Alois Zwinggi: von der Zementindustrie zum Managing Director des World Economic Forum
sage&schreibe hat Alois Zwinggi, den Managing Director des World Economic Forum, in Cologny am Genfersee zu einem persönlichen Gespräch getroffen. Der Innenschweizer erzählt von seinem Werdegang, von den Anliegen des WEF und macht sich Gedanken über die Zukunft. Ein intensives und humorvolles Gespräch, bei dem der charismatische Alois Zwinggi auch einiges von sich selbst preisgibt.
Von Luisa Dambach, G21K
Wir sitzen in Alois Zwinggis Büro am Hauptsitz des WEF. Es ist spürbar, dass sich Alois Zwinggi sichtlich zu Hause fühlt in diesem repräsentativen Anwesen mit Blick auf den Genfersee. Er trinkt einen Schluck Kaffee aus seiner grossen Tasse, und dann lässt er seinen Werdegang Revue passieren. Sein Interesse für Wirtschaft zeichnete sich bereits in der Kantonsschule ab, als er zusammen mit anderen Interessierten an einer Wirtschaftswoche teilnahm. «Aber ich hätte beinahe Musik studiert; das war bis zu dieser Wirtschaftswoche meine grosse Liebe», erzählt der 61-Jährige und schmunzelt. Denn es kam anders: Nach dem Studienabschluss als Master in Business Administration an der HSG St. Gallen ging es praktisch direkt nach Mexiko. Für Zwinggi ging ein Traum in Erfüllung, ermöglicht von der Holcim AG: Der global tätige Baustoffproduzent setzte ihn in der internen Beratungsabteilung ein, wo er für Neubauten zuständig war. Und Zwinggi blieb. 15 Jahre Lateinamerika. In seinen Augen blitzt noch immer die Begeisterung für Auslandsaufenthalte. «Sei es im Studium oder später – es lohnt sich immer, einen Auslandsaufenthalt zu machen. Leben und Arbeiten in einer neuen Welt – das öffnet einem die Augen für vieles, es weitet den Horizont.»
In der Organisation des WEF arbeiten Menschen aus mehr als 90 Nationen; das erfordert ein überkulturelles Verständnis, und das bringt Zwinggi nicht zuletzt dank seiner Auslandaufenthalte mit. 2003, mit rund 40 Jahren, absolvierte er ein dreimonatiges Advanced Leadership Program in Harvard. Ein Headhunter rief ihn daraufhin unerwartet an und sagte: «Alois, du musst etwas Neues im Leben machen.» Für Zwinggi war klar, ein Jobwechsel musste auch gleich ein Neustart werden. So wechselte er 2009 in die Geschäftsleitung des WEF. Und Neuland war das tatsächlich, denn er hatte sich zuvor noch nie tiefer mit der WEF-Organisation auseinandergesetzt. In seiner neuen Funktion war er nun für all das verantwortlich, was hinter den Kulissen vor sich ging.
Managing Director des World Economic Forum
In einem internationalen Umfeld zu arbeiten bedeutet viel kulturelle Abwechslung, fordert aber auch ein grosses Verständnis für die Vielfalt an Denkweisen. Die eher kleine Organisation mit ihren weltweit rund 800 Mitarbeitenden, verlangt von jeder einzelnen Person Toleranz und Akzeptanz. Das empfindet Zwinggi auch nach 13 Jahren beim WEF als Herausforderung und Motivation für seinen Job. Die verschiedenen Anlässe und Konferenzen sind für ihn nicht nur das Resultat von viel vorbereitender Arbeit, sondern vor allem auch «Motivationsspritzen» für neue Projekte. Tatsächlich muss sich die Organisation jedes Jahr neu erfinden. Eine Herausforderung – für Zwinggi selbst, aber auch für die Mitarbeitenden, die sich oft schwertun mit Veränderungen. «Ich bin jetzt 61, schreibe das letzte Kapitel meiner beruflichen Karriere», sagt er, «und deshalb will ich Nachwuchstalente in der Organisation nachziehen.» Zwinggi wirkt entschlossen. Sein Werk soll in seinem Sinn weitergeführt werden. Und die jungen Talente sollen die Bekanntheit des WEF weiter fördern. Ihm ist es wichtig, dass sich interessierte und motivierte Jugendliche für ihre Zukunft engagieren, wie zum Beispiel bei der Global Shapers Organisation, bei der sie sich an weltweit über 500 Standorten engagieren können. Eine Möglichkeit, als Privatperson etwas WEF-Luft zu schnuppern, bietet das Open Forum in Davos; da kann jedermann während der WEF-Woche an frei zugänglichen, spannenden Diskussionen teilnehmen.
