Eine der wenigen Gewissheiten im Leben ist zweifellos die Unumstösslichkeit dess Todes. Könnte man denken. Denn schon bald wird der Tod möglicherweise nicht mehr das Ende des Lebens sein, sondern der Anfang zu einem neuen. Dies jedenfalls ist das Forschungsgebiet der Kryobiologie, die damit experimentiert, Tote einzufrieren, um sie zu gegebener Zeit wieder zum Leben zu erwecken. sage&schreibe hat den Molekularbiologen Patrick Burgermeister, einen der Vorreiter auf dem Gebiet, zum Gespräch getroffen.
Von Jessica Pinto Guerreiro und Hanna Siegel, G21K
Sage&schreibe: Das Verfahren, das Sie bei der Konservierung von Toten anwenden heisst Biostase oder Kryonik. Was ist darunter zu verstehen?
Patrick Burgermeister: Die Biostase kann man mit einer Ambulanz vergleichen. Eine Ambulanz durch die Zeit. Jemand der in 2023 gestorben ist, bei dem kann man jetzt nichts mehr machen, jedoch vielleicht in 2043. Man könnte die Person einfrieren und in 2043, wenn die Forschung fortgeschrittener ist, wieder auftauen.
Es ist eine Art Zeittransport, sofern der Pausenknopf wirklich funktioniert, denn das ist aktuell noch ungewiss. Grundsätzlich aber gilt: Wenn man etwas tief genug hinunterkühlt, bewegt sich kein Molekül mehr. Bei -196°C, der Zieltemperatur, gibt es nicht mal mehr Schwingungen. Das heisst, es gibt keine weiteren Schäden, der natürliche Prozess des Zerfalls wird gestoppt. In den ersten Stunden nach dem Tod geht logischerweise alles kaputt. Wenn man nun aber den Pausenknopf drücken könnte, kurz nach dem Tod, dann könnte man das eben noch lebendige Wesen so gut erhalten, dass der Tod tatsächlich irgendwann reversibel wäre. Ich gebe zu, wir reden von einer kleinen Wahrscheinlichkeit, aber ich sage immer, sie ist nicht mull. You’re dead only if you’re warm and dead. Bist du aber kalt und tot, wäre ich mir da nicht ganz so sicher.
Welche Menschen wollen sich einfrieren lassen? Wen interessiert so etwas?
Sehr viele IT-Leute. Grösstenteils Männer, 90 Prozent. Wahrscheinlich ein Zusammenhang mit der IT. Erstaunlicherweise sind die Leute noch gar nicht alt, die meisten sind zwischen 30 und 45.
Was braucht es aus wissenschaftlicher Sicht noch, um einen Menschen wieder auftauen zu können?
Die Forschung muss in drei grossen Gebieten noch massive Fortschritte machen, damit der Prozess überhaupt funktionieren kann: Wir wissen noch nichts über den Auftauungsprozess. Zwar gibt es ein klar reguliertes Prozedere, wie man kühlt , jedoch nicht, wie man auftaut. Wenn man in diesem Zustand – minus 196°C – auftauen würde, wären nachher alle Zellen zerstört. Ein Problem ist übrigens auch die reine physikalische Grösse des Menschen. Man kann heute schon Spermien, Eizellen und Retina (Netzhaut des Auges, die Red.) einfrieren, denn da gibt es keinen Temperaturgradienten. Das grösste Zellstruktur, die man bisher erfolgreich einfrieren und wieder auftauen konnte, war eine Hasen-Niere.
Das zweite Gebiet, von dem wir noch zu wenig wissen, ist die Verjüngung des Körpers, des Gewebes. Was bringt es, wenn man einen 90-Jährigen einfriert, dann wieder auftaut – und er ist immer noch 90? Er lebt dann vielleicht noch zwei, drei Jahre, und dann ist er wieder weg. Nicht-Biologen mag die Verjüngung am unwahrscheinlichsten erscheinen, aber es ist von den drei Punkten der einfachste. 2006 entdeckte der japanische Forscher Yamanaka, dass man adulte, also erwachsene Zellen zurückprogrammieren kann. Sogar bis zu einem embryonalen Status. Man kann sie also komplett verjüngen und von dort wieder differenzieren. Im Labor kann man schon heute Gewebe verjüngen, im Menschen aber noch nicht. Menschliches Gewebe altert unterschiedlich schnell; das sieht man teilweise bei topfitten Leuten, bei denen das Kardiovaskuläre System aber schnell altert und einen Herzinfarkt provoziert.
