamkeit kam dazu, dass sich die Wohnung im 2. Stock befand und es keinen Lift gab, weshalb sie sich ebenfalls dazu entschied, in das Pflegezentrum zu ziehen.
Heute sind sich alle drei einig: Auch wenn sie könnten, würden sie nicht wieder zurück in ihre alte Wohnung oder ihr altes Haus gehen. «Der Wohnung weine ich nicht nach», sagt Vreni Müller, «das Sanavita ist jetzt mein neues Zuhause, denn hier sind jetzt meine Freunde.» Rahel Ueli ergänzt: «Und hier kümmert man sich um mich. Wenn es ein Problem gibt, dann ist immer jemand da und bereit zu helfen.»

Starkes Gemeinschaftsgefühl
Die Mitarbeiterin erzählt von den zahlreichen Akivitäten, welche die Bewohnerinnen und Bewohner aktiv und interessiert halten sollen. Besonders beliebt ist etwa das gemeinsame Singen, wo altbekannte Lieder aus früheren Zeiten gesungen werden. Auch kurze Spaziergänge in der Sonne stehen ganz oben auf der Favoritenliste. Und im Herbst steht sogar ein gemeinsamer Ausflug auf dem Programm. «Überhaupt ist es toll, dass wir hier jederzeit mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern Zeit verbringen können», sagt Vreni Müller. «Niemand muss allein sein. Wer Gesellschaft braucht, der findet sie. Manchmal auch unerwartet.» Auf unsere fragenden Blicke antwortet sie: «Im Pflegezentrum trifft man auch alte Freundinnen.» Sie lacht herzhaft, und wir erfahren, dass Vreni und Gertrud sich eigentlich schon seit 60 Jahren kennen. Sie lernten sich damals an der Kasse eines Ladens kennen, trafen sich regelmässig, und verloren sich dann wieder aus den Augen. Im Pflegezentrum haben sie sich dann wieder getroffen und verbringen jetzt viel Zeit miteinander. «Aber man kann sich auch zurückziehen, wenn man seine Ruhe haben will», wirft Gertrud Frei ein. «Ich verbringe gerne Zeit mit mir selbst. Ich habe eine schöne Wohnung im Senevita.»

Ein neues Zuhause auf Zeit
Es ist ein angeregtes Gespräch. Die drei Seniorinnen stehen noch immer mitten im Leben, auch wenn sie es nicht mehr selbstständig bewältigen können. Richtig heiter wirds, als wir von einem besonderen Trick erfahren, der all jenen hilft, die wegen ihrer Vergesslichkeit manchmal die Orientierung verlieren: Immer am Sonntag gibt es ein Glas Wein. Das kann man sich merken.
Und dann wird es doch noch ernst. Denn das neue Zuhause ist nicht für immer. Es wird natürlich auch gestorben im Pflegezentrum. Man muss Abschied nehmen von Freundinnen und Freunden. «Was will man machen», sagt Vreni Müller, «der Tod gehört halt leider zum Leben dazu. Wir müssen alle einmal sterben.» Wenn jemand stirbt, wird der oder die Verstorbene schön angezogen und bekommt Blumen auf den Körper gelegt. Regelmässig finden auch Abschiedsgottesdienste im Haus statt. Vreni Müller, Gertrud Frei und Rahel Ueli schätzen diese Abschiedsrituale sehr Sie spenden Trost und helfen, positiv in die Zukunft zu blicken.