2021, Aktuelles, Das zweite Gesicht, Im Fokus, Reportage, Sage & Schreibe Nr. 33

Larven sind keine Masken!

Einmal im Jahr ist es so weit – jeweils am Montag nach Aschermittwoch beginnen in den Strassen Basels mit dem Morgenstreich um vier Uhr früh die «drey scheenschte Dääg»: die Basler Fasnacht. Obwohl sie auch 2021 der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist, haben wir uns auf die Suche nach dem Geheimnis der berühmten Larven gemacht.

Von Rahel Furrer und Regina Knüsel, G2A

Zurückzuführen ist die Basler Fasnacht wie die meisten Fasnachtsbräuche auf keltische und germanische Ursprünge, auf Ahnenkult, Winteraustreiben und Fruchtbarkeitsrituale. Schon seit Jahrhunderten sind Larven ein fester Bestandteil der Basler Fasnacht. Entscheidend dabei: Larven sind keine Masken! Unter einer Maske verstehen der Basler und die Baslerin eine vollständig kostümierte Person, die eine Larve trägt; für das zweite Gesicht braucht der Basler hingegen die Bezeichnung Larve. Und nirgends kennt man sich damit besser aus als im Atelier Charivari von Roman Peter.

Peters Ueli und der Domino
Als Vorbereitung auf das Atelier besuchen wir die Ausstellung «E Naase voll Fasnacht» am Münsterberg, wo die Larvensammlung von Roman Peter präsentiert wird – um im Jahr 2021 wenigstens eine Nase voll Fasnachtsstimmung zu gewährleisten. Besonders stolz ist Peter auf sein wohl ältestes Sammelstück. Es stellt einen Ueli dar, der sein Vorbild im mittelalterlichen Hofnarren hat. Dieser war früher bei fast allen Basler Fasnachten anzutreffen und ist heute noch sehr populär, laut Peter das meistverkaufte Modell. Doch der Ueli ist nur eine von vielen traditionellen Figuren, die eine Larve darstellen kann. Eine schlichte, weisse Larve und ein schwarzer Überwurfmantel, der früher oftmals von Männern getragen wurde – so sieht ein Domino aus. Beliebt war er an abendlichen Maskenbällen, die früher ein Bestandteil der Fasnacht waren. Der vor einigen Jahren unternommene Versuch, die Tradition des Maskenballs wiederzubeleben, scheiterte zwar, dennoch gibt es den noblen Domino bis heute.
Doch nicht nur die Bräuche der Basler Fasnacht haben sich über die Zeit gewandelt; auch die Larven haben sich verändert. Während damals die Farben schlicht gehalten waren und viel Wert auf den Gesichtsausdruck gelegt wurde, wird heute mit auffallenderen Farben gearbeitet. Verantwortlich für diesen Wandel in der Larvengestaltung sind in erster Linie die teils modernen Materialen und der Fakt, dass bis etwa 1850 die meisten Larven in die Schweiz importiert wurden. Aktuell wünschen die Kunden wieder vermehrt realistische Gesichter, was Peter schade findet, da das künstlerische Gestalten der Larve der spannendste Teil der Herstellung sei. Es zeigt aber auch erneut deutlich auf, wie sich die Ansprüche der Leute an die Larve stetig verändern.
So war es vom Spätmittelalter bis etwa 1850 immer wieder verboten, Larven zu tragen. Man fürchtete, dass die Anonymität, die einem das Tragen einer Larve verlieh, missbraucht werden könnte. Auch bezüglich der Kostüme gab es Einschränkungen. Die «Hechelgaukel» beispielsweise wurde verboten, da sie eine böse Rolle verkörperte. Ausserdem war es untersagt, den Teufel darzustellen und den Bauern lächerlich zu machen. Heute bestehen solche Verbote glücklicherweise nicht mehr. Doch schon immer war die Larve dazu da, Ereignisse in der Politik oder auch ganz andere Dinge wie zum Beispiel eine berühmte Person hochzunehmen oder in eine Rolle von etwas zu schlüpfen, das man gar nicht ist.

Herstellung der Larven
Im Atelier erfahren wir von Roman Peter, wie alles anfing: Weil man keine Lehre als Larvenmacherabsolvierenkonnte und es auch kaum Literatur zu diesem Thema gab, besorgte sich Roman Peter einst Papier, Gips und Leim und machte Larven für Freunde. «Ich probierte mich einfach aus», sagt er. «Mit der Zeit entwickelte ich ein Gefühl für die Larvengestaltung und so entstand 1976 mein Atelier Charivari.
Dort werden auf Kundenwunsch verschiedene Larvenarten hergestellt, wobei man bei Peter hauptsächlich auf kaschierte Larven ausgerichtet ist. «Eine von uns vorgefertigte Gipsform wird mit mehreren Schichten aus Papier und Leimausgelegt und anschliessend ‘gebacken’», erklärt Roman Peter. «Anschliessend werden die Larven aus der Form gelöst, zurechtgeschnitten, lackiert und weiss angemalt. In diesem Zustand werden sie bei uns im Atelier zum Kauf angeboten.» Ähnlich werden Wachslarven hergestellt; anstelle von Leim und Papier werden jedoch Wachs und Stoff verwendet.
Hat ein Kunde oder eine Kundin eine Larve gekauft, wird sie angepasst, die Löcher für Augen und Atmung werden ausgeschnitten und es wird abgesprochen, wie die Larve bemalt werden soll.
Im Atelier Charivari können auch Larven aus Draht gekauft werden. Für diese Larven wird ein Drahtstück auf ein Positiv der Form gedrückt. Danach wird dieses «Gerüst» dekoriert.
Heutzutage gibt es auch Larven aus Kunststoff. Solche werden vom Atelier Charivari allerdings nicht hergestellt, da Peter viel Wert auf die traditionelle Larvenherstellung legt.
Kunststofflarven sollten einige Wochen liegen gelassen werden, da sie giftige Gase absondern. Das wird aber aus Zeitgründen oft nicht gemacht, was beim Tragen zu Schwindel und Übelkeit führen kann. Ausserdem sind rohe Kunststofflarven deutlich teurer als rohe Papierlarven, schwerer und können nicht so detailliert gestaltet werden.
Roman Peters Blick schweift wieder zu den kaschierten Larven. Sein Metier. Und man sieht: Er freut sich schon jetzt auf die «drei scheenschte Dääg» 2022.

Ein grosses Danke geht an Franziska Geering, leidenschaftliche Fasnächtlerin und Lehrerin an der Alten Kanti, die uns den Kontakt zu Herrn Peter ermöglicht und uns mit reichlich Informationen zur Basler Fasnacht versorgt hat.