Die Aufgabe des World Economic Forum
Wenn Zwinggi spricht, klingt es, als würde die Welt durch Business und Wirtschaft eine bessere. Nicht wenige aber behaupten, gerade das WEF verkörpere den Kapitalismus und Imperialismus. Konfrontiert mit dieser Kritik, antwortet Alois Zwinggi gelassen. Eine Organisation, welche nicht kritisiert werde, sei nicht relevant. «Ja, Kritik ist gut, denn sie bereichert das Diskussionsmaterial, auch wenn man nicht derselben Meinung ist.»
Alois Zwinggi schaut aus dem Fenster Richtung See. Nur gerade fünf Kilometer weiter südwestlich liegt Genf. Die Nähe zur international ausgerichteten Stadt, in der viele globale Organisationen ihren Sitz haben, ist kein Zufall. Die globale Ausrichtung nämlich ist es, die das WEF seit seinen Anfängen 1971 prägt. Dahinter steht der Leitgedanke, dass die grossen Probleme der Welt nur gemeinsam, mit allen Interessenvertretern, gelöst werden können. Dazu gehören die Zivilgesellschaft, die Unternehmer und die Regierungen. Und das WEF? «Unsere Aufgabe ist es», erläutert Alois Zwinggi, «den Privatsektor und die öffentliche Hand zusammenzubringen, damit Lösungen für die verschiedensten Probleme gefunden werden können. Auch wenn man uns kritisiert – wir bringen beispielsweise Konfliktparteien zu Friedensgesprächen zusammen, natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das WEF versteht sich als Organisation, welche Initiativen zwar nicht selber umsetzt, dafür aber die entsprechende Plattform bietet und Unterstützung leistet.» Und Zwinggi wird konkret. Eine beachtenswerte Aktion, welche durch das Forum initiiert wurde, ist die Trillion Tree Initiative. Diese setzt sich zum Ziel, in 10 Ländern innerhalb von 10 Jahren 1’000 Milliarden Bäume zu pflanzen. Dieses Projekt entstand in Zusammenarbeit mit der ETH, um den CO2-Ausstoss global zu senken und die Klimaziele zu erreichen. «Gerade In solchen Aktionen sehe ich eine zentrale Aufgabe und Verantwortung des WEF», sagt Zwinggi. So soll die Organisation auch in Zukunft eine wichtige Rolle als neutrale Plattform spielen. Und zwar unter Einbezug der jungen Generation, die sich mit Kriegen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen sowie ökologischen Herausforderungen konfrontiert sieht.
Alois Zwinggi privat
Lebt Alois Zwinggi nur für das WEF? Oder gibt es ihn auch als Privatperson? Er lacht herzlich und lehnt sich zurück. «Meine andere Leidenschaft ist die Kunst. Eine strikte Trennung von Privatleben und Arbeit ist mir wichtig. Ich lese in meiner Freizeit keine Businessbücher.» Für Familie und Freunde findet er immer genug Zeit, denn diese stellen für ihn einen wichtigen Gegenpol zur Arbeit dar. Und er orientiert sich an Werten, die für ihn zentral sind, menschlich und beruflich: Fairness und Ehrlichkeit. Beides erwartet er von sich selbst und von seinem Umfeld. «Do as you say and say as you do.» Er möchte nämlich kein Fragezeichen für sein Umfeld darstellen. Sondern ein Ausrufezeichen. Eines mit Leidenschaft.
Bild: Luisa Dambach