Das dritte Gebiet, das uns noch Kopfzerbrechen bereitet: Krankheiten. Wenn jemand an Leberkrebs oder einer anderen Krankheit gestorben ist, müsste man das rückgängig machen, die Krankheit also heilen können. Das Problem dabei: Die Krankheit, die jemanden umgebracht hat, muss behandelt werden, bevor man die Person wieder auftaut.
Würden Sie sich selbst einfrieren lassen?
Ja! Wenn man die anderen beiden Alternativen anschaut – Kremation oder Erdbestattung, dann finde ich Biostase irgendwie interessant.
Wie lange bleiben die Leute eingefroren?
Auf unbestimmte Zeit. 20, 50 oder 500 Jahre – man weiss es einfach nicht.
Welche Rolle spielt die Kryobiologie, also die Erforschung der Auswirkung von sehr tiefen Temperaturen auf Organismen, bei Samenzellen und anderem biologischem Material?
Wie erwähnt: Bei der Konservierung von Samenzellen, Eizellen oder Retina ist das kryobiologische Verfahren heute Standard. Samenbanken und Eispenden funktionieren alle mit Kryobiologie. Es gibt zudem viele Chirurgieabteilungen, die gemerkt haben, dass man durch Kühlung (bis 10°C) biologische Prozesse verlangsamen kann. Durch einen kühlen Operationstisch beispielsweise wird dies ermöglicht. Somit erhalten Chirurgen viel mehr Zeit beim Operieren, da eine kühle Körpertemperatur den Blutverlust und Gewebeschäden verringert. Auch auf anderen Gebieten wird Kälte bereits therapeutisch eingesetzt.
Bild: Jessica Pinto Guerreiro
Was gibt es für ethische, religiöse oder rechtliche Probleme, mit denen Sie konfrontiert sind?
In Bezug auf die Religion geht es insbesondere um die Interpretation von ewigem Leben. Von Land zu Land, aber auch von Religion zu Religion ist dies verschieden: Zum einen gibt es vielerorts das Friedhofsrecht. Christlich und insbesondere katholisch geprägte Länder aber lassen Kryonik teilweise gar nicht zu, weil das Friedhofsrecht zwingend vorsieht, dass Tote begraben werden Aus diesem Grund darf unsere Firma in Berlin keine Leichen lagern; sie darf nur die anderen Aufgaben übernehmen. Zürich ist die einzige Lagerstätte in Europa. – Die von Ihnen angesprochenen Fragen werden sich klären, wenn die Technologie weit genug fortgeschritten ist. In der Schweiz beispielsweise gibt es auf diesem Gebiet noch keine Gesetze, daher ist Biostase auch nicht verboten.
Was gibt es für Sicherheitsvorkehrungen bei so tiefen Temperaturen?
Ein wichtiger Punkt ist, dass die Kühlung keinen Strom braucht. Die Leute fragen oft, was denn passiert, wenn der Strom ausfällt. Aber das sind einfach Tanks, wie eine grosse Thermoskanne, gefüllt mit flüssigem Stickstoff. Die eingefrorenen Leute werden kopfüber in den Tank gelegt, vier Menschen pro Tank. Kopfüber übrigens aus einem ganz praktischen Grund: Sollte zu viel flüssiger Stickstoff verdampfen, wären nur die Füsse der Toten unrettbar verloren.
Wie viel kostet das Verfahren?
Ziemlich genau 200’000 Franken. Pro Person.
Wer oder was würde als erstes profitieren bei einem Durchbruch des Verfahrens?
Die ersten Durchbrüche werden der Transplantationsmedizin zugute kommen. Spendernieren, Spenderherzen und Spenderlebern. Heute muss man Nieren 48 Stunden nach Entnahme entsorgen, Herzen schon nach 24 Stunden. Wenn man Organe ausserhalb des Körpers erhalten könnte, wenn auch vielleicht nur eine Woche, dann wäre dies schon ein riesiger Durchbruch.
Patrick Burgermeister, hat an der Universität Basel Molekularbiologie und an der HSG St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Er war lange als Geschäftsentwickler für Biotech-Unternehmen tätig. Heute ist er Experte für Life-Science-Investitionen. Burgermeister ist der Gründer von CryoSuisse, der Schweizerischen Gesellschaft für Kryonik.
Bild: zVg