2024, Aktuelles, Essay, Im Fokus, Sage & Schreibe Nr. 38, Zukunft

Ohne Heute kein Morgen

Schon immer hat die Menschheit über die Zukunft nachgedacht, und noch heute hat sie viele Ideen, wie sie wohl aussehen wird. Dies zeigt sich insbesondere in den Bereichen Religion, Literatur und Film. sage&schreibe präsentiert eine Auswahl von ganz unterschiedlichen Auseinandersetzungen mit der Zukunft.

Von Alexandra Ellena, Jakob Hechler, Mila Schwyter, G21K

Die Zukunft im antiken Griechenland

Bereits die «alten Griechen» beschäftigten sich mit der Kunst, die Zukunft vorherzusagen. Die berühmten Orakel waren Weissagungsstätten mit speziell geschulten Priesterinnen oder Priestern. Sie gaben das Orakel im Namen der Götter (lat. oraculum = Götterspruch, Sprechstätte) an die Menschen weiter. Das berühmteste Orakel war jenes in Delphi, Apollon geweiht. Wer es besuchte, bekam von der Priesterin Pythia teils konkrete, teils rätselhafte Antworten auf Zukunftsfragen. Die göttliche Inspiration bekam sie in Form von bewusstseinsverändernden Dämpfen, die aus einem Erdspalt aufstiegen.Manchmal interpretierten die Priesterinnen oder Priester aber auch Wetterphänomene, das Verhalten von Tieren (etwa Vögeln) oder die Eingeweide von geschlachteten Tieren. Rauch und Feuermuster, inszenierte Rituale, all dies gab den Visionen der Orakel zusätzlich einen dramatischen Effekt.

Ein weiteres berühmtes Beispiel aus dem antiken Griechenland war etwa Kalchas, der offizielle Wahrsager der Griechen während des Trojanischen Krieges. Er deutete, so ist es überliefert, die Zukunft aus dem Flug der Vögel. Seine Vorhersagen – etwa über die Dauer des Krieges oder das trojanische Pferd – dienten als Grundlage für wichtige Entscheidungen der griechischen Kriegsstrategen.

Gelbe Propheten: die Simpsons

Die bekannte Zeichentrick-Serie läuft seit 1989 auf verschiedenen Fernsehsendern und umfasst mittlerweile über 760 Folgen. Somit gehört sie zu den beliebtesten und am längsten laufenden Serien aller Zeiten. In der Serie geht es um alltägliche Situationen im Leben der Familie Simpson. Immer wieder wird dabei Bezug genommen auf das aktuelle Weltgeschehen, und immer wieder werden auch Vorhersagen gemacht. Einige dieser Vorhersagen gingen auch tatsächlich in Erfüllung.

So wurde beispielsweise Donald Trumps Präsidentschaft vorweggenommen: Im Jahr 2000, also 16 Jahre vor Trumps Einzug ins Weisse Haus, erschien die Episode «Barts Blick in die Zukunft», in der Trump Präsident war. – 2007 erschien die Episode, in der vorhergesagt wurde, dass die NSA Privatgespräche von wichtigen Politiker(inne)n belauschte. Sechs Jahre später wurde dies offiziell bestätigt. – Eine weitere Vorhersage betraf Blinky, den dreiäugigen Fisch. Die Episode «Frische Fische mit drei Augen» beschrieb einen Vorfall, der mehr als 10 Jahre später tatsächlich eintraf. In jener Folge fängt Bart Simpson einen dreiäugigen Fisch; wie sich zeigte, war die Mutation auf nuklear verstrahltes Abwasser zurückzuführen. Duplizität der Ereignisse 2011 im echten Leben: Ein Fischer in der argentinischen Provinz Córdoba angelte in der Nähe eines Atomkraftwerks einen dreiäugigen Fisch.

Das Verblüffende an all diesen Voraussagen: Als die Folgen veröffentlicht wurden, waren es gar keine Voraussagen, sondern lediglich satirische Cartoons; niemand konnte damals wissen, dass sie von der Zukunft eingeholt werden würden.

«What May Happen in the Next Hundred Years»

John Elfreth Watkins, der Sohn eines Kurators des United States National Museum (heute National Museum of American History in Washington DC), schrieb im Jahr 1900 seine Visionen für das Jahr 2000 nieder. In einem Beitrag für das Magazin «The Ladies‘ Home Journal» prognostizierte er unter andrem, der öffentliche Verkehr werde in den Luftraum und auf das Meer verschoben werden. Dabei würden Wale zu Transportmitteln unter Wasser. Wilde Tiere an Land wären fast ausgestorben, Fliegen und Mücken ausgerottet. Weiter sagte er voraus, dass kaum jemand in der Zukunft selbst kochen müsse. Die meisten würden Fertiggerichte kaufen, die mittels Luftdruck durch Tunnels oder mittels selbstfahrender Wagen zu den Kunden geliefert würden. Am beeindruckendsten waren aber seine Vorhersagen über die Kommunikation. Watkins schrieb, in 100 Jahren würden alle ein kabelloses Telefon besitzen, bei dem die Distanz keine Rolle mehr spielen werde. Auch würden Telefonate in der Zukunft nur noch per Videocall getätigt werden. Dazu würden Fotos telegrafisch übermittelt und nach kurzer Zeit in Zeitungen veröffentlicht.

Bemerkenswert ist übrigens auch die ebenfalls im Jahr 1900 produzierte 87-teilige Bilderserie des französischen Künstlers Jean-Marc Côté über die Welt in 100 Jahren – ein künstlerischer Reflex auf die Visionen von Watkins.

Nicht wenige dieser Prognosen haben sich bewahrheitet, wenn man sie nicht allzu genau nimmt. Wir können heutzutage zwar mit Video telefonieren, aber kein Mensch konnte sich vor 100 Jahren wirklich das technologische Konzept eines Smartphones mit unterschiedlichen Apps vorstellen. Bei aller visionärer Kraft von Menschen wie Watkins zeigt sich eben auch, dass in 100 Jahren zu viel passiert, als dass es realistisch wäre, sich eine präzise Vorstellung von der Zukunft zu machen.


Quelle: commons.wikimedia.org/

«Brave New World»

In seiner dystopischen Vision «Brave New World» (1932) zeichnet der Schriftsteller Aldous Huxley das Bild einer Zukunft , die so weit entfernt ist (nämlich im Jahr 2540 n. Chr.), dass es uns selbst heute schwerfällt, uns so eine Zeit vorzustellen. Lesen wir dieses Werk, so merken wir allerdings recht schnell, dass Huxley in seiner Vorstellung der fernen Zukunft nicht nur originell ist. So stellte er sich zwar eine neue Art, die Jahre zu zählen, vor, allerdings wirkt diese recht willkürlich. In der von ihm gewählten Zukunft werden die Jahre nämlich in «Jahren nach Ford» beziehungsweise Jahren nach der Erfindung des Ford Model T gezählt.

Eine zentrale Idee, von der er sehr überzeugt war, ist allerdings bemerkenswert, um nicht zu sagen verstörend: In seiner negativen Utopie funktioniert Fortpflanzung ohne Geschlechtsverkehr, um so gezielt möglichst passende Menschen zu züchten, die dann indoktriniert und einzelnen Kasten zugeteilt werden. In welche Kaste man sozusagen fallen wird, ist dabei schon lange vor der «Geburt» aus einem Inkubationskasten genetisch festgelegt.

Huxley hatte auch präzise Vorstellungen in Bezug auf Maschinen. So skizzierte er sehr genau, wie Computer dem Menschen einiges an Arbeit abnehmen.

Eine andere Annahme, die den eigentlichen Kern seiner erdachten Gesellschaft bildet, ist auch für uns heute, 92 Jahre später, höchst relevant. Huxley stellte sich nämlich vor, dass «Glück» irgendwann als Droge abgepackt wird, weil die Menschen dermassen süchtig danach sind. Diese Pillen mit dem Wirkstoff «Soma» (also «Körper») werden im Romann von der Regierung an alle Menschen verteilt. Die Bevölkerung ist sich schon bald gewohnt, mit jedem Problem umgehen zu können – man muss ja nur eine dieser Pillen mit psychosomatischer Wirkung schlucken. – So sehr das nach Science-Fiction klingen mag – es gibt in der heutigen Forschung tatsächlich längst ernsthafte Bestrebungen, die sogenannte Glückspille zu erfinden.